Waldorf erklärt

Qualität im Verbund verbindet

Stefan Grosse
Antonio Canova, Paolina Borghese Bonaparte als Venus Victrix, 1805/1808, Rom, Museo e Galleria Villa Borghese / Foto: Architas; Wikimedia Commons
Michelangelo Buonarroti, Pietà, 1498/1499 Petersdom, Rom / Foto:Stanislav Traykov; Wikimedia Commons

Wie ist die Qualität einer Skulptur von Antonio Canova zu bewerten, und wie, im Vergleich dazu, die einer Plastik von Michelangelo? Unstrittig ist wohl, dass beide an künstlerischer Fertigkeit nicht zu überbieten sind. Man wird der Pietà eine größere Innigkeit zusprechen und könnte geneigt sein, ihr damit auch eine größere künstlerische Tiefe zu attestieren. Aber liegt in der Plastik der Paolina Bonaparte-Borghese als Venus nicht gerade in der äußeren Perfektion, dem anmutig schönen Schein eine treffende Wesensbeschreibung der Venus und damit eine hohe künstlerische Qualität? Ob man nun mehr dem einen oder dem anderen zuneigt, mag wohl auch persönliche Präferenz sein; dass beide Werke Kunst sind und warum sie Kunst sind, lässt sich urteilend bestimmen und nachvollziehen.

Noch einmal komplexer und mit Industrienorm-Qualitätskriterien kaum erfassbar ist die Bewertung der Qualität einer Unterrichtsstunde. Zum einen, weil das »Produkt« aus der räumlichen in die zeitliche Dimension getreten, damit flüchtiger ist, und in die Erinnerungsvorstellungen der betrachtenden Person verschoben wird, zum anderen, weil neben allem äußerlich Bewertbaren eines Unterrichts etwas Imponderables zwischen Schüler:innen und Lehren­den lebt und wirkt, das vielleicht sogar die Quintessenz ist, sich aber einem von außen kommenden Blick nicht leicht erschließt. Soll das nun heißen, man könne Unter­richtsqualität nicht bewerten? Keineswegs! Man kann wohl in Analogie zu der Kunstbetrachtung sagen, dass ein kleiner Teil imponderabel ist, manches persönliche Präferenz sein mag, aber ob ein Unterricht gut ist und warum, lässt sich urteilend bestimmen und nachvollziehen.

»Waldorf« ist ein Qualitätsversprechen, das im Wesent­lichen guten Unterricht und gute Entwicklungsbegleitung junger Menschen im Blick hat, aber darüber hinaus noch weitere Facetten in den Fokus nimmt, wie etwa gute Personalentwicklung, transparente Strukturen der Organisation und gute Kommunikation an den Schulen.

Es ist offensichtlich nicht ausreichend, dass jede Schule an ihrem Standort vermeintlich alles richtig macht und nach ihrer Façon »glänzt«. Waldorfschulen sind nicht privatisierende Einrichtungen, die auf ihrer Insel machen können, was sie wollen. Sie stehen mit ihrer Außenwirkung in der Öffentlichkeit und pars pro toto für den guten Ruf aller Schulen. Das gemeinsame Einigen auf verbindliche Standards ist daher für den Erfolg aller wichtig. Solche Standards müssen letztlich immer den direkten Bezug zu einem spirituellen Menschenbild als Quell und Grundlage der Waldorfpädagogik herstellen; sie garantieren außerdem die Unabhängigkeit der Waldorfschulen. Wenn wir unsere eigenen überzeugenden Standards setzen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir fremde oktroyiert bekommen, die dann vielleicht nicht so passgenau und hochwertig sind, wie wir es uns gewünscht hätten, gering.

Das gemeinsame Entwickeln der Qualität im Verband verbindet, macht Mut und macht stark. Mut lebt auch in der Fähigkeit, liebgewonnene Traditionen einer Prüfung zu unterziehen. Sich Neuem gegenüber öffnen, aus einem Verstehen der Quellen neue Antworten suchen, beschreibt Qualität und bildet echte Tradition, denn diese lebt im Bewahren des Feuers, nicht im Bewundern der Asche.

Die Offenheit für Neues spricht sich auch in der Dialogfähigkeit mit Menschen aus, die mit dem Waldorfidiom nicht vertraut sind. Abgrenzende Gruppenbildungen durch Idiome zeugen eher von Unsicherheit, als dass sie souverän wirkten und starke Gemeinschaften entstehen ließen.

Die gewichtigste Qualitätssicherung, die wir seit Jahrzehnten als Verband leisten, ist die Lehrer:innenbildung. Jedes Jahr fließen rund 14 Millionen Euro in unsere Seminare und Hochschulen. Die öffentliche Hand beteiligt sich an diesen Einrichtungen übrigens mit null Euro. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Bundes der Freien Waldorfschulen, dass er diese Aus-und Fortbildungen vorhält. In unseren Hochschulen wird Waldorfpädagogik forschend weiterentwickelt. In einer intensiven und andauernden Nutzung der Fortbildungsangebote liegt eines der zuverlässigsten Instrumente der Qualitätsentwicklung, die wir haben.

Die Frage ist nun, welche Verfahren zur Validierung der Qualitätsstandards eingesetzt werden sollen. Hier werden sich zwei Systemstränge ineinander verflechten. Der eine Strang entwickelt sich aus der Überzeugung, dass die inneren Werte eines Systems am besten von innen heraus evaluiert und gesteuert werden können. Ein Instrument auf diesem Felde ist das »Interview mit sich selbst« (siehe den Beitrag von Stefanie von Laue). Es ist effektiv, niedrigschwellig einsetzbar und von jeder Schule nach ihren individuellen Bedingungen modulierbar. Der andere Strang wird sein, dass man extern nachvollziehbare verbindliche Absprachen trifft und auf ihre Einhaltung achtet.

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.