Die Frage ist (nur):
Haben wir ein Bewusstsein von dem Vorgang, der durch das Schenken ausgelöst wird – wenn ja, welchen, wenn nein, warum nicht? Um an diese Fragen heranzukommen bietet sich ein kleiner Test an:
Kategorisieren Sie folgende Vorgänge nach ihren sozial-ökonomischen Qualitäten. Welchen Vorgang sehen Sie als einen Schenkvorgang an und messen ihm eine besondere sozial-ökonomische Qualität zu? Je Vorgang, den Sie als einen Schenkvorgang betrachten, können Sie einen Punkt vergeben.
Kategorie A
1. Das Herausstellen von Sperrmüll.
2. Die gerichtlich verordnete Bußgeldzahlung.
3. Das Mitbringsel aus dem vierwöchigen Schwarzwald-Urlaub. (Schau, ich hab’ an dich gedacht und was Schönes mitgebracht …).
4. Die Einladung zum Dia-Abend (über den vierwöchigen Schwarzwald-Urlaub).
5. Die Gegeneinladung: Privat-Lesung aus dem (bisher noch) unveröffentlichten eigenen Gedichtband (ca. 100 Gedichte).
Kategorie B
6. Einen freundlichen Blick schenken …
7. Aufmerksamkeit schenken …
8. Fähigkeiten schenken …
9. Zeit schenken …
10. Gehör schenken …
Kategorie C
11. Die Ausbildungs- und Studienunterstützung.
12. Die Förderung des freien Geisteslebens, von Kunst und Kultur.
13. Die Vererbung.
14. Die Gründung einer Stiftung.
15. Einen kleinen Beitrag in der Zeitschrift Erziehungskunst schreiben.
Auswertung:
eine kleine Auswahl von Schenkertypen.
Zählen Sie die von Ihnen vergebenen Punkte zusammen – auch differenziert nach den genannten Kategorien. Viel Glück bei der Auswertung.
Sie haben vergeben …
15 Punkte: demnach dürften Sie eigentlich – materiell gesehen – nichts mehr besitzen (und werden wohl Ihrerseits zukünftig auf fremde Gaben angewiesen sein). Sie haben sich – sozial gesehen – voll und ganz der Welt zur Verfügung gestellt; also: eigentlich alles richtig gemacht. Kommen Sie gut über die Runden – Ihnen alles Gute weiterhin.
0 Punkte: Sie sollten den Test nochmals – mit mehr Zeit und innerer Ruhe – machen. Oder alternativ folgende Bücher lesen: Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs; Rainer Hank: Erklär mir die Welt; GLS Treuhand e.V. (Hrsg.): Da hilft nur Schenken.
5 Punkte in der Kategorie A: Sie sind eher der Gebertyp – Sie geben eher etwas von sich ab oder sehr gerne preis, als dass Sie andere beschenken. Das ist nicht schlimm – vielleicht nur etwas einseitig ausgeprägt. Tipp: Überprüfen Sie nochmals diese Haltung (hilfreich könnte auch sein, Ihre Umwelt diesbezüglich zu Rate zu ziehen).
0 Punkte in der Kategorie A: Sie leben offensichtlich allein auf einer einsamen Insel und haben keine Sozialkontakte – dementsprechend gibt es für Sie kein Geben und Schenken. Eigentlich hätten Sie den Test gar nicht machen brauchen. Trotzdem (oder gerade deswegen): vielen Dank für Ihre Teilnahme. Ihnen herzlichst alles Gute.
5 Punkte in der Kategorie B: Sie sind der Typ, den alle um sich herum haben wollen: als Kollege, als Nachbar, als Lebenspartner, als Chef, als Mitreisender, als Teilnehmer im Straßenverkehr … Von Ihnen träumt der freundliche GEZ-Mitarbeiter, wenn er den Klingelknopf an der Haustür drückt. Frage an Sie: Wie machen Sie das bloß? Kann man das lernen – oder kommt man so schon auf die Welt?
5 Punkte in der Kategorie C: Sie haben die Idee der Sozialen Dreigliederung wirklich verstanden (damit dürfen Sie sich zu einem auserwählten, kleinen Kreis zählen – herzlichen Glückwunsch!). Bitte verbreiten Sie Ihre Kenntnisse rasch und unaufhaltsam. Wenn Sie jetzt auch noch gut reden können – dann sind Sie unser Hoffnungsträger für alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen.
1 Punkt beim Schenkvorgang 15: Der Dank der Redaktion wird Ihnen gewiss sein.
Ein Tipp dazu: Tragen Sie sich in Ihren Kalender im Vorfeld doppelt so viel Zeit ein, wie Sie eigentlich haben oder ursprünglich veranschlagt hatten – Ihre Nerven und Ihre Gesundheit werden es Ihnen danken.
Schlussbemerkung:
Schenken neu denken …
… heißt vor allem:
• Der Schenkvorgang gehört genauso zum volkswirtschaftlichen Prozess wie der Kauf- und der Leihvorgang
• Die ökonomische Qualität des Schenkens ist nicht von der sozialen Komponente lösbar: Schenken ist praktizierte Sozial-Ökonomie.
• Der einzelne Schenkvorgang ist sozial einmalig, nicht wiederholbar, nicht rückgängig zu machen (»Geschenkt ist geschenkt, wieder genommen ist gestohlen«).
• Schenken ist die Brücke zwischen Vergangenem (Gewordenem) und Zukünftigem (frei Werdendem), also: die – freie – Übertragung von Gewordenem auf ein (unsicher) zukünftig Werdendes.
• Schenken hat insbesondere dann eine sozial-ökonomische Qualität, wenn es erwartungsfrei geschieht und »das Erschließen neuer Räume« fokussiert.
• Schenken auch losgelöst von Materiellem zu sehen: Zeit, Ideen, Empathie, Teilhabe, Zuwendung, … schenken – das sind neue, zukunftsweisende Geschenke. Auch, oder gerade, für eine Volkswirtschaft, die materiell »ausreichend versorgt« ist.
… umfasst:
• die Sinnqualität – Schenken mit Sinn
• die Bewusstseinsqualität – Schenken mit Bewusstsein
• die Anregungsqualität – Schenken, um anzustoßen
• die Interessenqualität – Schenken aus »Interesse für den Anderen«
• die Eröffnungsqualität – Schenken, um die Eröffnung (noch) unsichtbarer Räume zu ermöglichen
• die Erwartungsqualität – Schenken ohne Erwartung (zum Beispiel Dankbarkeit als »Gegengeschenk«).
Zum Autor: Prof. Dr. Steffen Koolmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Ökonomie und Gesellschaft im Fachbereich Wirtschaft an der Alanus Hochschule und Prorektor, Leiter des Instituts für Bildungsökonomie, Mannheim, und freiberuflicher Berater für gemeinnützige Organisationen (Institut für Sozialwirtschaftliche Unternehmensführung). Kontakt: steffen.koolmann@alanus.edu