Fußball ist was für Materialisten

Von Michael Birnthaler, November 2013

Replik auf den Leserbrief »Verbotene Lebensrealität« von Achim Ranz in »Erziehungskunst« 9/2013 zum Thema Fußball.

Sehr geehrter Herr Ranz,

wenn ich Sie richtig verstanden habe, hätten Sie sich eine ausführliche menschenkundliche, pädagogische und sportwissenschaftliche Darstellung der gesamten Fußballthematik gewünscht.

Zu ihren Fragen liegen – wie in dem Literaturverzeichnis angegeben – bereits einige Beiträge in der Zeitschrift »Erziehungskunst« vor. Beispielsweise bin ich da auch ihrem Hinweis, dass das Fußballspiel seine historischen Wurzeln in einem »Totenkopfspiel« habe, auf den Grund gegangen. Ebenso hatte ich mit originalen Quellenangaben nachgewiesen, dass das Verbot des Fußballspielens an Waldorfschulen auf einem bedauerlichen Gerücht beruht. Zwar konnte ich als Sportlehrer an verschiedenen Waldorfschulen erleben, dass Fußballspielen dort bis heute noch verboten oder verpönt ist. Und genau wie Sie konnte ich beobachten, dass dies bei den Schülerinnen und Schülern zu der Einstellung führt, dass Waldorfschulen weltfremd seien. Aber Steiner selbst hat nie ein Fußballverbot ausgesprochen, sondern für Toleranz geworben, um gerade nicht in den Verdacht des Dogmatismus und der Weltfremdheit zu geraten.

Andererseits hat Steiner massiv vor den schädlichen Folgen des Fußballspiels gewarnt:

»Ja, es gibt heute Sportsleute, die gehen unter Umständen … rasch einmal morgens in die Kirche, da beten sie. … Dann gehen sie auf den Sportplatz. Ja, da sprechen sie es nicht mit Worten aus, aber was sie da tun, wenn man es in Worte fasst, so heißt das: Ich glaube ja nicht an einen Gott im Himmel. Der hat mir den Ätherleib gegeben, aber von dem will ich nichts wissen. Ich glaube an Fleisch und Knochen, das ist meine einzige Seligkeit. – Sehen Sie, das ist natürlich die notwendige, unbewusste Folge desjenigen, was heute getrieben wird. Nicht bloß dadurch, dass man sagt, man will nichts wissen vom Geistigen, ist man Materialist, sondern durch solche Sachen, durch die man den ganzen Menschen losreißt vom Geistigen.«

An anderer Stelle polterte er gegen den Fußball, wie sonst selten: »Es ist um aus der Haut zu fahren, wenn man all die modernen Sportgeschichten wie zum Beispiel Fußball und so weiter sieht, wie sie den Menschen mechanisieren und ihm nichts von dem einfügen, was in ihm geistig ist, so sehr man sich das auch einbildet. Alles, was man da anstrebt, ist ja ein Hohn auf das Geistige, so gut es auch gemeint ist.«

Sie haben angezweifelt, dass Fußballspielen tatsächlich so sehr die Gewaltbereitschaft fördert, wie ich behauptet habe. Die Fakten sprechen jedoch ihre eigene Sprache. Jeder dritte Bereitschaftspolizist in Deutschland wird nur noch für den Fußball eingesetzt! Kaum auszudenken, was passieren würde, wenn das Drittel deutscher Polizei plötzlich nicht mehr den gewalttätigen Fußballmob in Schach halten würde! Soziologen sind sich sicher, dass dann der Ruhrpott schnell brennen würde wie eine Fackel und es in den großen Fußballstädten bürgerkriegsähnliche Zustände geben würde. Es ist »um aus der Haut zu fahren«, wenn man realisiert, wer das gewaltige Polizeiaufgebot beim Fußball zu bezahlen hat: – Richtig, der Steuerzahler. Nicht auszumalen, was mit diesen Milliardensummen im Schulwesen alles bewirkt werden könnte.

Wer für die Fußballweltmeisterschaft in der Fußballrepublik Brasilien gewappnet sein will, kann sich hier näher informieren: www.11-feinde.de eine entstehende Plattform für fußballkritische Zeitgenossen.

Literatur:

M. Birnthaler: »Eigentore in Sache Fußball«, »Erziehungskunst« 3/1997, »Der Streit um den Fußball«, »Erziehungskunst« 6/1996; R. Steiner: Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? GA 350, Vortrag vom 30. 5. 1923, Dornach 1980, S. 28.; Ders.: Okkultes Lesen und okkultes Hören, GA 156, Dornach, 2003; L. Gartenschläger: Fußballklubs sollen bald für Polizeieinsätze zahlen. In: welt.de, 8.12.2012

Kommentare

Astrid , 10.11.13 11:11

#Fußball und #Waldorfschule : immer noch ein Rätsel warum das nicht zusammengeht. Ich als Fußballfan empfinde es als Verallgemeinerung, wenn man Fußballfans und Fußballspielern unterstellt, man konzentriert sich nur auf körperliche Aspekte im Leben. Für einen Sportler ist es einfach wichtig, sich auf den Körper zu konzentrieren. Auch die Unterstellung, dass Fußball zu Gewalt führt finde ich einseitig: Sicher gibt es immer wieder faule Eier, die sich diversen Ultras anschließen. Aber der Durchschnittsfan, der seine Kinder mit zum Rapid Wien Match nimmt, ist nicht gewaltbereit. Man will sich entspannen und Spaß haben. Schade, dass das viele "Waldis" noch immer nicht so sehen können. Ultras und Hyperwaldis- sie sind doch nicht so weit von einander entfernt...

Manu , 18.11.13 16:11

Ich finde es einfach traurig, dass in dem gesamten Artikel, kein Wort über die positiven Seiten des Fußball geschrieben steht! Ich als Elftklässler einer Waldorfschule habe das Glück, eine offene Schule zu haben, an der viel Fußball gespielt wird und dies ist der einzige gemeinsame Nenner aller Klassen. Wenn ich nun in der Pause mit Erstklässlern spiele, geht es mir rein um den Spaß und den Austausch mit den Kleinen und ich finde es absurd zu behaupten, Fußball schadet einem Kind. Außerdem hat der Fußball ein riesiges integratives Potenzial! In meinem Verein spielen zum Beispiel viele Ausländer und wir verstehen uns als Team super, auch wenn es mit der Sprache nicht so klappt. Das spielt in dem Fall keine Rolle.
Die Formulierungen wie "Gewaltbereiter Fußballmob" oder "bürgerkriegsähnliche Zustände" sind komplett irreführend und Falsch verwendet! Die Problematik zwischen Fußballfans und Polizei ist wesentlich komplexer, als sie es dargestellt haben. Aber dieser Konflikt betrifft 5% aller Fußballfans, der Rest ist an dem Spiel und den taktischen Fähigkeiten interessiert. Es gibt pro Fußballspiel durchschnittlich eine leicht verletzte Person, was aber bei Massenveranstaltungen immer der Fall ist und bei anderen Spektakeln (Konzerte, Oktoberfest) wesentlich schlimmer ist! Fußball ist Integrativ, verbindet viele Meschen und macht Spaß. Das inoffizielle Verbot an Waldorfschulen macht also keinen Sinn und ist meiner Meinung nach peinlich und realitätsfern!

Sam , 19.11.13 16:11

Man sollte von einem promovierten Pädagoge erwarten, dass er zwischen der Sportart und einem sozialen Phänomen unterscheiden kann und dies nicht durcheinanderwürfelt. Nach Ihrer Argumentationslogik könnte man dann auch den Fußball für die Steuerhinterziehung von Hoeneß verantwortlich machen.
Hier sollte man sich ertsmal klar werden, wie man ein Urteil fällt und welchem Thema. Von Argumneten Steiners sollte man sich vielleicht endlich mal emanzipieren.

NiK Kohl, Dortmund, 06.12.13 22:12

Ausgangspunkt dieser Diskussion ist ein Kommentar. Wissenschaftliche Standards sind hier nicht zu erwarten. Ich teile alle Kritik und bin beeindruckt ob der geringen Trennschärfe der Argumente. Wissenschaftlichkeit tut im Diskurs über Waldorfpädagogik Not (vgl. Schieren, J. 2011). In dieser Beziehung sollte die Erziehungskunst Standards setzen und die Artikel des jeweiligen Themenschwerpunkts einem Reviewprozess unterziehen. Irritationen würden so vermieden und Qualität gesichert.

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