Heilende Rituale nach traumatischen Geburten

Von Katharina Sieckmann, September 2011

Die Schweizer Hebamme Brigitte Meissner hat Rituale entwickelt, um traumatische Erlebnisse in der Schwangerschaft oder bei einer Geburt auszugleichen. Die Rituale nehmen nicht viel Zeit in Anspruch. Was es braucht, ist Ruhe, Empathie und Herz.

Ein magischer Moment: Die Geburt ist geschafft, das Baby ist da und wird der Mutter nach all den Schmerzen und Strapazen auf die Brust und den Bauch gelegt. Stille, Zeit zum Fühlen, Erleichterung spüren und Liebe. Ein Glück, wenn Schwangerschaft und Geburt so verlaufen, dass Mutter und Kind diesen Moment genießen können. Häufig gibt es aber Ereignisse und medizinische Interventionen, die dazu führen, dass die Ankunft des Babys auf dieser Welt traumatisch verläuft.

Brigitte Meissner arbeitet seit zehn Jahren als Hebamme und hat rund tausend Geburten begleitet. Oft stellt sich erst nach einiger Zeit, nach Wochen, Monaten und manchmal auch erst nach Jahren heraus, dass sich die Frauen von dem Geburtserlebnis belastet fühlen. Manchmal sind die Symptome diffus, ein vages Unwohlsein, dass etwas zwischen der Mutter und ihrem Kind steht, begleitet von Ängsten und Schuldgefühlen. Oft sind die betroffenen Mütter enttäuscht über das Geburtserlebnis und werden ein Gefühl des Versagens nicht los. In anderen Fällen verhalten sich die Kinder auffällig: Sie schlafen schlecht, weinen viel, schreien oder beruhigen sich nur, wenn sie stundenlang von Mama oder Papa herumgetragen werden. Die Mutter lebt in einer inneren Anspannung und spürt intuitiv, dass bei ihrem Baby das zarte Pflänzchen des Urvertrauens wegen der widrigen Umstände der Geburt Schaden genommen hat.

Mit den drei heilenden Ritualen können auch bei Klein­kindern, Schulkindern und sogar bei Teenagern traumatische Geburtserlebnisse harmonisiert werden und sich die Betroffenen mit der Ankunft in ihrem Leben aussöhnen.

Das Heilgespräch

Das Heilgespräch ist eine intime Begegnung zwischen Mutter und Kind. In einer geschützten, gemütlichen Umgebung kann die Mutter ihrem Kind von der Schwangerschaft und der Geburt aus ihrer Sicht erzählen. Was war schwierig, was war problematisch und schmerzhaft? Welche Sorgen und welche Ängste hatte die Mutter, was ist genau passiert und vor allem, wie hat es sich für die Mutter angefühlt? Sie darf dem Kind mitteilen, welche Hoffnungen und Wünsche sie für die Geburt hatte und wie traurig und enttäuscht sie darüber ist, dass es so einen schweren Anfang hatte. Das Faszinierende daran ist, dass die Babys, auch wenn sie erst ein paar Tage alt sind, verstehen, was die Mutter sagen möchte. Sie verstehen ihren Schmerz und ihre Frustration und es entsteht ein Gefühl der Verbundenheit, der erste Schritt zur Heilung. Es gibt keine Vorgaben für dieses Heilgespräch. Die Mutter muss authentisch sein und wenn Tränen kommen, dann dürfen sie fließen. Solange die Mutter da ist und ihm Halt und Wärme gibt, fühlt sich das Kind nicht belastet. Möglicherweise ist es sinnvoll, das Erlebte in mehreren Etappen zu erzählen. Das Kind wird beim Zuhören deutliche Signale aussenden, wann es genug ist. Das Heilgespräch soll kein spektakuläres »Bei-Seite-nehmen« sein, es soll eine halbe ungestörte Stunde sein, wo niemand dazwischen plappert, wo sich Mutter und Kind in Ruhe ihrer ersten gemeinsamen Episode widmen können.

Das Babyheilbad

Das Babyheilbad, das manchmal auch »Boundingbad« oder »Mutter-Kind-Bad« genannt wird, ist ein Baderitual mit Tiefenwirkung. Die Grundidee ist eine Wiederholung des Geburtsverlaufs. Das Baby wird gebadet und der Mutter nass und nackt auf die Brust gelegt. Dann werden beide in warme Decken gehüllt und können in Ruhe und Frieden das Ankunftserlebnis nachholen. Das Bad soll das Baby an das warme Fruchtwasser erinnern, das direkte nasse und nackte Liegen auf Mamas Busen mit ausgiebigem Kuscheln die Geborgenheit direkt nach der Geburt nachholen. Es berührt beide auf der seelischen Ebene. Sie tun etwas Schönes, sind liebevoll miteinander, haben Zeit und Ruhe und gehen den Weg zurück zu ihrem gemeinsamen Ursprung. Dem warmen Wasser dürfen Rescuetropfen oder Wildrosenöl zugefügt werden, um Schocks und Verletzungen auflösen zu helfen. Das Baby kommt noch einmal bei seiner Mutter an, der Basis seines Urvertrauens, es fühlt und riecht, spürt den mütterlichen Herzschlag, hört ihre Stimme, und durch alle die Gefühle, die dann hochkommen wird die Versöhnung spürbar. Wenn das Baby ein Saugbedürfnis zeigt, soll dies unbedingt erfüllt werden, – also an die Brust legen oder ein Fläschen bereit halten. Gefühle helfen beim Heilungsprozess. Mutter und Kind dürfen weinen und erfahrungsgemäß ist es bei den Babys so, dass sie bei den ersten beiden Malen viel weinen und schluchzen, weil sie ihre Geschichte erzählen möchten. Das Heilbad sollte im wöchentlichen Rhythmus drei bis viermal wiederholt werden.

Rosaroter Herzfaden

Das dritte Ritual besteht in einer Imaginationsübung: dem rosaroten Herzensfaden. Die Mutter wird ermutigt, nicht nur in Gedanken mit ihrem Baby zu sprechen, sondern sich auch vorzustellen, dass von ihrem Herzen zum Herzen ihres Kindes ein rosaroter Liebesfaden verläuft, der immer bestehen bleibt. Das hilft besonders jenen Müttern, die nach der Geburt aus medizinischen Gründen von ihrem Baby getrennt wurden. Immer wenn die Mutter das Gefühl hat, den Kontakt zu ihrem Kind zu verlieren, kann die Verbindung über den unzerstörbaren Herzensfaden hilfreich und unterstützend sein.

Brigitte Meissners Rituale sind ein Hoffnungsschimmer am Horizont für alle, die das Gefühl haben, dass sie oder ihr Kind in irgendeiner Form durch Erlebnisse während der Schwangerschaft oder Geburt beeinträchtigt oder verletzt wurden. Wenn man auf die Zeichen des Kindes achtet und den Regungen des eigenen Herzens lauscht, dann wird eine Versöhnung möglich mit der Ankunft in dieser Welt.

Zur Autorin: Brigitte Renate Meissner lebt in Winterthur in der Schweiz. Sie ist Hebamme, Krankenschwester, Craniosacraltherapeutin und Seminarleiterin mit eigener Praxis.

Daneben hat sie mehrere Bücher mit dem Schwerpunkt Geburtsverarbeitung geschrieben. Sie ist Gründerin des Netzwerks Verarbeitung Geburt und gibt Craniosacralkurse für Hebammen über das Hebammenweiterbildungsinstitut  »Herztöne« in Deutschland.

Literatur: Brigitte Meissner: Emotionale Narben aus Schwangerschaft und Geburt auflösen: Mutter-Kind-Bindungen heilen oder unterstützen – in jedem Alter, Winterthur 2011

Link: www.geburtsverarbeitung.de

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