Freiheit ist möglich

Mathias Maurer

Es gibt die Ebene, die wir zum Beispiel über unseren Körper und unsere Sinne erfahren: Welche Freude strahlt aus dem Gesicht eines einjährigen Kindes, das seinen Körper der Schwerkraft entgegenstemmt, sich aufrichtet, seine ersten Schritte macht und sich frei im Raum bewegen lernt. Auch wir haben noch dieses Gefühl, wenn wir uns bei der Bewegung in unserem Leib zu Hause fühlen, oder diesen nach einer Erkrankung wieder ergreifen können.

Unser Seelenleben verlangt nicht minder nach Bewegung und Freiheit. Es würde tumb, öde und gehemmt werden, wenn wir uns nicht innerlich berühren ließen, keine Wohl- und Unwohlzustände kennen, nicht mit Sympathien und Antipathien uns auseinandersetzen würden. Welche Erleichterung stellt sich bei einem Kind ein, wenn es seinen Ärger oder seinen Schmerz an einer Erwachsenschulter ausweinen darf. Welche innere Befreiung kann es bedeuten, mit einem Menschen wieder ins Reine zu kommen, sich mit einem Feind wieder zu versöhnen oder einem Freund seine weniger schönen Seiten zu offenbaren.

Der Gedanke der Freiheit der Gedanken liegt uns wohl am nächsten. Aber sind unsere Gedanken wirklich frei? Wann denken wir wirklich einen neuen Gedanken, der sich nicht auf schon Gedachtes bezieht? Doch hier hängt das Freiheitserleben nicht davon ab, ob ein Gedanke schon einmal gedacht wurde, sondern ob ich ihn selbst denke, ob er wirklich zur eigenen Erkenntnis wird, sodass mir ein Zusammenhang aufleuchtet, der mich die Welt und den anderen Menschen aus sich heraus verstehen lässt, das heißt, in eine freie Beziehung versetzt.

Die drei kurzen Beispiele zeigen, welcher Voraussetzungen es bedarf zu einem Freiheitserlebnis zu kommen: Anstrengung und Bewegung auf allen drei menschlichen Ebenen.

Freiheit ist also nicht so ohne Weiteres zu haben; sie entwickelt sich nicht naturgemäß, sie liegt nur als ein Potenzial in uns, das ergriffen und gestaltet werden muss. Anfangs noch mit Hilfe liebevoller Menschen, mit denen eine Kind zusammenlebt. Dann, mit zunehmenden Alter, wird die Freiheitsfrage immer mehr zu einer Frage der Selbsterziehung und der Selbstüberwindung. Es steht mir frei, mich weiterzuentwickeln und frei zu werden – nicht unter dem Joch von Last und Verzicht oder aufgedrängten Normen –, sondern aus meinem individuellen Entschluss und liebenden Wollen.