Gewaltfreie Kommunikation in der Schule

Jumana und Emilia Mattukat

Jumana Mattukat | Wie erklärst Du Gewaltfreie Kommunikation einem Freund?

Emilia Mattukat | GFK ist eine Art und Weise, mit Konflikten und schwierigen Situationen umzugehen. Du blickst dabei erst einmal neutral und ohne Bewertung auf die Konfliktsituation und fragst Dich dann erst selbst, wie Du Dich gerade fühlst und warum Du Dich so fühlst, also welche Bedürfnisse bei Dir nicht erfüllt sind und was Du Dir wünschst. Du versuchst Dich in die andere Person in diesem Konflikt hineinzuversetzen und überlegst, wie sie sich gerade wohl fühlt und welche Bedürfnisse bei ihr gerade nicht erfüllt sein könnten.

EM | Wie erklärst Du GFK in Deiner Konfliktbegleitung?

JM | Meistens beginne ich damit, dass GFK das am häufigsten eingesetzte Konfliktlösungsmodell weltweit ist, das von Marshall Rosenberg entwickelt wurde. Rosenberg hat in seiner Kindheit zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Während er zu Hause ein liebevolles Miteinander erlebte, in dem sich die Familienmitglieder mit Fürsorge und Empathie begegneten, machte er in der Schule eine gegenteilige Erfahrung. Dort wurde er verbal und körperlich schikaniert.

Er fragte sich, wie dieses unterschiedliche Verhalten ihm gegenüber zustande kommen konnte: »Warum behandeln sich Menschen mal voller Liebe und mal voller Hass?« – Die Schlussfolgerung, die er aus seinen Beobachtungen zog, ist eine der Grundannahmen der GFK: Konflikte entstehen dann, wenn Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Er ging also davon aus, dass in seiner Familie vorwiegend die Bedürfnisse der Einzelnen erfüllt wurden, während dies bei seinen Klassenkameraden eher nicht der Fall war.

Danach gehe ich weiter in die Details und spreche über bedürfnisorientierte Sprache.

JM | Wie hast Du die GFK kennengelernt?

EM | An meiner Schule gibt es eine Lehrerin, die auch GFK-Trainerin ist. Sie hat Workshops zu dem Thema angeboten und dann auch die GFK als wöchentliches Schulfach geleitet. Wir älteren Schüler haben außerdem einmal im Jahr eine viertägige Seminarfahrt gemacht, bei der wir die Möglichkeit hatten, noch tiefer in das Thema einzutauchen und unsere eigenen Konflikte zu bearbeiten. Das war für viele ein echtes Highlight.

EM | Und Du?

JM | Mein erster Kontakt war ein Aha-Erlebnis, das so einprägsam war, dass ich mich seitdem nicht nur intensiv mit der GFK befasste, sondern sie inzwischen selbst in meine Arbeit integriert habe. Eine befreundete GFK-Trainerin erklärte mir das Modell anhand der Lösung eines Konfliktes mit den sogenannten vier Schritten der GFK: Beobachtung – Gefühle – Bedürfnisse – Bitte.

Kurze Zeit darauf ärgerte ich mich sehr über einen Menschen. Statt dieser Person einen Vorwurf zu machen, zog ich mich mit dem gerade Gelernten zurück und ging zur Selbstklärung die vier Schritte einmal durch.

Alleine durch den ersten Schritt – die bewertungsfreie Beobachtung – wurde mir klar, wie stark wir für gewöhnlich unsere Gefühle auf andere projizieren und ihnen die Schuld dafür geben, wenn es uns nicht gut geht. Die GFK lädt uns dazu ein, die vollständige Verantwortung für unsere Gefühle zu übernehmen. Natürlich werden wir auf uns selbst zurückgeworfen, wenn wir nicht mehr andere für unsere Gefühle verantwortlich machen. Dies mag erst einmal herausfordernd sein, birgt aber ein großes Freiheitspotential in sich und ist für mich nach wie vor eines der größten Geschenke dieser Form der Kommunikation.

Auch in meiner beruflichen Praxis erlebe ich, wie diese häufig zum ersten Mal angewendete neue Form der Kommunikation zu einem echten Kulturwandel in Beziehungen, Familien und Unternehmen beiträgt.

JM | Was machst Du damit in Deinem Alltag?

EM | Ich kann beobachten, wie ich es umsetze, aber leider seltener als ich es mir wünsche. Ich denke nicht immer daran und manchmal fällt es mir auch schwer, wenn ich wütend bin, mich auf die Schritte der GFK zu konzentrieren. Wenn ich es aber schaffe, dann hilft es mir meistens wirklich weiter.

Wenn ich das Verhalten von Menschen in meinem Umfeld gar nicht nachvollziehen kann und es mich richtig ärgert oder mich sehr traurig macht, dann versuche ich, diese Menschen mit Hilfe von GFK besser zu verstehen. Oft weiß ich auch erst mal gar nicht, was sie hätten anders machen können, damit es nicht zu dieser Streitsituation gekommen wäre. Dann bringt es mich weiter, meine nicht erfüllten Bedürfnisse herauszufinden und anhand derer eine Bitte an sie zu formulieren, damit es beim nächsten Mal besser laufen kann. Selbst wenn ich diese Bitte nicht an den betroffenen Menschen kommuniziere, kann mir das für weitere Situationen helfen. Genauso hilft es mir, wenn sich Menschen über mein Verhalten geärgert haben, zu überlegen, welche Bedürfnisse bei ihnen vielleicht nicht erfüllt waren und dann kann ich für das nächste Mal an mir arbeiten und den Menschen besser verstehen.

EM | Und wie setzt Du GFK im Alltag um?

JM | Den Menschen, mit denen ich arbeite, sage ich meist zu Beginn, dass es nicht darum geht, ab jetzt immer und unter allen Umständen gewaltfrei zu kommunizieren. Außerdem ist es den wenigsten Menschen auf Anhieb möglich, sich in jedem Konflikt sofort nur noch in Gefühlen und Bedürfnissen zu äußern oder die vier Schritte in ihrer Reinform technisch einwandfrei durchzugehen. Das zu hören, entlastet häufig sehr und steigert die Bereitschaft, es dennoch zu versuchen. – Meiner Erfahrung nach führt das wiederholte Üben dazu, dass diese Art von Kommunikation in Fleisch und Blut übergeht und immer mehr zu einer inneren Haltung wird. Inzwischen macht es mir regelrecht Freude, zu erforschen, was in mir selbst los war, wenn mich eine Situation oder eine Person getriggert hat.

Manchmal bin ich natürlich auch einfach genervt und bockig und habe keine Lust auf GFK. Meistens aber gelingt es mir mit einem »Aha, interessant – so reagiere ich darauf«, mich selbst und auch das Verhalten der anderen nicht persönlich zu nehmen. Das wirkt befreiend.

JM | Was denkst Du über GFK an der Schule?

EM | Wenn es Konflikte an meiner Schule gab, haben wir sie entweder selbst gelöst oder bei schwierigeren unsere GFK-Lehrerin hinzugezogen. Sie hat uns dann durch den Prozess geführt und wir sollten uns gegenseitig sagen, wie wir uns gefühlt haben und was unsere Bedürfnisse in dieser Situation waren. Wichtig dabei war immer, dass wir es ohne Vorwürfe an die andere Person formulieren und nur über uns selbst sprechen. Dann gab sie uns häufig noch die Aufgabe, bis zur nächsten Woche drei Dinge zu finden, die wir an unserem Gegenüber wertschätzen. Diese Übung hat wirklich immer sehr beim Lösen der Konflikte geholfen.

An meiner Schule hat die GFK zum friedlichen Miteinander beigetragen und zu einem wertschätzenden Umgang verholfen. Auch bei den Jüngeren (Klasse fünf) klappte das schon sehr gut. Sie brauchten da ab und zu zwar noch etwas Hilfe, aber wenn sie diese dann z.B. von den Erfahreneren bekommen haben, konnten auch sie ihre Probleme ganz gut selbst lösen. Ich denke, dass GFK etwas ist, was Menschen in jedem Alter zu einem besseren Miteinander verhelfen kann. Wenn ich meinen Freunden und Freundinnen aus anderen Schulen von der GFK erzähle, wünschen sie sich das häufig auch an ihrer Schule.

EM | Hast Du auch schon an Schulen damit gearbeitet?

JM | Mit Schulen habe ich bisher nur ein Mal gearbeitet. Das Ergebnis allerdings war für mich sehr interessant. Letztlich zeigte sich, dass unter dem Konflikt zwischen Schülern, die den Unterricht störten und anderen, die gerne einen störungsfreien Unterricht gehabt hätten, eine zunächst nicht lösbare Problematik lag: die der Schulpflicht nämlich. Würde es den Schülern freistehen, ob sie am Unterricht teilnehmen oder nicht, hätte es kein unerfülltes Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung gegeben und es wäre vermutlich nicht zu diesem Konflikt gekommen. Das Beispiel zeigt aber auch, dass die GFK nicht automatisch Lösungen serviert. Sie kann uns aber dabei helfen, mehr über uns und unser Gegenüber herauszufinden und damit Nähe, Verbundenheit und ein Feld von Möglichkeiten zu eröffnen.

JM | Was schätzt Du besonders an der GFK?

EM | Bei unseren Seminarfahrten mit der Schule gab es eine Übung, die sich »Tanzparkett« nannte. Ich hatte bei einer dieser Fahrten die Möglichkeit, eine schlimme Erfahrung, die ich mit einer ehemaligen Lehrerin gemacht habe, zu bearbeiten. Diese Erfahrung war zwar schon eine Weile her, ging mir aber immer noch sehr nah. Ich stand dabei in der Mitte eines Kreises, den die anderen Schüler bildeten und ging nacheinander auf diejenigen zu, die mir helfen sollten, diesen Konflikt aufzuarbeiten. Im ersten Schritt beschrieb ich neutral und wertungsfrei die Konfliktsituation, beim nächsten Schritt durfte ich meine ganze Wut zu diesem Thema rausschreien und jedes Mal, wenn ich im weiteren Prozess noch einmal wütend wurde, ging ich zu diesem Schritt zurück, weil ich dann wohl doch noch nicht alles losgeworden war. Danach sprach ich über meine Gefühle und daran anschließend über meine Bedürfnisse in dieser Situation. Abschließend formulierte ich eine Bitte an diese Lehrerin; auch wenn sie diese nie hörte, half es mir sehr. Das war eine sehr bewegende Erfahrung, die ich dank der GFK machen konnte.

EM | Und welche Erlebnisse hattest Du?

JM | Mich berühren vor allem jene Momente, wenn ein Konfliktbeteiligter sich mit Empathie ernsthaft in die Gefühlswelt des Gegenübers einfühlt und plötzlich den Schmerz des anderen fühlen kann. Ich habe in diesem speziellen Moment schon häufig die Waffen und Schutzmauern fallen sehen. Es ist körperlich wahrzunehmen, wie plötzlich das Mitgefühl in dem Menschen stärker wird im Erkennen: »Ach, eigentlich fühlt er sich genau wie ich.« Diese Momente wärmen mein Herz und stärken in mir die Hoffnung, dass wir Menschen doch in Frieden miteinander leben können. Auf der Bedürfnisebene begegnen wir uns und haben die Chance zu erkennen, wie ähnlich wir uns doch eigentlich in Wirklichkeit sind.