Global fatal oder: Was können wir tun?

Klaus Rohrbach

Haarverlängerung aus Indien

Noch schönere und vor allem längere Haare haben – das ist der Traum vieler Mädchen und Frauen. Möglich wird das für einige hundert Euro – je nach Qualität – mit »Extensions« (Haarverlängerungen). Die (Echt-)Haarsträhnen in verschiedensten Farben haben einen langen Weg hinter sich, der mit einem religiösen Ritual beginnt.

Bis zu 100.000 hinduistische Pilger täglich besuchen den Tempel Tirumala in der Stadt Tirupati in Südindien, dem größten Wallfahrtsort der Welt. Sie huldigen dort einem bedeutenden Gott, der Sünden und Krankheiten vernichtet. Und sie bringen ein Opfer als Zeichen des Niederringens ihres eitlen Ich oder als Dank für eine Heilung, eine Sündenvergebung. Sie opfern ihr Haupthaar. Rund um die Uhr arbeiten mehr als 600 Frisöre, pro Tag werden etwa drei Tonnen Haare geschoren. Früher dienten sie als Füllung von Matratzen oder Autositzen. Inzwischen ist ein anderer globaler Markt für das Tempelhaar, wie es genannt wird, entstanden. Da indisches Haar als das schönste gilt und dem europäischen sehr ähnlich ist, werden aus ihm Extensions gefertigt. Zunächst werden die Haare in Stahlbehältern oder Säcken gesammelt und auf Auktionen an Zwischenhändler verkauft. Zwischen fünf und 200 Millionen Euro pro Jahr verdient der Tempel daran und finanziert damit soziale Projekte. Nun werden die Bündel gewaschen, sortiert und in einem langwierigen Prozess gekämmt, desinfiziert, gespült, in der Sonne getrocknet und für den Export vorbereitet. Dann kaufen es Firmen in Europa: in Italien (Nepi), Spanien (Madrid) und Deutschland (Backnang). Es wird sorgsam mit Chemikalien depigmentiert (gebleicht) und dann in zahlreichen natürlichen oder modischen Farben gefärbt. Um Lohnkosten zu sparen, werden weitere Verarbeitungsschritte in China von hochspezialisierten Frauen durchgeführt, die in zwei Wochen eine Echthaarperücke mit 100.000 Haaren anfertigen. Zurück in Deutschland, Spanien oder Italien erhalten die Haarsträhnen noch eine Halterung und werden schließlich an Kunden in aller Welt verkauft.

Aus einem rituellen Opfer ist nach einer langen Weltreise ein modisches Utensil entstanden.

Rosen aus Afrika

Blumen wachsen in Deutschland und Tulpen kommen aus Holland, denkt man. Doch das war einmal. Weniger als 18 Prozent der in Deutschland verkauften Blumen stammen aus heimischer Produktion, alle anderen haben einen weiten Flug hinter sich. Sie kommen aus Afrika (Simbabwe, Tansania, Südafrika) oder Südamerika (Kolumbien, Ecuador), vereinzelt noch aus Italien, Spanien, teilweise auch den Niederlanden, die jedoch ihrerseits ihre Blumen zur Hälfte aus Afrika beziehen und dann an uns weiterverkaufen. Mehr als ein Drittel aller in Deutschland verkauften Rosen stammen aus Kenia. In riesigen Farmen gedeihen sie dort neun Monate im Jahr unter für sie optimalen Temperaturen, nämlich 27 Grad. Etwa eine halbe Million Beschäftigte arbeiten dort 14-16 Stunden pro Tag, vor allem Frauen, als Blumenschneiderinnen mit einem Tagesverdienst von knapp zwei Euro und großen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Kunstdünger, Pestizide und spezielle Chemikalien. Die Familie lässt sich damit nicht ernähren. Die Männer sind meist arbeitslos. Kinderarbeit ist üblich.

Schockgekühlt und durch Feuchtigkeitsentzug haltbarer gemacht, mit lasergestützter Messtechnik nach Länge sortiert und von Hand verpackt, erreichen die Rosen oft schon nach einem Tag per Flugzeug den gewünschten Zielort in Europa. Dort werden sie von Zwischenhändlern auf großen Auktionen ersteigert. Allein im niederländischen Aalsmeer wechseln pro Tag 19 Millionen Schnittblumen den Besitzer.

Doch es gibt Alternativen. 1999 gründeten Industrievertreter und verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGOs) das Flowers Label Program (FLP). Auf 60 Farmen produzieren 14.000 Arbeiterinnen und Arbeiter auf garantiert menschenwürdige und umweltschonende Art etwa 300 verschiedene Rosensorten. Mehr als 1.000 Floristen verkaufen in Deutschland die Blumen. Ohne größeren Aufpreis werden so existenzsichernde Löhne, Gleichberechtigung, das Verbot von Kinderarbeit und das Verbot hochgiftiger Pestizide verwirklicht. Auch Fairtrade, FIAN, Terre des hommes und Brot für die Welt nehmen mit eigenen Programmen und Labels an einem gerechten Blumenhandel teil.

Man muss als Kunde nur nachfragen.

Einen Kaffee bitte

Viele sogenannte Entwicklungsländer können am Welthandel nur teilnehmen, indem sie preiswert ihre Rohstoffe exportieren. Der Handel mit weiterverarbeiteten und damit höherwertigen Produkten bleibt ihnen durch hohe Zölle an den Grenzen verwehrt. Der Export von geröstetem Kaffee statt einfachem Rohkaffee ist dann unrentabel. Die Preise für das wertvolle, nur in den Tropen und Subtropen wachsende Genussmittel werden zudem nicht etwa unter fairen Bedingungen ausgehandelt, sondern an den Warenterminbörsen, wo sie oft von willkürlichen Kursen und Spekulationen bestimmt werden. Die Kursschwankungen sind über die Jahre hin enorm, die Folgen für die Kleinbauern entsprechend verheerend. Vielfach decken ihre Einnahmen nicht einmal die Kosten der höchst arbeitsintensiven Pflanzung, Pflege, Ernte und Aufbereitung. Zahlreiche Plantagen müssen deshalb aufgegeben werden. Während der großen Kaffeekrise 2001/2002 brachten sich Tausende von Kleinbauern voller Verzweiflung um, weil sie es nicht ertragen konnten, mit ihrer Arbeit nicht einmal ihre Familie ernähren zu können.

Fairtrade – inzwischen nicht nur in Weltläden, sondern in den Supermärkten angekommen – scheint da die Lösung zu sein. Die Kleinbauern bekommen von Transfair, GEPA oder anderen Organisationen einen garantierten höheren Preis, der über dem der Konzerne liegt, und nehmen teil an Entwicklungsprogrammen. Der Kunde in Deutschland zahlt zwar wesentlich mehr, hat aber dafür ein ruhiges Gewissen. Er übersieht jedoch, dass der höhere Preis für den Kleinbauern sich weiterhin am Verlauf der Börsenkurse orientiert. Am grundlegenden Wirtschaftssystem ändert sich nichts. Der alternative Händler zahlt nur immer etwas mehr, als der Kurs gerade vorgibt und federt zu große Kurseinbrüche ab. Das ist zwar hilfreich, doch was machen die Kleinbauern in all den Dörfern nebenan, die nicht bei Fairtrade mitmachen? Taugt ihre Ware weniger? Und: Verkauft wird weiterhin nur der Rohkaffee, die unterste Stufe der Wertschöpfungskette. Das einträgliche Geschäft mit der wertsteigernden Weiterverarbeitung wird in Europa gemacht. Besonders die Länder Afrikas exportieren weitgehend nur Rohstoffe. Ein afrikanischer Unternehmer in Uganda hat diesen Zustand nun durchbrochen. Im letzten Jahr erschien die aufrüttelnde Autobiographie »A Good African Story. How a Small Company Built a Global Coffee Brand« (deutsch noch nicht erschienen) von Andrew Rugasira. Er hält von Fairtrade nicht viel und kritisiert die Almosen-Mentalität, mit der hier operiert werde. Er fordert echten »Handel statt Entwicklungshilfe«, auf gleicher Augenhöhe, mit gleichen Chancen.

Seit 2009 röstet, verpackt und verkauft er heimische Kaffeebohnen, die in den Rwenzori-Bergen im Westen Ugandas geerntet werden. Damit ist er der erste afrikanische Kaffeeröster. Seine Marke »Good African« vertreibt er nicht nur landesweit in Uganda, sondern auch inzwischen erfolgreich über Supermarktketten in Großbritannien und in den USA. – Wann öffnet Deutschland die Türen?

Bewusstsein entwickeln und den Konsum steuern

Wie können wir die Globalisierung mitgestalten? Mit Bewusstsein und durch unser Konsumverhalten!

Gedanken sind Tatsachen, somit auch Taten. In einer globalisierten Welt sind wir durch die gehandelten Waren mit allen Menschen und Ländern der Welt verbunden. Entsprechend kann ein weltweites Interesse und Verständnis füreinander entstehen, ein Bewusstsein der Vielfalt aller Kulturen.

Viele Schülerinnen und Schüler der Oberstufe handeln bereits danach. Nach der Schulzeit – auch schon währenddessen – verlassen sie erst einmal Deutschland, oft ein ganzes Jahr lang. Erlebten ihre Großeltern im Urlaub die Nachbarländer Österreich, Schweiz und Holland und trampten ihre Eltern durch ganz Europa, so erobern sie heute die anderen Kontinente. Nepal, Brasilien, Paraguay, Benin, Thailand, Indien, Neuseeland und Kanada waren einige Ziele des letzten Jahres. Die jungen Menschen kamen verändert zurück.

Notwendig ist ein neues Empfinden für ein gerechtes, ein richtiges globales Wirtschaftsleben, mit Solidarität und Brüderlichkeit und dem Berücksichtigen der grundlegenden physischen, psychischen und sozialen Bedürfnisse aller Menschen auf der Welt, so dass man in Zukunft keine Ruhe mehr hat, wenn man weiß, dass der entfernt lebende Mitmensch in Not ist, weil er ausgebeutet wird, während es einem selbst (zu) gut geht. So etwa formulierte es Rudolf Steiner in Vorträgen kurz nach den schrecklichen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, als er sich Gedanken über eine Neugliederung des sozialen – heute müsste man ergänzen: globalen – Organismus machte.

Das allerdings ist die Aufgabe der großen Politik und der NGOs: weltweit geltende Spielregeln (Gesetze) zu entwickeln für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die durch unternehmerische Initiative und fairen Handel menschenwürdige Lebensverhältnisse für alle Menschen schafft, und zwar weltweit.

Vor Ort können wir das täglich durch unser Konsumverhalten fördern. Denn wir Kunden sind immer das letzte Glied jeder Wertschöpfungskette. Wenn wir es nicht kaufen, ist das jeweilige Produkt buchstäblich umsonst gefertigt worden.

Wenn nun genügend Menschen genügend oft nach bestimmten, qualitativ hochwertigen und zugleich menschenwürdig hergestellten Waren fragen und andere dafür links liegen lassen, dann reagiert der Markt irgendwann darauf: erst lokal, dann national, schließlich global.

Man muss es nur tun.