Qualitätssicherung in der Krippe

Von Claudia Grah-Wittich, März 2016

Seit 2008 erleben wir in Deutschland einen Krippenboom. Auch die Waldorfbewegung zieht mit. Wie lässt sich Qualität in einem Bereich sichern, in dem es noch wenig Erfahrung und kaum Traditionen gibt? Claudia Grah-Wittich stellt ein Konzept vor, das im Pädagogisch-therapeutischen Zentrum und der Kindertageseinrichtung »der hof« in Niederursel praktiziert wird.

Foto: © Charlotte Fischer

Nicht Grundsätze und Wissen sind entscheidend für die Erziehung, sondern die Beobachtung der Kinder. Diese Anregung ist der Schrift »Erziehung des Kindes« zu entnehmen, in der Rudolf Steiner darauf hinweist, dass sich dann wie von selbst die pädagogischen Fragen beantworten werden. Wie ist das möglich? In der Praxis gibt es nicht die Zeit, Beobachtungen zu reflektieren, Wahrnehmungen zu präzisieren. Im Nachhinein wird schnell eine Situation aus der Sicht der guten Absicht, aus den eigenen Vorstellungen heraus interpretiert.

Die Arbeit mittels einer Kamera – die Einwilligung der Eltern und Kolleginnen vorausgesetzt – macht es möglich, eine Szene immer wieder anzuschauen, und durch diese Übung »Wahrnehmender« zu werden. Anhand von Filmszenen spreche ich nur über das, was ich sehe, nicht über das, was ich beabsichtigt habe. Die Pädagoginnen können so sehr viel über das Kind, seine Entwicklung und das eigene Handeln erfahren.

Es ergeben sich Hinweise auf die eigene innere Haltung zwischen guter Absicht und tatsächlichem Wirken anhand eines konkreten Geschehens. Die entscheidende Frage ist: Bin ich den Bedürfnissen des Kindes in einem bestimmten Augenblick gerecht geworden? Die Befriedigung für den Beobachter liegt darin, dass nicht über etwas gesprochen wird, sondern die Sache selbst sich angemessen zeigt. Dies wirkt sich unmittelbar auch positiv auf die Lebenskräfte der Erzieherinnen aus, ähnlich wie bei künstlerischen Bildbetrachtungen. Selbsterziehung als Basis der Erziehung wird dadurch sehr konkret möglich.

Innerhalb der Krippenberatung hat der »Arbeitskreis Kleinkind« viel mit dieser Methode gearbeitet, um die Erzieherinnen dabei zu unterstützen, die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern – und um Richtlinien zur Förderung der nötigen Qualitätsstandards zu entwickeln.

Das Kameraauge ist unbestechlich

Wir nutzen das Medium Kamera insbesondere zur Objektivierung in der Beratung, denn die gefilmten Szenen aus dem individuellen Ablauf einer Krippe werden zur Grundlage der Gespräche. Es hat sich bewährt, kurze Sequenzen einzufangen: »Wickeln von Emma«, »Streit Luise und Leon« oder »Ankündigung des Essens«. Solche Szenen stehen der Einrichtung auch nach der Beratung für die Weiterarbeit zur Verfügung. Wir bewerten und priorisieren die Sequenzen und finden so gemeinsam Lösungen für »neuralgische« Themen der Einrichtung oder Gruppe. Diese Themen oder Bedürfnisse der Pädagoginnen sind vorab besprochen worden.

Desweiteren schauen wir uns gelungene Interaktionen an, denn die Freude am Erfolg motiviert dazu, noch mehr zu verbessern. Das gründliche, immer wieder neue Wahrnehmen der Szenen verfeinert die Beobachtung, denn die Protagonisten sind angehalten, selber zu formulieren, was sie sehen, was sie dabei berührt und was sie gerne verändern möchten. Zum Schluss legen wir gemeinsam fest, an welchen Themen das Team bis zur nächsten Beratung weiterarbeiten will. Maßstab für alle Beurteilung ist das Kind selber: Ist es freudig, in Kontakt, oder aber auch: Wird es übergriffig behandelt? Das lässt sich nicht rein theoretisch abhandeln. Dazu zwei Beispiele:

• Wir beobachten, wie eine Kollegin Kindern im Vorbeigehen über den Kopf streicht. Aus dem Video wird erkennbar, dass es für das Kind eine Irritation bedeutet: Will da jemand etwas von mir?

• Wir beobachten, dass die Kinder nicht verbal aufgefordert werden zum Essen oder zum Wickeln zu kommen, sondern manchmal sehr spontan am Arm gegriffen und an den Platz geführt werden. An der Reaktion des Kindes kann im Video erkannt werden, ob dies für seine Entwicklung abträglich ist. Würden diese Beobachtungen hinterher nur geschildert oder in Bezug gesetzt zum aggressiven Verhalten der Kinder untereinander, hätten die Betreffenden diese zuvor beobachteten Handlungen verdrängt.

Da das Ganze aber auf dem Video festgehalten ist und die Protagonisten sich selbst sehen können, ist der Weg zur Veränderung nicht weit, weil es allen Pädagogen um das Wohl der Kinder geht. Es hat sich bewährt, dass in der Folge Inhouse-Weiterbildungen über grundlegende Themen stattfinden, die für das Verständnis der Krippenarbeit förderlich sind. Nach einem Einführungsseminar werden die Themen der Pflege, der freien Aktivität, von Spiel und Bewegung und der Sprache gesondert behandelt mit Videobeispielen aus der Arbeit. Auf diese Weise kann der zuvor beschriebene Weg anhand von konkreten Wahrnehmungen geübt werden. Die Arbeit mit der Kamera kann als Zwischenschritt angesehen werden – als Üben auf dem Weg des Pädagogen, sich selbst in der Arbeit so objektiv wahrzunehmen, wie das zunächst durch die Kamera geschieht.

Hinweis: Beispiele für Qualitätssicherung in der Krippe finden Sie hier: »Vogelnest« in Bramsche, Krippe in Diepholz.

Zur Autorin: Claudia Grah-Wittich ist als Diplom-Sozialarbeitern in der Frühförderung und Beratung tätig und verantwortlich für die Weiterbildung »Eltern beraten, Kinder neu sehen lernen« am »hof« in Frankfurt-Niederursel (nächster Kursbeginn Nov. 2016)

Kommentare

Theresa Grunwald, 15.03.16 06:03

Unglaublich das so ein Artikel in der Erziehungskunst erscheint, denn damit hat er nichts zu tun! Diese Form der Überwachung schadet einem gesunden Miteinander! Besonders in anthroposophischen Zusammenhängen sollten wir wachsam sein, was in so einem Fall auf uns zu kommt. Die Schulung und Selbsterziehung ist die, bewusst zu handeln und Selbstreflexion mit und ohne Eltern und Kollegen zu kultivieren, ständig der eigene Beobachter zu sein und dadurch lebenslang lernen! Das muss ohne den Einsatz von Technik möglich sein... Dieser Artikel erzeugt massive Verwunderung und Irritation unter vielen Waldorfpädagogen und -Pädagoginnen.

Stefanie Rabenschlag, Lambrecht, 27.04.18 11:04

Bald zwanzig Jahre habe ich als Pflegemutter für Jugendämter gearbeitet. Anfangs gab es kaum Hilfe durch das Jugendamt, außer die obligatorischen Hilfepläne einmal im Jahr. Mein jüngstes Pflegekind wird im Mai fünf. Er kam mit sieben Monaten zu mir, geboren als Extremfrühchen mit 540g. Seit anderthalb Jahren habe ich einmal im Monat ein Gespräch, das mich in meiner pädagogischen Arbeit unterstützen soll.
Als ich nun diese Möglichkeit der Selbstreflexion mit der Kamera las, fand ich darin das, was ich schon lange dachte: Ich möchte einmal gefilmt werden in den herausfordernden Situationen, möchte es ansehen und dadurch einen Fuß in die Tür meiner Reaktionen bekommen.

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