Ich bin kein Datum. Über Datenschutz und Selbstvertrauen

Philip Kovce

Dialektik der Unmenschlichkeit

Datensucher sind die Goldgräber des 21. Jahrhunderts. Sie heißen nicht mehr Johnny oder Jimmy, sondern Apple, Amazon, NSA & Co. Gemeinsam ist ihnen, dass sie vorwiegend im Wilden Westen operieren.

Nur gilt es heute, einen guten Fang nicht bloß im nahegelegenen Flusslauf, sondern im weltenweiten Datenfluss zu machen – wo immer ein Mensch mit Telefon oder Computer, Kreditkarte oder Navigationssystem hantiert. Das smarte Versprechen der Datendealer: Wir helfen dir, du selbst zu sein. Das Ziel dieser Versuchung: Wir wollen wissen, wer du bist.

Doch wer will das schon? Ungefragt ein Datensatz sein? Entsprechend kritisieren immer wieder und immer mehr Menschen die Datenschatzsucher vor allem des Silicon Valley. Den Zielen der digitalen Identitätsfänger begegnen sie mit politischen Forderungen nach mehr Datenschutz – doch oft in einer Weise, die einer Dialektik der Unmenschlichkeit gleicht. Denn wer seine Menschlichkeit auf Basis der Daten reklamiert, der gesteht jenen Informationsjägern bereits zu, an der rechten Stelle nach dem Menschlichen zu suchen. Wer zur Selbstvergewisserung tagtäglich auf persönliche Daten angewiesen ist, der verteidigt seine Persönlichkeit just an der Datenfront, an der sie fällt. So oder so.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt gute Gründe und geltendes Recht, Menschen vor Missbrauch ihrer Daten zu schützen. Doch was es nicht gibt, ist ein Rechtsschutz des Menschen davor, sich selbst als Datum zu begreifen. Datenschutz lässt sich organisieren, Selbstvertrauen nicht.

Das Aufbegehren gegen die googleeske Welt von heute beruht nicht selten darauf, das Datum für das Ich zu halten. Welch ein Irrtum! Das Ich erschöpft sich nie und nimmer – und das Datum ist das Urbild der Erschöpfung. Es kommt zum Punkt. Zur Sache. Zum Ende. Das Ich hingegen beginnt, schöpft, gestaltet – und entzieht sich durch die Schöpfung der Erschöpfung.

Die Maschine ist wesen­los, der Mensch wesentlich – und er hört es auf zu sein, wenn er sich selbst datiert, zum Datum degradiert.

Die Ethik der Technik

Natürlich ist es nicht bedrohlich, einen PC oder ein Navi zu benutzen. Sie gefährden die Identität des Menschen ebenso wenig wie die Waschmaschine oder das Auto. Jedenfalls nicht, wenn klar ist: Weder Waschmaschine noch Auto, weder PC noch Navi haben eine Seele – bis ich ihnen eine borge. Damit sie wesentlich werden, ist es vonnöten, dass ich ihnen mein Wesen anteilig überlasse. Ich kann Computer werden: Dann falle ich mit meinem Wesen seinem Unwesen anheim. Oder der Computer wird ein Teil von mir: Dann bejahe ich sein Unwesen – in der Absicht, es wesentlich in Dienst zu nehmen. Wer der Ansicht ist, Computer seien sehr wohl wesenhaft, für den gilt: Entweder ich bejahe sein Wesen, auf dass es Helfer des Wesentlichen werde – oder sein Wesen nimmt mein Wesen in Besitz.

Wer versucht, sich aller Möglichkeiten der Technik, ganz gleich ob Waschmaschine oder PC, zu vergewissern, der kann aufgrund dieser Vergewisserung entscheiden, ob er sie oder wie er sie verwendet. Wohl wissend, was alles durch sie möglich und unmöglich wird – und weniger überrascht oder entsetzt, wenn dann tatsächlich eintritt, dass etwa die Waschmaschine das Verhältnis des Menschen zur Textilpflege, das Auto das Verhältnis des Menschen zur Fortbewegung oder der Computer das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit als solcher nachhaltig beeinflusst. Erst wenn ich weiß, was Waschmaschine und Auto, PC und Navi mir abnehmen, ja wovon sie mich befreien, kann ich auch ahnen, wofür sie mich befreien – durch Gebrauch oder Verzicht.

Neue Medien, erneuerte Mysterien

Die Freiheit der Technik gegenüber besteht darin zu entscheiden, wie man sie benutzen will. Und auf drastische Weise erinnern die neuen Medien daran, alte zu überdenken. Zwei Beispiele: In den letzten Jahren sind die Angebote des E-Learning massiv ausgeweitet worden. Onlinekurse, Lernprogramme, Nachschlagewerke – alles ist elektronisch verfügbar. Spannender, als darin den Untergang des Abendlandes zu sehen, ist die Frage, welche unsinnigen Zusammenkünfte wir uns heute leisten – die wir uns in Zukunft dank neuer Medien zugunsten sinnvoller Zusammenkünfte sparen können.

Wer heute die schulischen oder akademischen Curricula durchblättert, der weiß, dass sie trotz Anwesenheitspflicht oftmals mit nichts weniger rechnen als mit der Präsenz des sich bilden wollenden Ich. Aufgrund der neuen Medien ist Abwesenheit dort möglich, wo nicht mit der Anwesenheit gerechnet wird – um für die Anwesenheit neue Formen zu finden. Ähnliches gilt für den Buchmarkt: Das E-Book läutet nicht das Ende der Gutenberg-Ära ein, sondern es befreit unzählige Texte davon, Buch werden zu müssen – und gibt so dem papiernen Kunststück seine Würde zurück. Text zu sein, heißt nicht mehr zwangsläufig, Buch sein zu müssen – und Buch kann nun alles das werden, was nicht bloß Text, sondern zur Wirkung auf die Materialität des Buches angewiesen ist.

In den Schlingen der Maschine, in den Determinanten des Datums verfängt sich nur, wer sein Ich für ein Datum, seine Persönlichkeit für eine Maschine hält. Der Transparenz­gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist es aufgegeben, wieder geheimnisfähig zu werden für das offenbare Geheimnis des Ich. Seine Wahrheit ist nur wirksam, wenn sie sich nicht an Zahlen, Daten, Fakten verliert, ja verrät. Dieser Verrat, der nicht als solcher auftritt, weil er meint, es gäbe gar nichts zu verraten, ist der Mysterienverrat der Gegenwart.

Zum Autor: Philip Kovce ist freier Autor und Mitwirkender am Basler Philosophicum. Jüngst erschienen seine Sammlung »Stichwort Freiheit. Spirituelle Perspektiven« (Rudolf Steiner Verlag) sowie sein Essay »Götterdämmerung. Rudolf Steiners Initialphilosophie« (Edition Immanente).