Gibt es Grenzen der Mitwirkung?

Mathias Maurer, Ariane Eichenberg

Mathias Maurer | Eltern und Lehrer sollten vertrauensvoll zusammenwirken, das war ein zentrales Anliegen Rudolf Steiners. Wie kann dieses Zusammenwirken bis in pädagogische Fragen hinein aussehen? Meistens beschränkt sich die Mitverantwortung auf die Finanzen, auf das Engagement bei Veranstaltungen und Festen, auf Elternabende. Sollten Eltern nicht auch das pädagogische Profil der Schule mitgestalten?

Ariane Eichenberg | Es ist die Frage, ob Steiner überhaupt an die pädagogische Mitarbeit der Eltern in der Schule gedacht hat. Was haben Eltern in einer pädagogischen Konferenz zu suchen? Warum sollen »Nichtfachleute« im pädagogischen Bereich mitreden? Sie haben nicht gelernt, mit Kindern im Schulalltag umzugehen. Lehrer haben eine Ausbildung gemacht, sie sind Profis.

MM | Eltern sind auch Profis. Was die erzieherischen Fragen anbetrifft, sind sie genauso kompetent wie die Lehrer, da kann man nur voneinander lernen. Da muss man nicht auf seine jeweilige Professionalität pochen. Es geht ja nicht darum, dass die Eltern an Stelle der Lehrer unterrichten. Aber Eltern haben ein Recht darauf, zum Beispiel ein neues Fach anzuregen.

AE | Eltern sind keine Profis, sie sind Dilettanten. Sie besitzen ein gefühltes Wissen und reagieren aus dem Gefühl heraus. Sie haben nicht gelernt, auf professionelle Weise mit den Kindern umzugehen. Das ist auch nicht ihre Aufgabe.

Sollen sie beim Schul- oder Fächerprofil mitbestimmen? In vielen Institutionen gibt es einen Beirat, eine Art Ideenlieferanten. Wie diese Ideen umgesetzt werden, das müssen aber die Profis entscheiden. So stelle ich mir das auch an einer Schule vor. Die Eltern liefern Vorschläge aus ihren Erfahrungen heraus, die können sie auch beispielsweise in die Konferenz einbringen. Aber sie können das Wissen nicht durchsetzen. Die Lehrer müssen entscheiden. Ob und wie sie das machen, ist allein ihre Sache.

MM | Was die Waldorfpädagogik, das Methodisch-Didaktische anbelangt, sind die Lehrer hoffentlich den Eltern voraus. Aber bei der ergänzenden Wahrnehmung, der erzieherischen Kompetenz, da ist ein Austausch doch selbstverständlich. Ich meine nicht, dass Eltern dauernd hineinreden, wie ein Lehrer seinen Unterricht machen soll. Aber wenn ein Kind in der achten Klasse immer noch nicht die Fremdsprache anfänglich beherrscht, dann müssen Eltern fragen dürfen, was ist denn da im Unterricht passiert? Die Eltern stehen sogar in der Pflicht, den Lehrern einen Spiegel vorzuhalten. Was nützt die pädagogische Autonomie, wenn dabei ein schlechter Unterricht herauskommt und die Schüler nichts lernen?

AE | Natürlich ist es notwendig, dass die Eltern widerspiegeln, wenn es Defizite gibt. Sie können Lehrer auch auf neue Methoden, die mit Erfolg an einer anderen Schule praktiziert werden, hinweisen. Es müsste allerdings eine Grenze geben: Die Eltern sollten das Vertrauen aufbringen, dass der Lehrer die Anregungen aufnimmt und seinen Unterricht entsprechend verändert – oder auch nicht. Das muss in seiner pädagogischen Freiheit liegen. Da ist das vertrauensvolle Zusammenwirken, von dem Rudolf Steiner spricht, gefragt. Jeder sollte den anderen ernst nehmen. Der Lehrer muss davon ausgehen, dass die Eltern ihn nicht nur mit irgendwelchen Forderungen zuschütten, sondern ihn helfend unterstützen. Ich kenne Eltern, die sich aus einer Gesamtkonferenz zurückgezogen haben, weil sie das Gefühl hatten, letztlich doch nicht mitentscheiden zu können. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für die Eltern, sondern auch für die Lehrer, dass sie nicht vermittelt haben: Wir hören euch wirklich. Ich setze da mehr auf Anhörungs- und Wahrnehmungsprozesse als auf Entscheidungsprozesse. Von den Eltern würde ich mehr Bescheidenheit fordern.

MM | Moderne Gemeinschaften können sich heute nur noch entwickeln, wenn man auf Hierarchien und Abhängigkeiten verzichtet, wenn man wirklich partizipieren kann ...

AE | ... aber doch nur aus Wissen, aus Kompetenz heraus. Ich rede dem Arzt ja auch nicht in seine Behandlung hinein ...

MM | ... Partizipation sollte das gemeinsame Ziel sein. In einer Mitgliederversammlung ist das so. Warum sollte diese gleiche Stimme nicht auf alle Gremien der Schule übertragbar sein? Eltern sind potenziell in allen schulischen Fragen genauso kompetent, wie Lehrer dilettantisch sein können. Im realen Schulleben finden ja schon wechselseitige Durchdringungen statt. Potenziell halte ich auch die Eltern für fähig, pädagogische Fragen zu bearbeiten und über sie zu entscheiden – bis hin zu Kinderbesprechungen.

Wenn man kompetent ist oder immer kompetenter werden kann, warum sollen Eltern dann nur angehört werden und mitberaten, aber nicht mitentscheiden können? Ihr Engagement muss auch in dieser Hinsicht effektiv sein können; das darf man nicht durch Rollenzuschreibung ausschließen, sonst sind die Eltern, gerade die engagiertesten, frustriert, ziehen sich zurück oder der Ruf nach formalen Regelungen kommt auf. Dazu benötigen die Eltern auch die entsprechenden Machtmittel, um ihre Vorstellungen durchzusetzen.

AE | Ich glaube, das ist der falsche Ansatz, Eltern Macht zu geben. Das Problem ist in der Regel die Kommunikation und fehlendes Vertrauen. Eine Entscheidung kann in pädagogischen Fragen doch nicht demokratisch herbeigeführt werden. Das ist ein falsches Verständnis von Schule. Das pädagogisch Sinnvolle ist entscheidend und nicht Machtverhältnisse. Das setzt Weisheit, Vertrauen und ein großes Herz voraus. Durch Machtmanipulationen werden die Prozesse nicht in guter Weise vorangebracht.

MM | Steht nicht jedem Mitglied einer Gemeinschaft ein Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht zu – wenn man sich als lernende Gemeinschaft versteht?

AE | Ließe man jeden mitentscheiden, also auch den, der in einer Sachfrage nachgewiesenermaßen nicht kompetent ist, dann liefe das Ganze aus dem Ruder. Das dient auch nicht der pädagogischen Sache. Den Eltern stehen in der Regel die eigenen Kinder näher; dadurch verlieren sie die Klasse, das Schulganze schnell aus den Augen; da liegen die Grenzen der Professionalität.

MM | Professionalität schützt nicht vor Fehlern. In einem Gemeinschaftsunternehmen in Eltern-Lehrer-Trägerschaft darf eine der Säulen, die Elternschaft, nicht wegfallen. Reicht diese Trägerschaft bis in die pädagogische Mitverantwortung, und bedeutet Mitverantwortung Mitentscheidung? Das ist die Frage.