Geigenbauer von Königs Gnaden

Lorenzo Ravagli

Könige gibt es zwar keine mehr in Bayern, aber die Geigenbauer, die eigentlichen Könige von Mittenwald, stellen immer noch ihre Instrumente her. Gebaut werden an der staatlichen Berufsfachschule nicht nur Geigen, sondern auch Celli, Zithern, Gitarren und Trompeten. Frederik Habel, der Direktor, der mich an diesem verschneiten Dezembertag durch die Schule führt, gibt bereitwillig Auskunft über das exklusive Kunsthandwerk und seine Finessen. »Besonders gut absolvieren in der Regel die Waldorfschüler die Aufnahmeprüfung«, meint der Direktor, der selbst Waldorfschüler war. Nach seiner Schulzeit in der Freien Waldorfschule Filstal erlernte Habel an der Mittenwalder Schule das Geigenbauerhandwerk, studierte anschließend an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Zwickau und arbeitete dann einige Jahre in der freien Wirtschaft. Dort lernte er als Vermittler zwischen Holzerzeugern, Instru- mentenbauern und Kunden die globalen Facetten dieses Wirtschafts-zweigs kennen. Wo kommen die Hölzer her, die in die Instrumente verbaut werden, zu denen nicht nur Ahorn und Fichte gehören, sondern auch Palisander und andere exotische Arten? Und ist es ethisch vertretbar, dass die Instrumente, auf denen später Weihnachts­oratorien erklingen, im fernen Ausland manchmal unter fragwürdigen Bedingungen entstehen? Mit solchen Fragen musste er sich damals beschäftigen. Schließlich wurde Habel Direktor in Mittenwald. Hier unterrichtet er, neben seiner vielseitigen Tätigkeit als Schulleiter, technisches Zeichnen.

Die meisten Schüler, die Instrumentenbau erlernen, sind zwischen 16 und 22 Jahre alt und kommen aus der ganzen Welt. Unter ihnen sind Hauptschüler und Abiturienten. Allen ist die handwerkliche und musikalische Begabung gemeinsam. Denn wer aufgenommen werden will, muss eines jener Instrumente spielen, die hier gebaut werden. Die Schüler erhalten nicht nur Unterricht in handwerklichen Techniken, sondern auch Musikunterricht. Hobeln, Feilen und Sägen gehört ebenso dazu, wie  Quartettspielen oder Orchestermusik. In den Werkstätten herrscht kurz vor Weihnachten reges Treiben. Hier werden Geigenböden gehobelt, dort Hölzer zurechtgebogen oder verleimt, eine Zither wird gestimmt und ein jüngerer Schüler baut gerade einen Holzschlitten – was allerdings nicht zum regulären Unterrichtsprogramm gehört. Ein Meister belehrt mich darüber, dass die Lacke und Harze für die Holzinstrumente alle selbst hergestellt werden. Besondere Mischungen und Geheimnisse, uralte Erfahrungserkenntnisse, wohin man sieht. Woher weiß ein Geigenbauer, ob das Instrument, das er herstellt, gelingt, wo er es doch nie hört, bevor es fertiggestellt ist? Falsch – er hört es doch, er kann nämlich auf das Holz klopfen und hört an seinem Ton, ob es gut werden wird oder nicht. Die Schüler werden in Mittenwald in sieben Semestern einer gründlichen Ausbildung unterzogen, zu der auch alle nötigen theoretischen Unterrichte gehören. Sie wohnen hier im Ort, meist in Wohngemeinschaften. Mit der Abschlussprüfung  erhalten sie den Gesellenbrief, nach einigen Jahren Wanderschaft können sie hier auch die Meisterprüfung ablegen. Es gibt nicht nur die Berufsfachschüler, die in Mittenwald wohnen und arbeiten, sondern auch Berufsschüler, die blockweise zu Besuch kommen und ansonsten in ihren Ausbildungsbetrieben irgendwo in Deutschland in einem Lehrverhältnis stehen. Insgesamt werden derzeit 115 Aus­zubildende von 14 Lehrkräften unterrichtet.

Was beim Gang durch die Werkstätten besonders auffällt: Hier gibt es niemanden, der nur an einem Stück Holz herum­hobelt, sondern alle arbeiten an Instrumenten. Das gehört zur Philosophie des Hauses: Die Lehrlinge sollen gleich von Anfang an die verantwortungsvolle Arbeit an wirklichen Instrumenten kennenlernen, die später auch verkauft und gespielt werden können. Und alle müssen alles können. Hier ist sich die Schule treu geblieben. Denn König Maximilian II. hat sie zu einer Zeit gestiftet, als der Kapitalismus in Mittenwald Einzug hielt. Ein paar unternehmerische Geister hatten angefangen, Instrumente in Akkordarbeit herzustellen, wobei sie alle möglichen Einzelteile in unterschiedlichen Werkstätten anfertigen ließen. Der Meister, der ein Instrument von Anfang bis Ende selbst baut, schien der Vergangenheit anzugehören. Doch der König schob mit der Gründung der Schule dem einen Riegel vor. Heute werden hier qualitativ hochwertige Instrumente hergestellt und die Schule genießt Weltruf.

Besucher heißt sie willkommen, auch Klassen der Oberstufe hilft sie gerne bei der Berufsfindung. 

Link: www.instrumentenbauschule.eu