166 Waldorfeinrichtungen gibt es in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist wenig für das drittgrößte Land der Welt. Zum Vergleich: Die Niederlande, die von der Landesgröße her an 135ster Stelle stehen, besitzen 92 Einrichtungen. Der Mann von der Straße hat in den USA noch nie etwas von »Waldorf« gehört. Waldorfsalat – ja. Aber »Waldorfschulen«? Fehlanzeige.
Mit wenigen Ausnahmen befinden sich die amerikanischen Waldorfschulen in einem ständigen Kampf um genügend Schüler. Die Schulen sind gestresst, die Lehrer auch und die Budgets erst recht. Die Gehälter an Waldorfschulen sind
beschämend gering. Auch den Lehrerausbildungen könnte es besser gehen. Es gibt nicht genug Studenten, also auch nicht genug gut ausgebildete Lehrer. Schließlich ist die Waldorfpädagogik selbst durch kosmetische Operationen und mangelnde Widerstandskraft gegen die erdrückende Mainstreamkultur bedroht. Diese Anpassung wird als Lösung für das Problem des Schülermangels und der niedrigen Gehälter betrachtet. Andererseits ist es gerade dieser Opportunismus, der Menschen, die nach der Waldorfpädagogik suchen, abschreckt. Glücklicherweise gibt es dennoch manche, die uns finden und anerkennen, was sie finden.
Ende Oktober verbreitete sich http://www.nytimes.com/2011/10/23/ein Artikel über die Waldorfpädagogik, der zuerst in der New York Times erschienen ist, wie eine Grippe in der amerikanischen Waldorfbewegung aus. Man hielt ihn für den großen Durchbruch der Waldorfbewegung, auch wenn er kaum Informationen über die Besonderheiten dieser Pädagogik enthielt. Er konzentrierte sich auf das Silicon Valley, wo viele Mitarbeiter der dort ansässigen Internetfirmen ihre Kinder auf die Waldorfschule schicken: »Kein Computer im Klassenzimmer, keine Bildschirme«, hieß es im Artikel. Die Schule wurde vom Autor als Oase »wirklich engagierter Lehrer« mit eigenwilligen Lehrplänen porträtiert. Er machte deutlich, dass die Mitarbeiter der Computerindustrie die Grenzen dieser Technologie sehen und die menschlichen Werte der Waldorfpädagogik schätzen. Ironischerweise wurde dies in einem historischen Augenblick von außen bemerkt, in dem wir selbst die größte Mühe haben, an unseren Überzeugungen festzuhalten.
Andererseits ist die Existenz der 166 Waldorfinitiativen in den USA so etwas wie ein Wunder. 118 davon sind Schulen, 32 Kindergärten und 16 Lehrerbildungsstätten. Da sie allein von Schul- und Studiengeldern sowie privaten Spenden getragen werden, hängt ihre Existenz von der Zahl Schüler ab. Obwohl alle Schulen Formen der Beihilfe kennen, sind die Schulgelder hoch. In San Francisco und Umgebung zahlt man durchaus 17.000 Dollar pro Kind und Jahr. An der San Francisco High School beträgt das Schulgeld gegenwärtig 28.700 Dollar.
Ist es nicht ein Wunder, dass sich immer noch genug Eltern finden, die die Waldorferziehung ihrer Kinder schätzen und sie sich auch leisten können? Und dass es genügend idealistische Lehrer gibt, die von unangemessenen Gehältern leben? Ebenso bemerkenswert ist aber, dass diese vom Schulgeld abhängigen Schulen immer noch unabhängig vom Staat sind und weiterhin aus ihren tiefsten Wurzeln, aus der Anthroposophie heraus, arbeiten können.
Wir sind ein homöopathischer Tropfen im Glas, aber wir wissen ja: Homöopathie wirkt!
Zur Autorin: Dorit Winter ist Leiterin der Lehrerausbildung in der Bay Area San Francisco | Übersetzung: Lorenzo Ravagli