Liebe Leserin, lieber Leser,
Globalisierung ist ohne das Internet nicht zu denken: Es katapultiert selbst den letzten Winkel der Welt in unser Bewusstsein. Seinen Siegeszug feiert es mit dem schlagenden Argument des freien Zugangs zur Information. Nichts kann mehr verheimlicht werden, keine Angriffspläne aus dem Pentagon und kein Liebesgezwitscher auf Twitter. Die Nachrichten und Bilder verbreiten sich in rasender Schnelligkeit, und wecken hektische Online-Geschäftigkeit. Das Internet: der globale Gleichmacher und Beschleuniger.
Doch in einem Punkt hinkt unser Bewusstsein gewaltig hinterher: Wir hinterlassen Spuren im World Wide Web. Einer der Fährtenleser ist beispielsweise Facebook. Facebook zeigte in der Vergangenheit wenig Sensibilität im Umgang mit persönlichen Daten seiner blauäugigen, vor allem jugendlichen Mitglieder. Eine halbe Milliarde Nutzer füttert das Netzwerk mit Informationen über ihre Vorlieben, Aufenthaltsorte, Freunde und Hobbys. Leicht lassen sich ihre Online-Bewegungen via Daten-Synchronisation ausspionieren und von zahlenden Interessenten verwerten. Sogar Nicht-Mitglieder können auf diesem Wege, ohne es zu merken, erfasst werden – das zeigen die Einladungen, die regelmäßig in Ihrer Mailbox landen. Es warten viele »Freunde« im Netz, die man gar nicht haben will. Doch die Menschheitsliebe von Facebook ist nicht zu bremsen: Konsequenterweise wird jetzt mit dem neuen Messages-Dienst eine Kommunikationsplattform angeboten, auf der die Nutzer ihre E-Mails, Chats und SMS miteinander verknüpfen können.
Clever – dann braucht Facebook das nicht mehr zu tun. Schließlich ist die Privatsphäre nicht mehr zeitgemäß, wie Facebook-Gründer Marc Zuckerberg in einem Interview sagte.
Und in einem weiteren Punkt sind wir dem Internet bewusstseinsmäßig nicht gewachsen: Es manipuliert uns, ohne dass wir es merken. Nicht nur, dass Marktstrategen scharf auf Daten sind, die die kollektive Stimmungslage wiedergeben – mit einer Million Dollar Preisgeld wurde der »Netflix Prize« an die besten Algorithmenprogrammierer vergeben – selbst die freie Meinungsbildung scheint in Gefahr, wenn durch sogenannte »Twitter«-Bomben die Popularität nach oben getrieben wird. Die automatische, permanente Nachrichtenerzeugung (»Tweets«) spült bei der Google-Suche die gewünschte Website auf die ersten Plätze. Amerikanische Wissenschaftler fanden heraus, wie über soziale Netzwerke gezielt manipuliert wird, um zum Beispiel bei Wahlen die öffentliche Stimmung zu beeinflussen. Ferner wurden Nachrichtentexte nach bestimmten Begriffen durchforstet und in Beziehung zu den Börsenkursen gesetzt, was ziemlich genaue Vorhersagen ermöglichte. Es ist für Einzelne also kein großes technisches Problem, via Internet eine Massenbewegung vorzutäuschen und einen globalen Hype auszulösen – man nennt das »Astroturfing«.
Aufgabe der Schulen ist es nicht nur, den Schülern zu vermitteln, wie Computer funktionieren, sondern darüber aufzuklären, welche Abgründe sich hinter ihrer Anwendung auftun. Der Nutzer irrt, wenn er glaubt, er sei online privat. Er ist öffentlicher als auf einer Plakatwand am Hauptbahnhof.
Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer