Hinschauen!

Lea Bachmann

Wir, die 12. Klasse der Freien Waldorfschule Hamm, wollten etwas Anderes als sonst üblich auf der Bühne darbieten. Wir entschieden uns für »Unschuld«, ein modernes Stück, das uns durch seine Aktualität am meisten angesprochen hat. Das Publikum war begeistert von der umfassenden Geschichte, die in diesem Theaterstück erzählt wird. Ein solches Stück wurde noch nie an unserer Schule aufgeführt, was wir auch durch die sehr positive Kritik der lokalen Presse widergespiegelt bekamen. So ging niemand ohne ein nachdenkliches Schmunzeln aus dem Theaterstück, denn jeder erkannte sich in der einen oder anderen Szene, die sich mit den Problemen der Welt beschäftigt, wieder.

Über den Sinn des Lebens nachdenken

Nicht jedem ist bewusst, wie gut wir es hier in unserem Land haben und wie zufrieden wir mit unserem Leben sein können. Deshalb ignorieren wir gern, dass uns auch eine andere Welt umgibt: Eine, in der Hunger, Terror und Hass schon zur Tagesordnung gehören.

Warum schauen wir nicht einfach mal hin und helfen, wo Hilfe benötigt wird? Genau diese Themen werden in »Unschuld« angesprochen, wie schon der Name sagt: Wir sind alle nicht so »unschuldig«, wie wir oft meinen – nur leider ist uns das gar nicht so klar … Auch wenn das Stück schon 2003 uraufgeführt wurde, ist es aktueller denn je. Die Flüchtlingskrise, Hunger, Armut, Suizidgedanken und viele weitere Probleme unserer Welt werden aufgegriffen und durch die verzweifelte Komik des Stückes so realistisch dargestellt, dass kaum einer sich nicht angesprochen fühlt. – Ein Gesellschaftsdrama, in dem man am Ende merkt, wie klein doch die Welt ist und dass alles zusammenkommt, was zusammengehört.

Zwei illegale schwarze Immigranten können einer Frau nicht helfen, die ins Meer geht und ertrinkt. Einer von ihnen kann nicht schlafen mit diesem schrecklichen Gedanken der Schuld, der andere findet plötzlich Gott in einer Tüte mit Geld und will die Welt damit verbessern. Absolut heißt eine blinde Tänzerin, die für Männer an der Stange in einem Nachtclub tanzt. Sie will den blauen Himmel sehen. Durch das Zusammentreffen mit Elisio, dem Immigranten, der die Tüte mit Geld gefunden hat, wird ihr Wunsch Wirklichkeit – durch eine Augenoperation wird sie sehend. Als Absolut sehen kann, weint sie bitterlich und ist am Boden zerstört. Sie muss der Realität ins Auge sehen, die ihr so bitter zu sein scheint, dass sie sich wünscht, wieder blind zu sein.

Frau Habersatt, eine Frau, die ihren Sohn verloren hat, bittet um Vergebung von Taten, die sie nie begangen hat. Sie kommt durch Zeitungsartikel an Fälle, in denen Kinder Opfer von Gewalt und Terrorismus geworden sind. Sie besucht diese Familien, um sich dort als Mutter des Gewalttäters auszugeben. Das ist ihre Art, mit dem Tod ihres Sohnes umzugehen. Franz ist ein Leichenwäscher, er macht diesen Job nur, um seiner Frau Rosa aus dem Weg zu gehen. Rosa versucht alles, um ein Kind von ihm zu bekommen. Sie will Franz gefallen und seine Aufmerksamkeit erlangen, jedoch ohne Erfolg. Frau Zucker, Diabetikerin, ist ihre Mutter, die Rosa für ihr schlechtes Leben verantwortlich macht und dennoch oder gerade deshalb bei Franz und Rosa einzieht. Sie weiß, dass ihr Leben dem Ende zugeht und so spricht sie offen über ihren größten Wunsch – sie will Tankwartin sein – um ihre eigene Welt zum Explodieren zu bringen. Dann gibt es noch Ella, eine alte Philosophin, die nur noch an die »Unzuverlässigkeit der Welt« glaubt und deswegen sogar ihren Mann umbringt. Am Ende schließen sich diese kleinen Geschichten zusammen und jeder findet die Lösung seines Lebensrätsels in sich selber wieder, wenn er bereit ist, wirklich hinzuschauen.

Das Stück setzt sich aus kleinen Szenen zusammen, die uns nachdenken lassen, welche Art von Leben wir Menschen auf der Erde führen. »Was ist überhaupt der Sinn des Lebens?« – so lautet die zentrale Frage von »Unschuld«. Das Stück handelt von der Unzuverlässigkeit der Welt, von Hass und Liebe, Glück und Trauer. Es ist ein Stück Wahrhaftigkeit in einer Welt, in der die Ehrlichkeit verloren gegangen ist. Dea Loher stellt unser Wohlergehen auf die Probe und bringt uns die Realität zurück. Denn in einer Zeit, in der man von Maschinen abhängig ist und oft selbst nur noch funktioniert, wird das wahre, reale Leben in den Schatten gedrängt.

Zur Autorin: Lea Bachmann ist Schülerin der 12. Klasse der Freien Waldorfschule Hamm