Die Heilkraft des Fiebers

Von David Martin, Jan Vagedes, Januar 2018

Jedes gesunde Kind bekommt von Zeit zu Zeit eine fieberhafte Krankheit. Dennoch fühlen sich viele Eltern mit einem fiebrigen Kind unsicher oder haben Angst. Aber was genau ist mit Fieber gemeint, was können wir tun und auf was muss man achten?

Wärme ist eines der wichtigsten Elemente für uns Menschen, deshalb ist der richtige Umgang damit so wichtig – gerade bei Kindern. Je kleiner ein Kind ist, umso strenger achten wir auf Veränderungen der Temperatur. Wir sprechen von Fieber bei Temperaturen über 38,5 Grad Celsius, bei Säuglingen bis sechs Monaten schon bei über 38,0 Grad.

Nicht immer sagt die Höhe des Fiebers etwas über die Schwere der Erkrankung aus. Meist ist das Kind zum Glück nur aufgrund leichter Infektionen fieberhaft erkrankt. Doch auch andere Ursachen muss man in Erwägung ziehen. So kann zu warme Kleidung zum Beispiel beim Säugling zu einem Hitze­stau führen, der sich in Fieber äußert. Zu wenig Flüssigkeit kann beim Baby Durstfieber verursachen. Aber auch ein Sonnenstich oder starke seelische Erregung können für den Temperaturanstieg verantwortlich sein. Außerdem unterliegt die normale Körpertemperatur im Laufe des Tages rhythmischen Schwankungen. So ist die Körperkerntemperatur abends bis zu 0,5 Grad höher als morgens.

In den meisten Fällen entsteht Fieber durch Infektionskrankheiten. Dabei dringen Viren und Bakterien in das Kind ein, die sich bei Temperaturen um 33 bis 34 Grad besonders gut vermehren können. So finden sie im Rahmen einer Erkältung, bei der der Körper etwas kühler ist, ein gutes Milieu vor, um sich auszubreiten. Die nun sinnvollerweise vom Kind selbst erzeugte Fieberwärme ermöglicht dem Organismus, das Fremde, das in ihn eingedrungen ist, zu überwinden. Bei höheren Temperaturen verschlechtern sich die Lebensbedingungen für viele Viren und Bakterien. Bei einem Infekt fordert das Temperaturzentrum des Gehirns eine höhere Temperatur – die »Solltemperatur« wird heraufgestellt. So lange die eingeforderte Temperatur noch nicht erreicht ist, friert das Kind. Der Stoffwechsel beschleunigt sich, das Kind zittert und aktiviert so die Muskeln. Überdies verengen sich die Blutgefäße der Haut, wodurch diese weniger Wärme abgibt. Alles zusammen erhöht die Körperkerntemperatur. Die Reizschwelle im Gehirn wird dabei herabgesetzt, sodass es zum Fieberdelirium mit Halluzinationen und bei starken Schwankungen der Temperatur zu Fieberkrämpfen kommen kann, was glücklicherweise nur selten passiert. Ist die neue »Solltemperatur« erreicht, wird die Wärme vom Körperkern wieder nach außen an die Haut abgegeben, »das Kind glüht« und fühlt sich nun heiß an. Bei den hohen Temperaturen ist das Immunsystem besonders aktiv. Wenn genügend Krankheitserreger überwunden worden sind, sinkt das Fieber allmählich und es kehrt wieder mehr Leben in das Kind zurück.

Der Allgemeinzustand zählt

In seltenen Fällen kann sich hinter dem Fieber eine ernst zu nehmende Erkrankung verbergen. Das Leitsymptom für all diese schweren Erkrankungen ist nicht die Höhe des Fiebers, sondern die Beeinträchtigung des Allgemeinzustands: Das Kind erscheint –meistens plötzlich – schwer krank. Bei diesem Empfinden sollte man sofort den Arzt aufsuchen. Wenn das Kind dagegen hoch fiebert, dabei aber gut bei Kräften und klar ansprechbar ist sowie etwas trinken kann, ohne sofort zu erbrechen, kann man in Ruhe Rat einholen und gegebenenfalls einen Termin beim Arzt vereinbaren. In erster Linie ist also auf das Kind, in zweiter Linie auf das Fieberthermometer zu achten. Fieber in den ersten drei Lebensmonaten muss allerdings immer unverzüglich ärztlich abgeklärt werden.

Hilfe bei Fieber

Heißen Sie das Fieber willkommen! Fieber ist ein Freund und kann Infektionen bekämpfen und das Immunsystem entwickeln helfen. Wichtig ist beim Fieberanstieg die Wärme. Das Kind wird dann weniger Energie benötigen, um Fieber zu entwickeln. Es wird weniger Schüttelfrost und weniger Beschwerden haben. Warme Pulswickel mit Arnikaessenz oder warme Tees können hier helfen. Erst wenn die Haut an den Gliedmaßen wieder warm wird und das Kind »zu glühen« anfängt, können Wadenwickel mit lauwarmem Wasser helfen oder auch dünne Zitronenscheiben auf den Fußsohlen. Damit unterstützen Sie die nun einsetzende Ableitung der Wärme. Ziehen sie ihrem Kind einen Schlafanzug aus Baumwolle oder Wollkleidung an, damit die Wärme gut abgeleitet wird, das Kind aber nicht auskühlt. Frische Luft ist im »Krankenzimmer« wichtig und das Kind sollte genug trinken. Den Becher hinzustellen reicht nicht aus. Regen Sie Ihr Kind stattdessen zu regelmäßigen Schlucken Tee oder Wasser an – so bekommt es Flüssigkeit und Zuwendung zugleich. Während des Fiebers wird das Kind kaum essen wollen. Ist das Fieber im Sinken begriffen, sollte die Nahrung aus leichter Kost wie gedünstetem Gemüse oder Zwieback bestehen. So werden der Magen-Darm-Trakt und das vegetative Nervensystem nicht unnötig belastet.

Stellen Sie eine gemütliche Atmosphäre her. Sie können kurze, selbst ausgedachte Geschichten erzählen, Sprüchlein hersagen oder ein Lied singen. Die Beschwerden dauern in der Regel nicht lange. Und das Fieber kann seine Arbeit tun. Es gibt keine Höchsttemperatur, ab der fiebersenkende Medikamente gegeben werden müssen. In einer ruhigen und sicheren Umgebung können die meisten Kinder hohe Temperaturen ohne Leiden ertragen. Wichtig ist, dass Sie als Eltern entspannt sind. Dann kann auch das Kind das Fieber tolerieren. Das Fieber fordert innere und äußere Ruhe und vor allem die Präsenz des Erwachsenen.

Fieber ist, so gesehen, auch immer eine Möglichkeit, die Beziehung zum Kind zu pflegen. Dies kann nicht durch Medien ersetzt werden.

Fieberkrampf erkennen und behandeln

Kommt es doch einmal zu einem Fieberkrampf, so haben die meisten Eltern Angst um das Leben ihres Kindes und denken, dass es sterben wird. Die gute Nachricht ist, dass Fieberkrämpfe in der Tat dramatisch erscheinen, in der Regel aber keine akute Gefahr für das Kind darstellen und auch für sein weiteres Leben bis auf extrem wenige Ausnahmen folgenlos bleiben. Vier Prozent aller Kinder in Deutschland im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren bekommen Fieberkrämpfe. Typische Symptome sind wie bei einem epileptischen Anfall Muskelkrämpfe symmetrisch an beiden Armen und Beinen, Steifwerden, Bewusstseinsverlust, Verdrehen der Augen, Speichelfluss, zum Teil Einnässen, anschließend tiefer Schlaf. Im Hinblick auf die Ursachen scheint es eine genetische Veranlagung zu geben, zumindest hat jedes vierte Kind mit Fieberkrämpfen enge Familienangehörige, die auch Fieberkrämpfe in der Kindheit hatten. Wichtiger scheinen jedoch als Ursache Schwierigkeiten im Umgang mit Temperaturänderungen zu sein, denn vor allem beim schnellen Fieberanstieg treten die Krämpfe auf. Bei jedem dritten Kind kommt es zu einer Wiederholung innerhalb eines Jahres. Die meisten Fieberkrämpfe sind unkompliziert, sie dauern im Schnitt ein bis zwei Minuten und nach einem Schlaf von 20 bis 30 Minuten sind die Kinder (bis auf das Fieber) wieder »ganz die alten«. Nur wenige Anfälle sind sogenannte komplizierte Fieberkrämpfe, das heißt, sie dauern über 15 Minuten, wiederholen sich innerhalb von 24 Stunden oder treten nicht symmetrisch, sondern nur an einem Körperteil auf. Der herbeigerufene (Not-)Arzt gibt ihrem Kind ein Medikament, mit dem die Krampfbereitschaft reduziert werden kann (Diazepam) und senkt (gegebenenfalls) bei anhaltend hohem Fieber die Körpertemperatur mit Paracetamol oder

Ibuprofen. Je nach Ausprägung und Alter können zur Abklärung extrem seltener anderer Ursachen in der Klinik Blut und Urin, unter Umständen auch das Gehirnwasser untersucht oder eine Magnetresonanztomographie durchgeführt werden. Das EEG – das Messen der Hirnströme – das bei unkomplizierten Fieberkrämpfen ein bis zwei Wochen nach dem Anfall durchgeführt wird, ist nahezu immer unauffällig.

Fieber ist eine Fähigkeit des Körpers im Umgang mit Infektionen. Wenn die Ursache des Fiebers geklärt ist und das Kind in gutem Allgemeinzustand ist, profitiert das Kind von einem ruhigen und vertrauensvollen Umgang der Eltern mit diesem.

Zu den Autoren: Prof. Dr. med. David Martin ist Inhaber des Gerhard Kienle Lehrstuhls für Medizintheorie, integrative und anthroposophische Medizin und Leiter des Zentrums für Integrative Medizin an der Universität Witten/Herdecke.

Dr. med. Jan Vagedes arbeitet als Oberarzt in der Abteilung Pädiatrie der Filderklinik in Stuttgart und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen.

Mehr desgleichen finden Sie in der Erziehungskunst »Frühe Kindheit«

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