Neurodermitis – eine Krankheit unserer Zeit

Von Lüder Jachens, Oktober 2012

Immer mehr Kinder und Jugendliche erkranken an Neurodermitis. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Luft, Wasser und Nahrungsmittel sind stärker mit Schadstoffen belastet als früher. Dazu kommt die weit verbreitete Überwachheit und Nervosität.

Gesunde Ernährung beugt auch Neurodermitis vor. Foto: Charlotte Fischer

Der Ausschlag wandert mit dem Alter

Meist handelt es sich bei der Neurodermitis um zeitlich begrenzte Krankheitsverläufe mit unterschiedlich ausgeprägtem Beschwerdebild. Schon bald nach der Geburt tritt ein neurodermitischer Ausschlag auf, der meist vom Milchschorf auf dem Kopf eines Säuglings ausgeht. Betroffen sind bald das gesamte Gesicht sowie Hals und Nacken, später auch Handrücken und Handgelenke mit einem oft nässenden Ausschlag. Beim Kind zwischen drei und sieben Jahren sind dann vor allem die Streckseiten der Extremitäten befallen. Beim älteren Kind oder Jugendlichen (zwischen 7 und 21 Jahren) tritt das Ekzem verstärkt in den Ellen- und Kniebeugen auf. Der Ausschlag ist jetzt eher trocken, die Haut ist verdickt und juckt stark. Der Juckreiz kann den Nachtschlaf stören, was das gesamte Befinden beeinträchtigt. Stark vereinfachend kann man sagen, dass ein Ekzem in den Kniebeugen auf Probleme im Stoffwechsel, etwa eine Verdauungsschwäche, hinweist, während ein Ekzem der Ellenbeugen eher in der typischen »Übernervung« der Haut begründet ist.

Die westliche Zivilisation macht krank

Die Neurodermitis ist eine Erkrankung der hochindustrialisierten Länder westlicher Prägung. Sie tritt in Europa heute sechsmal häufiger auf als direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch in Japan ist die Neurodermitis häufig. Diese Tatsachen weisen darauf hin, dass die freie Marktwirtschaft mit der Optimierung von Produktionsabläufen, Konkurrenzdruck, Zeitmangel und Hektik zu den Bedingungen gehört, die dieses nervöse Hautleiden fördern. Ein Stichwort für die Entwicklung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist das »Wirtschaftswunder«. Hinzu ist in letzter Zeit zunehmend »High-Tech-Stress«, wie Handy-Klingeln und übermäßige Arbeit am Computer, gekommen. Die Umwelt, in die ein Kind heute hineingeboren wird, ist gegenüber derjenigen von vor hundert Jahren stark verändert: Neben der Belastung mit Schadstoffen (physische Beeinträchtigung) fehlen oft ein rhythmisches Alltagsleben und vitale Lebensmittel (Beeinträchtigung auf der Ebene des Lebendigen). Hinzu kommt eine Überlastung mit Sinnesreizen (seelische Beeinträchtigung). Spirituelle Heimatlosigkeit und das Fehlen einer religiösen Orientierung können Kraft auf geistiger Ebene fordern.

Bei kleinen Kindern ist heute nicht selten zu beobachten, dass sich bald nach der Geburt eine starke Offenheit gegenüber der irdischen Umgebung zeigt. Sie werden angezogen durch Elektrisches, technische Gegenstände und fein Differenziertes. Diese Kinder bringen eine Anfälligkeit mit auf die Erde, seelisch zu stark in die irdische Umgebung hineingezogen zu werden.

Ein anthroposophischer Lebensstil beugt vor

Was können Eltern tun? Welche Mittel haben sich, zum Beispiel bei erblicher Vorbelastung, zur Vorbeugung oder Linderung bewährt? Interessante Ergebnisse zu dieser Frage zeigte 1999 eine Studie aus Schweden, die Kinder einer Waldorfschule mit Staatschülern verglich und feststellte, dass Kinder aus Familien, die einen »anthroposophischen« Lebensstil pflegen (weniger Antibiotika, weniger fiebersenkende Medikamente, weniger Impfungen, mehr ökologische Kost), in deutlich geringerem Maße Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma aufwiesen als die Schüler der Vergleichsgruppe.

Heute wissen wir, dass das neurodermitische Hautproblem in der Verdauungsschwäche seine »Innenseite« hat. Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln können sich am Darm als Verstopfung, Durchfall, Blähungen, Völlegefühl oder Bauchschmerzen zeigen. Die Verdauungsschwäche basiert auf einer Verschiebung der Aktivität der Seele vom Stoffwechsel in das Nerven-Sinnes-System des Menschen. Die Sinne werden dadurch überwach (gesteigerte Seelentätigkeit nach oben außen) und die Fähigkeit des Darmes, ein Nahrungsmittel ganz abzubauen, ist geschwächt (verminderte Seelentätigkeit nach unten innen). Mögliche Unverträglichkeiten werden am besten ermittelt, indem das Nahrungsmittel zwei bis vier Wochen lang gemieden und danach wieder ausprobiert wird, um Unterschiede festzustellen.

Auch für den psycho-sozialen und pädagogischen Bereich gibt es verschiedene Anregungen: Es liegt auf der Hand, dass Kinder, die an neurodermitischen Ausschlägen leiden, ihre gesunde Haut als »schützende Hülle« (zumindest für einen bestimmten Zeitraum) verloren haben. Die entzündete, juckende Haut macht das Kind seelisch wund und verletzlich. Deshalb geht es vor allem darum, diese schützende Hülle so gut es geht zu ersetzen: Das heißt zuerst einmal, das Kind bedingungslos zu akzeptieren, mitsamt seinen Ekzemen und seiner gesteigerten Sensibilität. Ansonsten haben sich für die Hüllenbildung feste Rhythmen bewährt: Tisch- und Abendgebete, Gute-Nacht-Lieder und Märchen ernähren das Kind seelisch und geistig. Vom Rhythmus der Jahresfeste mit seiner immer wiederkehrenden Abfolge von Ereignissen kann sich das Kind tief innerlich und unbewusst getragen fühlen.

Salben hilft

Im akuten Fall geht es zunächst um die Linderung der Symptome: Grundsätzlich empfehlen wir fettende Salben für die trockene Haut – manchmal werden aber auch gerade fette Salbenzubereitungen auf der Haut nicht vertragen, dann sollte man durchlässigere feuchte Cremes ausprobieren. Rote, juckende oder gar nässende Ekzemstellen lassen sich durch abendliche Anwendungen von zinkoxidhaltigen Zubereitungen beruhigen. Bei akuten Ekzemschüben mit ausgedehnter entzündlicher Rötung und Neigung zum Nässen ist die entzündungshemmende Wirkung von fett-feuchten Umschlägen hilfreich (eine Creme kombiniert mit Kompressen mit Schwarztee). Darüber hinaus haben sich Öldispersionsbäder bewährt: Durch das Öldispersionsgerät, das auch im heimischen Badezimmer angewendet werden kann, wird ein medizinisches Öl (Olivenöl mit Kräuterzusätzen) so fein im Wasser verteilt, dass es in die tieferen Hautschichten gelangt und damit den Wärmeorganismus anregt und die Selbstheilungskräfte stärkt.

Die Anthroposophische Medizin setzt spezifische Arzneimittel ein, um den zu stark eingreifenden Abbaukräften des Nerven-Sinnes-Systems den Aufbau von Substanz im gesamten Organismus und speziell in der Haut gegenüber zu stellen. Als Minerale kommen potenziertes Silber (Argentum) oder Quarz sowie Bitterstoffe, wie zum Beispiel der Gelbe Enzian (Gentiana lutea) zum Einsatz. Auch Samenöle (Nachtkerzenöl) mit bestimmten ungesättigten Fettsäuren (vor allem Gamma-Linolensäure) können sinnvoll eingesetzt werden, um die Hautbarriere zu unterstützen und die Überempfindlichkeit an den Körpergrenzen zu mildern.

Entzündliche Zustände der Haut mit starkem Juckreiz, die auf sanft wirksame Medikamente nicht schnell genug reagieren, lassen sich mit einer zeitlich begrenzten Anwendung einer kortisonhaltigen Salbe zügig und zuverlässig beruhigen. Die Entzündung geht zurück und es ist Zeit gewonnen, dass die Heilmittel der anthroposophischen Medizin ihre Wirkung entfalten können. Nebenwirkungen einer derartig in ein umfassendes Therapiekonzept eingebetteten äußeren Anwendung von Kortison gibt es nicht.

Darüber hinaus wirkt auch das erweiterte Therapiespektrum der Anthroposophischen Medizin heilsam: Zum Beispiel gibt es heileurythmische Übungen, die eine Neigung zur Überempfindlichkeit der Sinnesorgane kompensieren, so dass sich bei regelmäßiger und längerer Anwendung eine »dickere Haut« bildet. Auch die künstlerischen Therapien können eine Hilfe für das neurodermitische Kind sein: So werden Wahrnehmung und Empfindung, die beim Neurodermitiker oft auseinander klaffen, wieder miteinander verbunden. Wie der Therapiemix im Einzelfall aussieht, wird gemeinsam mit dem Hautarzt entwickelt – und kann je nach Konstitution des Kindes und Ausprägung der Neurodermitis sehr individuell ausfallen.

Zum Autor: Dr. med. Lüder Jachens ist Hautarzt in Riga/Lettland.

Literatur: Lüder Jachens: Hautkrankheiten ganzheitlich heilen, Stuttgart 2009

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