Gelassenheit, Mut, Weisheit

Nele Auschra

Es wird dem US-amerikanischen Theologen und Philosophen Reinhold Niehbur (1892–1971) zugeschrieben. Nicht weil ich es oft gelesen oder gehört hätte – der darin enthaltene, tiefe Wahrheitsgehalt drängte sich mir wieder und wieder von innen auf. Durchdenke ich die Worte, führen sie mich unnachgiebig immer auf mich selbst und mein Handeln zurück. Man kann um diese Qualitäten bitten und es womöglich dabei bewenden lassen – ja. Doch bin ich es selbst, die diese Qualitäten entwickeln, schärfen und pflegen muss. Sie haben keine Reihenfolge, sie haben keinen Anfang und kein Ende, und der Schulungsweg ist ein ständiger Begleiter. Die Weisheit führt stets aufs Neue zur Entscheidung zwischen Handeln und Geschehenlassen. Der Mut führt den Willen zum Handeln, die Gelassenheit lässt Gefühle zur Ruhe kommen und die nötige Kraft schöpfen. Alle drei bedingen sich gegenseitig: Nur im Verbund in uns schaffen sie das, was sein muss: Veränderung und Weiterentwicklung in der Welt zum Wohlergehen aller Beteiligten.

Es sind nicht Gefühle wie Wut und Ärger, die Veränderung schaffen. Erstere hat zerstörerisches Potential, letzterer die Anlage, mich erstarren zu lassen. Die Menschen, Situationen oder Dinge, auf die ich diese Gefühle richte, werden nicht in Resonanz mit mir treten. Sie kommen schnell, diese Gefühle, ohne Anstrengung. Sie gaukeln Leben vor, Bewegung, Aktivität – jedoch ohne Potential für eine gesunde Entwicklung.

Ich möchte den drei Qualitäten eine vierte hinzufügen: Offenheit. Offenheit für Dinge und Menschen, für Prozesse und Projekte, für jede Form der Zusammenhänge im Leben. Mit fortschreitender Lebenserfahrung werde ich in meinem Umfeld häufig einer entgegengesetzten, nach innen weisenden Bewegung gewahr: Die Offenheit und Neugierde eines Kindes hat sich über Abgeklärtheit und Diskussionsfreudigkeit rund um den eigenen Standpunkt hin zu einer resignativen, abschließenden Haltung verändert. Wie einfach ist es doch, das Schlechte in der Welt als Fakt hinzunehmen, die eigene Handlungsunfähigkeit als gegeben anzusehen. Wie auch Ärger und Wut ist Resignation einfach und es kostet keine inneren Mühen. Hier ergibt auch das Gebet von Reinhold Niehbur keinen Sinn mehr, denn ich resigniere in meinem Ärger.

Nutzen wir an unseren Schulen alle Möglichkeiten, ausgehend von der Neugierde des Kindes, die jungen Menschen in der Ausbildung und Entwicklung dieser vier Qualitäten zu unterstützen! Wecken wir in ihnen die Weisheit, herauszufinden, was der Einzelne ändern kann. Fördern wir in ihnen den Mut und die Liebe zum Handeln – als Chance für Friedensfähigkeit und deren Grundlage, die Offenheit für den anderen Menschen und die Anerkennung seines Wollens.

Nele Auschra ist Mitglied im Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen und im Beirat der Erziehungskunst.