Gibt es eine anthroposophische Hochschulbildung? Fragen an das Selbstverständnis der Alanus Hochschule

Der Antrag wurde von der Mitgliederversammlung des Bundes der Freien Waldorfschulen am 21./22. November 2014 bewilligt. Die zitierte Aussage unterstellt dreierlei: 1. dass es möglich ist, eine Hochschule ohne Weltanschauung zu betreiben, 2. dass Weltanschauungen notgedrungen Bekenntnisse sind, 3. dass die Anthroposophie ein Bekenntnis im Sinne einer Konfession ist.

All diese Voraussetzungen sind unzutreffend. Die weltanschauliche Neutralität ist selbst eine Weltanschauung oder Ausdruck einer Weltanschauung. Weltanschauungen müssen keine Bekenntnisse sein. Anthroposophie ist kein Bekenntnis, sondern eine Wissenschaft.

Darüber hinaus kann eine Institution weder eine Weltanschauung besitzen, noch weltanschauungsfrei sein. Die Frage ist, ob ihr Lehrkörper sich zu einer Weltanschauung bekennt oder nicht, oder ob die Konstitution der betreffenden Hochschule ein solches Bekenntnis verlangt. Dass Bekenntnisse Weltanschauungen sind, ist nicht bestreitbar, wohl aber, dass Weltanschauungen notgedrungen Bekenntnisse sein müssen. Eine wissenschaftliche Weltanschauung ist kein Bekenntnis, sondern eine Art, die Welt anzuschauen. Wenn also die Anthroposophie eine Wissenschaft ist, muss sie nicht zwingend ein Bekenntnis sein.

In den Diskussionen zur Frage, ob Waldorfschulen Weltanschauungsschulen seien oder nicht, die Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre geführt wurden, konnte nachgewiesen werden, dass Waldorfschulen Schulen »besonderer pädagogischer Prägung« sind, aber keine Weltanschauungsschulen (Stefan Leber, Weltanschauung, Ideologie und Schulwesen. Ist die Waldorfschule eine Weltanschauungsschule?, Stuttgart 1989; siehe auch: Lorenzo Ravagli, Pädagogik und Erkenntnistheorie. Auseinandersetzungen um die Grundlagen der Waldorfpädagogik, Stuttgart 1993). Ebenso konnte herausgearbeitet werden, dass es sehr wohl möglich ist, dass die Unterrichtenden eine Weltanschauung besitzen, ohne die Unterrichteten damit – implizit oder explizit – zu indoktrinieren.

Warum kann eine Hochschule im Waldorfkontext nicht ebenso eine Hochschule besonderer (hochschul-)pädagogischer Prägung sein? Fordern die in Deutschland geltenden Zulassungsbedingungen zwingend ein Bekenntnis zur Weltanschauungsfreiheit – was immer man darunter verstehen mag – damit eine Hochschule staatlich akkreditiert werden kann?

Wir fragen Jost Schieren, Professor für Waldorfpädagogik, und Wolf-Ulrich Klünker, Professor für Antroposophie, beide an der Alanus-Hochschule.

Jost Schieren | Es gibt sogenannte »Bekenntnis«-Hochschulen, das sind wesentlich Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft. In einer Veröffentlichung des Wissenschaftsrates zu den grundlegenden Voraussetzungen für die Gründung bekenntnisgebundener Hochschulen heißt es: »Für die Errichtung einer solchen Hochschule wird prinzipiell vorausgesetzt, dass (1) die Mitglieder der im Hintergrund stehenden Religionsgemeinschaft religiöse Überzeugungen und Werte teilen, die einer theologischen Betrachtung nach wissenschaftlichen Kriterien zugänglich sind.

Darüber hinaus muss eine bekenntnisgebundene Hochschule (2) den Grundsätzen der Wissenschaftlichkeit genügen (z.B. in Methodenanwendung, Mitteilbarkeit und Nachprüfbarkeit von Inhalten sowie Auseinandersetzung mit tradierten oder vorherrschenden Lehrmeinungen und alternativen Auffassungen) und (3) im Vergleich zu entsprechenden staatlichen Einrichtungen gleichwertige Bildungs­angebote vorhalten.«

Von dieser Art Hochschulen wollen wir die Alanus Hochschule abgrenzen, indem wir Anthroposophie, die auch nach meinem Verständnis eine Wissenschaft oder ein methodischer Erkenntnisweg ist, eben nicht zu einem »Bekenntnis« machen.

Man wird nicht bestreiten können, dass sie von vielen Anthroposophen als Bekenntnis behandelt wird und dass dies auch ein Grund dafür ist, dass Anthroposophie in der Öffentlichkeit eher als weltanschauliches Bekenntnis und eben nicht als Erkenntnisweg begriffen wird. Dies ist eine Haltungsfrage und es kann nur allzu leicht sein, dass durch eine ungenaue Darstellung genau dieser »falsche« Bekenntnischarakter evoziert wird.

Weltanschauungsneutralität ist auch nach meinem Verständnis nicht leistbar. An der Alanus Hochschule wollen und können wir dies nicht erreichen. Was wir anstreben, ist, dass es eine Hochschuleinrichtung in Deutschland gibt, an der auch Anthroposophie beforscht und gelehrt werden kann. Das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal.

Wichtig ist uns dabei, dass dies – um eben auch den Bekenntnischarakter zu vermeiden – in einem möglichst pluralen Kontext geschehen kann, das heißt, es gibt waldorf- und anthroposophiebezogene Professuren an der Alanus-Hochschule und Professuren, die andere Forschungs- und Lehrakzente vertreten.

Dies ist für den internen Diskurs und insbesondere für die Studierenden sehr wichtig. Die Studierenden können dadurch ein breites Spektrum wahrnehmen und können, wenn sie es wünschen, sich auch vertieft mit Anthroposophie auseinandersetzen. Interessant ist, dass auf diese Weise Studierende biographisch an ihrer Hochschule eine »Erst«-Begegnung mit der Anthroposophie haben können. An allen anderen anthroposophisch geprägten Einrichtungen muss ja schon eine Vorentscheidung stattfinden, wenn man dort studieren will. Ich habe den Eindruck, dass die Alanus Hochschule auf Grund dieser Tatsache ein Ort ist, an den »bestimmte« Studierende kommen, die vielleicht woanders nicht studieren würden. Umgekehrt gilt dies natürlich ebenso.

Erziehungskunst | Wie ist es möglich, an einer »weltanschauungsfreien« Hochschule Lehrstühle für Waldorfpädagogik oder die Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie einzurichten, wenn es sich bei diesen – zumal nach dem Selbstverständnis der Alanus Hochschule – um Bekenntnisse handelt? Soll damit die Quadratur des Kreises ermöglicht werden, an einer staatlich anerkannten, dem Ver­- nehmen nach bekenntnisfreien Hochschule die bekenntnisfreie Lehre eines Bekenntnisses zu etablieren?

Wolf-Ulrich Klünker | Es handelt sich bei meiner Tätigkeit an der Alanus Hochschule um eine Professur für Philosophie und Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie; vermutlich in der Tat die erste mit einer derart direkt auch auf die Anthroposophie bezogenen Denomination. Das halte ich im Hinblick auf die genuine Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie schon für bemerkenswert, denn darin kommt zum Ausdruck, dass Anthroposophie als Geisteswissenschaft direkt – also ohne irgendwelche weltanschauliche Voraussetzungen – in den wissenschaftlichen Diskurs eintreten kann. So hat Rudolf Steiner die Anthroposophie letztlich auch verstanden; zeitbedingt war er allerdings tatsächlich in die Weltanschauungsfrage involviert. Diese historisch kontingente Debatte muss uns nicht mehr tangieren – außer eben als historischer Kontext der Entstehung von Anthroposophie.

Zur Problematik oder sogar Tragik der Entwicklung von Anthroposophie gehört, dass ihre unmittelbare Wissenschaftlichkeit weder von Steiners Umgebung noch in der späteren anthroposophischen Bewegung zureichend bemerkt und aktualisiert werden konnte.