Himmelskunde in der siebten Klasse
Viele Kinder möchten gerne am Himmel das eigene Sternbild finden. Sie erwarten das in der Himmelskunde-Epoche der siebten Klasse. Ähnlich wie etwa 1200-700 v. Chr. die Babylonier fähig wurden, am Himmel Sternbilder zu erkennen, so sind die Zwölfjährigen reif geworden, das Auf- und Untergehen der Sternbilder zu beobachten und die monatlichen Veränderungen am Himmel zu verfolgen. Und es tut ihnen gut, dass sie den Erwachsenen, die oft keine Ahnung haben wie riesig groß ein Sternbild sein kann, zeigen können, wo am Himmel welches Sternbild funkelt.
Wenn ein Zwölfjähriger zum ersten Mal »seine Sternengruppe«, die helleren und lichtschwächeren Sterne und das Bild als Ganzes sieht, ist die Freude groß. Das Erleben der Schönheit eines funkelnden Sternenhimmels wird vertieft, wenn der Schüler es schätzen lernt, dass dieses Sternbild in diesem Monat dort zu sehen ist und in dieser Stellung aufleuchtet. Mit einer Smartphone-App die Sternbilder zu finden, ist eine komplett andere Erfahrung. Die zu einem Bild gehörigen Sterne werden einzeln gesucht, Lichtpunkte werden gebündelt, eine Ganzheit kann so kaum entstehen.
Ein Siebtklässler ist auf der Schwelle, die Kinderwelt zu verlassen. Er geht auf die Welt der Erwachsenen zu und wird in der Oberstufe Unterrichtsstoff bekommen, mit dem geübt werden kann, Prozesse innerlich nachzuvollziehen und Entwicklungen zu denken. Die Himmelskunde-Epoche ermöglicht ein Eintauchen in die Objektivität der Denkwelt auf bildhafte Weise. Die örtlichen Sonnenrhythmen, die bisher mehr träumerisch erlebt wurden, werden zum Unterrichtsstoff. Die Bewegungen der Sonne im Jahreslauf bieten Orientierungshilfe beim Wahrnehmen des Nachthimmels – idealerweise bei klarem Sternenhimmel. Dann bekommen die Schüler ein Empfinden dafür, wie schnell die Sterne auf ihren Bögen vorwärtsziehen. Sie erfahren, dass sie die helleren Sterne, die während der Dämmerung als erste in Erscheinung treten, immer früher wiedererkennen. Die Sternenwelt ist ganz zuverlässig und die Sterne tun das, was ich schon ahne!
»Es stimmt, ich sehe den Steinbock«
Um dann am Himmel ein Sternbild das erste Mal wahrnehmen zu können, braucht es also mehreres. Zuerst ist ein inneres Bild der (nachgezeichneten!) Gestalt eine große Hilfe. Auch hat man viel davon, wenn man vorher sich orientiert, wie die hellsten Sterne sich zueinander verhalten. Die große Frage, wo an der Himmelskuppel das Sternbild sein könnte, ist im Sommer 2018 leicht zu beantworten: Schaut man Richtung Mars, sieht man das Himmelsgebiet des Steinbocks. Die Sterne im rechten Horn sind relativ leicht zu entdecken.
Nach ein wenig hin und her schauen, entsteht auf einmal Sicherheit: »Ich sehe den Steinbock!«. Es ist, als würde man von einem inneren Lichtblitz durchzuckt. Dann kann man seinem Mitschüler räumliche Orientierungshilfe geben: »Der Fischschwanz ist dort, ja, so weit von den Hörnern entfernt. Das Sternbild ist recht groß.« Das weckt auch bald die Entdeckerfreude des anderen.
Beim Suchen nach einem Sternbild entsteht ein lebendiges Zusammenspiel zwischen dem nach außen tätigen Wahrnehmungsorgan und dem inneren Auge. Das In-sich-Aufnehmen wird durch die Fragen gefördert, die aus dem Innern aufsteigen. Man versucht, Zusammenhänge zu denken und diese am Himmel bestätigt zu bekommen. »Einem solchen Suchen, das sich früh schon im Unterbewussten regt, kann ein Astronomieunterricht gerade in der Mittelstufe entgegenkommen. Denn im Schüler etwa der 6. und 7. Klasse dämmert ein erstes Bewusstsein seines individuellen Schicksals auf, ein Ahnen des eigenen, ungewissen Lebens. Gegenüber mancher Eigenwilligkeit des jugendlichen Umbruchs wird das von Ewigkeit für die Erde Gefügten wohltuend erlebt werden« (Manfred von Mackensen).
Die aktuellen Beobachtungen erwecken frühere, durchlebte Eindrücke. Aus diesen sind inzwischen zuverlässige neue Wahrnehmungsorgane entstanden. Der Moment des Zusammentreffens von Wiederentdecken und »Jetzt sehe ich es«, ist wie eine Kommunion zwischen dem Blick nach außen und dem ins Innere schauen. Der Moment des Selber-Entdeckens schenkt Vertrauen in das eigene innere Auge. Schon nach kurzer Zeit wird man die Sternbilder an ihren unverwechselbaren Lichteigenschaften wiedererkennen. Die Lichtkomposition eines auffälligen Sternbildes prägt sich viel leichter ein, als es das geometrische Muster in der Lage wäre.
Steinbock und Ziegenfisch
Der Steinbock ist gezeichnet als ein Ziegenkopf mit einem Fischschwanz. Die Gestalt ist babylonischen Ursprungs. Einer der Götter trug den Namen SUHUR.MAS (»Suhur« bedeutet Ziege, »Mas« Fisch). Die Hörner des Ziegenfisches gehen als erstes auf, der Fischschwanz geht als letzter unter. Der Anblick zeigt, ob er steigt oder sinkt und sogar auch in welche Richtung das Sternbild sich bewegt. Die Babylonier schauten am Ende der Nacht, welches Sternbild untergeht und welches sichtbar wurde. Ihre Bilder sind insbesondere beim Aufgehen schön und stimmig.
Die Altgriechen haben spätestens 430 v. Chr. den Ziegenfisch von den Babyloniern übernommen. Sie nannten ihn Aigo-keros – »Ziegen-Horn«. Der lateinische Name lautet capri-cornus.
Mars flammt im Steinbock auf
Mars machte sich im Frühling auf den Weg, die ganze Nacht über im größten Glanz zu leuchten. Bei zunehmender Helligkeit bekommt sein Licht einen anderen Farbton, es wird orange. 2018 wird er so hell, dass sein Licht am klaren dunklen Nachthimmel gelborange ist. Kein anderer Planet zeigt so viele Farbnuancen. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juli erreicht Mars um Mitternacht die höchste Stelle
seines Himmelsbogens und leuchtet im größten Glanz. Er steht der Sonne gegenüber, dann kommt für die Sternfreunde alles Gute zusammen.
Je südlicher man sich nun befindet, umso früher geht die Juli-Sonne unter und umso früher haben Steinbock und Mars ihren Aufgang am südöstlichen Himmel. Und je näher zum Äquator, desto kürzer dauert die Abenddämmerung. Der Anblick vom Mars verwandelt sich bei Einbruch der Dunkelheit rascher von einem Lichtpünktchen am blauen Himmel zum großen und hohen Herrscher der Sternenwelt. Steinbock und Mars steigen schräger, schneller und auch länger empor als in den nördlicheren Gebieten. Sie leuchten um Mitternacht viel höher.
Der verfinsterte Vollmond
Am Mars-Oppositionstag findet noch etwas statt: Der Mond zieht weit nördlich an ihm vorbei. Er tritt in Opposition zur Sonne und wird zum Vollmond. Der Schein des Vollmondes erhellt die Umgebung und die Sterne und Planeten verblassen. Gerade wenn Mars seinen größten Glanz in 15 Jahren erreicht, wird er im Mondenschein verblassen.
Der Vollmond wird jedoch am 27. Juli ab 20.24 Uhr immer mehr verfinstert und geht etwa eine halbe Stunde später unsichtbar auf. Die totale Finsternis dauert von 21.30 bis 23.14 Uhr (MESZ). Während der Abenddämmerung steigen der (teilweise) verfinsterte Mond und Mars gemeinsam empor.
Der Vollmond kann in bestimmten Zeiten aussehen wie eine dunkle rostbraune Scheibe und in anderen Zeiten leuchten wie ein Kugel mit kupferroten, orangen, gelben und zartroten Farben, die subtil und fließend ineinander übergehen. Nur in den Stunden, in denen der Mond total verfinstert ist, leuchtet Mars am schwarzen (!) Himmel besonders! Eine rostbraune Scheibe in einem intensiven gelborangen Licht – ein seltenes und dramatisches Schauspiel, das am 27. Juli abends stattfindet.
Zur Autorin: Liesbeth Bisterbosch studierte Ernährungswissenschaft und begegnete der Himmelskunde am Emerson College in England; sie schloss ein naturwissenschaftliches Studienjahr am Goetheanum an und wurde Lehrerin für Himmelskunde und Chemie an der Waldorfschule. Heute ist sie freiberuflich tätig und gibt den jährlich erscheinenden Sternen- und Planetenkalender heraus (Verlag Urachhaus).
www.liesbethbisterbosch.org
Literatur: L. Bisterbosch: Himmelskunde mit geschichtlichen Betrachtungen über Namen und Gestalten der Sternbilder, Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, Kassel 2005