Wohin mit den Kindern heute?

Von Claudia Grah-Wittich, September 2014

Die kontroversen Diskussionen rund um die Krippe reißen nicht ab. Die Argumente pro und kontra sind nicht vereinbar, trotz gemeinsamer menschenkundlicher Grundlage.

Foto: © Tommy Windecker / photocase.de

Die einzig vertretbare Herangehensweise ist, das Thema »Krippe und kindliche Entwicklung« sachlich darzustellen und die Betroffenen selbst entscheiden zu lassen. Dazu gehört das Vertrauen, dass jeder selbst in der Lage ist, für seine Entscheidung Verantwortung zu übernehmen. Alles andere wäre dogmatisch oder ideologisch.

Gehen wir von der Tatsache aus, dass während der Schwangerschaft der Mutterleib die günstigste Umgebung für das Kind ist und von der Beobachtung, dass das Kind sich in drei Phasen der Schwangerschaft in einem schwächer werdenden Abhängigkeitsverhältnis zur Umgebung, dem Leib der Mutter befindet:

• bis zur 12. Woche ist das Abhängigkeitsverhältnis existenziell;

• bereits am Ende des zweiten Drittels, ab der 24. Woche, wäre der Mutterleib schon im Notfall durch ärztliche und technische Hilfe ersetzbar;

• nach der Geburt kommen dem physischen Leib des Kindes die bildenden Kräfte von außerhalb des Mutterleibes zu.

Einen vergleichbaren Prozess kann man in den ersten sieben Lebensjahren beobachten: Die eigenständigen Lebenskräfte des Kindes reifen heran, werden immer unabhängiger und können schließlich seelische und später geistige Inhalte aufnehmen und integrieren. Ebenso wie bei der Schwangerschaft können wir hier davon sprechen, dass die Abhängigkeit der Lebens- und Bildekräfte des Kindes von der Lebenskräfte-Hülle seiner Umgebung abnimmt.

Während in der physischen Schwangerschaft der Embryo neun Monate lang den Leib der Mutter braucht, brauchen die folgenden Entwicklungs- und Reifungsabschnitte jeweils ungefähr ein Jahrsiebt.

Im ersten Jahrsiebt nach der Geburt stellen die Eltern die erste angemessene Umgebung für die Lebenskräfte des Kindes dar, stammt doch sein Leben aus ihnen. Erst in einem nächsten Schritt können dann andere Bezugspersonen eingebunden werden.

Die Schwangerschaft und das erste Jahrsiebt folgen dem gleichen Rhythmus:

• Die erste etwas über zwei Jahre andauernde Phase (ein Drittel eines Jahrsiebts) entspräche der ersten Zeit der Schwangerschaft, in der die heranreifenden Lebenskräfte stark von ihrer Umgebung abhängen.

• In einer zweiten Phase, ab etwa viereinhalb Jahren (das entspräche ungefähr der 24. Woche der physischen Schwangerschaft) wäre ein Leben außerhalb der gewohnten Lebenshüllen (der ätherischen Umgebung) unter optimierten, unterstützenden Bedingungen möglich.

Damit läge selbst der Eintritt in den Kindergarten mit vier Jahren noch in der Zeit, die im übertragenen Sinne dem ätherischen Brutkasten entspräche. Das optimale Alter für eine Übergabe in einen anderen Sozialraum würde also erst bei etwa viereinhalb Jahren liegen – wie ursprünglich für den Kindergarten vorgesehen.

Um den vorhandenen kindlichen Entwicklungsbedürfnissen dennoch gerecht zu werden, müssten die Entwicklungsbedingungen für diese Lebensphase von den Betreuungseinrichtungen nachgebildet werden.

Was bedeutet das für die Gestaltung von Einrichtungen? Welche Bedingungen müssen sie für unter Dreijährige erfüllen, damit sich die Kinder ätherisch entwickeln können?

Anstatt darüber zu urteilen, was für Familien, also für Eltern und ihre Kinder, das Richtige ist, sollten wir uns darauf konzentrieren, optimale Bedingungen für diesen Lebenszeitraum in den Familien oder auch in Betreuungseinrichtungen herzustellen! Dies gilt nicht nur für die Krippen, sondern auch für die Kindergärten.

Für das kleine Kind und seine Familie gibt es nicht nur die Krippe als Lösung – auch Tagesmütter, Spielgruppen bis zum frühen Mittagsschlaf (11:00 Uhr) oder Eltern-Kind-Gruppen müssen als mögliche Formen der Kinderbetreuung und Familienunterstützung bedacht werden, damit der Einzelne eine Basis für seine Entscheidung hat.

Krippen sind nicht mehr wegzudenken aus der Gesellschaft. Sie machen uns als Gesellschaft vielmehr wach für die Verantwortung im Hinblick auf den sensibelsten Bereich im Lebenslauf des Menschen, der sich bisher immer gut geschützt im Privaten abgespielt hat: für die drei ersten Lebensjahre.

Wir brauchen sowohl hochwertige Krippen, die die Lebens­kräfte schützen, pflegen und fördern, als auch vielfältige, offene und liberale Elternbildungsangebote, durch die Mütter und Väter ermuntert werden, den Elternberuf auf Zeit für sich in Erwägung zu ziehen.

Zur Autorin: Claudia Grah-Wittich, studierte Philosophie und Kunstgeschichte. Als Dipl. Sozialarbeiterin ist sie in der Frühforderung und Elternberatung am »hof« in Niederursel/Frankfurt, Krippenberatung sowie als Dozentin tätig. E-Mail: c.grah-wittich(at)der-hof.de

Literatur: Rudolf Steiner: Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft, Dornach 2011

Weiterbildung: »Eltern beraten – Kinder neu sehen lernen« (www.der-hof.de). Der Schwerpunkt der Weiterbildung ist das Erwachsenenlernen, die Selbsterziehung der Erwachsenen und die Befähigung zu einer guten Elternpartnerschaft neben menschenkundlichen Inhalten und der Methodik-Didaktik der Kleinkindpädagogik. Beginn: im November 2014. Infomaterial: a.staudacher(at)der-hof.de

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