Heras Prämie

Henning Kullak-Ublick

Hera war die First Lady unter den griechischen Göttern. Und obwohl eheliche Treue nicht gerade zu den Tugenden ihres Göttergatten Zeus gehörte, wurde sie als die Hüterin der Ehe und der Niederkunft verehrt. Das Familienleben stand in der Antike unter dem Schutz der höchsten Göttin.

Während ich diese Zeilen schreibe, tobt ein Streit um das Kinderbetreuungsgeld, das monatlich 100 (später 150) Euro für Eltern vorsieht, die ihre Kinder zu Hause statt in einer KiTa betreuen wollen – allerdings nur, wenn sie keine Hartz-IV-Empfänger sind. Kritiker befürchten, dass manche Eltern dieses Geld verprassen würden, ohne sich um ihre Kinder zu kümmern. Auch werde das Geld gebraucht, um überhaupt erst einmal ein flächendeckendes Angebot an KiTas zu schaffen. Schon vor Jahren warb Franz Müntefering mit dem Argument für mehr KiTas, ohne sie ginge unserer Volkswirtschaft die Produktivkraft zu vieler Frauen verloren. Schließlich werde mit dem Betreuungsgeld ein völlig veraltetes Familienbild gefördert, das mit einer aufgeklärten Gesellschaft nichts mehr zu tun habe.

Wenn diese Erziehungskunst erscheint, ist der politische Debattenzirkus vermutlich schon weitergezogen, nicht aber die Denkmuster, die sich in der Diskussion offenbaren. 

Alle genannten Argumente rechnen nicht mit der Mündigkeit der Menschen, um die sich die Debatte ja eigentlich dreht. Eine Politik, die Menschen immer mehr vor sich selbst schützen will, endet am Ende in einer Diktatur. Davon sind wir weit entfernt, aber müssen die Fragen nicht lauten: Wie können wir erreichen, dass Kinder nicht ungesehen verwahrlosen? Wie können Familien tatsächlich eine Wahl bekommen, wie viel Zeit sie mit ihren Kindern verbringen wollen?

Der Schlüssel liegt beim »Arbeitsmarkt«. Arbeit ist keine Ware, die man am Markt feilbieten kann, sondern Ausdruck der geistigen Tätigkeit eines jeden Menschen. Mit dem Einkommen hat das überhaupt nichts zu tun. Wer jemals ein Kind erzogen hat, weiß nur zu gut, dass die Göttin Hera keine Arbeitslosenagentur geleitet hat, auch wenn die Arbeit unbezahlt war. Statt also Herdprämien zu verteilen, könnte ein Grundeinkommen für jedes Kind, jede Frau und jeden Mann die selbst gewählte Arbeit der Eltern an die Stelle der Lohnabhängigkeit setzen – und das kann auch zu Hause sein. Ob Familie tatsächlich eine so veraltete Institution ist, wie uns das eingeredet werden soll, wird sich dann schon zeigen. Bei der letzten Shell-Jugendstudie jedenfalls gaben die Kinder und Jugendlichen eine intakte Familie als ihr höchstes Ideal an.

Bildungsferne Familien brauchen Hilfe. Dazu können Familienhebammen ebenso beitragen wie ein Schulsystem, das pädagogische Initiative dort fördert, wo sie gebraucht wird. Wenn alle Schulen und KiTas nach der Anzahl der Kinder finanziert werden, die sie besuchen, wird solche Initiative viel eher auch in sozialen Brennpunkten möglich werden. Die Freiheitsfähigkeit der Menschen kann man nicht stärken, indem man sie immer mehr verwaltet. Oder, um es einmal mehr mit Goethe zu sagen: »Welche Regierung die Beste sey? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren!«

Henning Kullak-Ublick, seit 1984 Klassenlehrer (zurzeit freigestellt), Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)