Ich bin ein Bestimmer

Von Naomi Bahlo, November 2016

Was braucht eine Leitkultur, wie wir sie uns für die Zukunft unserer Kinder wünschen, von uns Menschen in der Gegenwart? Sie braucht aufmerksame Menschen, die nicht blind durchs Leben gehen, die sich Tag für Tag neu »selbst erziehen«, sich ihrer eigenen Wirksamkeit bewusst sind und ihren eigenen Teil zum großen Ganzen beitragen.

Foto: © Tinvo / photocase.de

Wir müssen nicht gleich Politiker werden, die Gesetze verabschieden, um die Welt zu verbessern. Natürlich sind eine investigative, aufklärende Presse, eine Religion, die menschliche Werte vertritt, oder eine Wirtschaft, die nachhaltig ist, wünschenswert.

Aber die Frage, die sich ein »einfacher« Bürger stellt, ist doch: Was kann ich jetzt sofort, ohne großen Zeitaufwand, überflüssiges Geld oder großartiges Wissen tun?

Mein Tipp: Versucht nicht gleich alles zu ändern, denn dann ist Frust und Resignation vorprogrammiert, soll heißen, fangt klein an. Zum Beispiel: Verzichte auf Coffee to go oder Plastikmüll oder Fast Food – und zwar konsequent.

Die heutige Zeit bietet grenzenlose Möglichkeiten. Doch heute, wo ich sie habe, weiß ich kaum etwas mit meiner Freiheit anzufangen. Weder fühle ich mich im wahrsten Sinne des Wortes frei, noch weiß ich wirklich, was Freiheit alles beinhaltet. Doch ich kann mich aufraffen, mein Leben dazu zu nutzen, zum Wohle der ganzen Menschheit etwas Nachhaltiges zu (er)schaffen, das unseren Kindern ein Leben ermöglicht, das sich lohnt zu leben. Wünsche können Realität werden, sobald ich bereit bin, etwas dafür zu tun und aufhöre, nur davon zu träumen. Ich bin als Bürger dieser Welt, als Konsument und Wähler nicht nur Mitbestimmer, sondern auch Bestimmer. Es hat keinen Sinn zu sagen, ich als Einzelperson kann nichts tun oder bewirken. Es kann nur bei mir anfangen.

Und jede Tat ist erst einmal die Tat eines einzelnen Menschen und jeder Schritt eines einzelnen Menschen kann eine Lawine auslösen – im Guten wie im Schlechten. Solche, die uns retten oder solche, die uns umbringen. Sobald ich mich entschließe, etwas zu tun oder zu unterlassen, entsteht etwas. Jeder Gedanke schafft Möglichkeitsräume, doch erst die Tat macht sie real. Und wenn ich beginne, wollen mir andere vielleicht folgen. Selbst wenn ich meine, dass meine kleine Tat bezogen auf das große Ganze nichts bewirkt, ist dies ein Irrtum. Jedes Wort, das ich ausspreche, hat sofortige Konsequenzen. Jede Handlung, die ich vollziehe, hat Folgen. Grüße ich einen Menschen, der mir im Park begegnet, kommt eine Gegenreaktion – welche auch immer. Grüße ich ihn nicht, hat das auch eine Folge, zum Beispiel, dass die menschlichen Beziehungen erstarren. Es ist das Prinzip von Ursache und Wirkung.

Wenn ich mich entschließe, heute noch einkaufen zu gehen, wird eine ganze Reihe von Folgen ausgelöst. Auf meinen Gedanken folgt eine Tat, auf meine Tat folgen weitere Taten anderer Menschen und so weiter. »Ein einzelner Schmetterling kann mit einem Flügelschlag eine winzige Veränderung auslösen, die zu einer größeren Veränderung führt, welche schließlich zu einem Tornado auswächst«, schrieb Katherine Alice Applegate in »Animorphs«.

Ein Sprichwort besagt: »Am Ende ist alles gut und wenn nicht alles gut ist, so ist es noch nicht das Ende«. Und wo kein Ende ist, da ist auch nicht festgeschrieben, wie es weitergeht. Ich bin fest davon überzeugt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um seinem Leben einen Sinn zu geben und ein stärkeres Bewusstsein für die Dinge um uns herum zu entwickeln. Es ist wichtig, die Zeit, die man hier auf der Erde verbringt, dazu zu nutzen, etwas zu tun, das nicht nur dem aktuellen Moment und dem eigenen Ego dient. Es gilt vielmehr, etwas zu vollbringen, das uns am Ende unseres Lebens das Gefühl und die Gewissheit gibt, Kraft unserer Möglichkeiten etwas getan zu haben, die Welt zu verbessern. Und sei es nur der Entschluss, von heute an keinen Kaffee mehr zu kaufen, der in Bechern ausgeschenkt wird, oder Plastikflaschen, die danach weggeworfen werden. Als Eltern oder Erzieher sind wir Vorbilder für unsere Kinder. Und damit sind wir schon mitten in einer neuen Leitkultur. Also »steh auf, nimm dein Bett und wandle!« (Psalm 130.4) (Jesaja 43.25)

Autorin: Naomi Bahlo ist Studentin am Waldorferzieherseminar in Stuttgart

Kommentare

henning köhler, 10.12.16 19:12

Gut, gut. Erinnert mich an meine Pfadfinderzeit. Da leisteten wir alle eine Art Eid, jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen, und sei sie noch so klein. Wer immer am großen Rad drehen will, vergisst das gern und zaubert dann Utopien an den Horizont, die er/sie selbst Lügen straft. (Da schwingt auch ein bisschen Selbstkritik mit ...)
Herzliche Grüße
Henning Köhler

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