Impfzwang und Erosion der Demokratie. Michael Friedl im Interview

Erziehungskunst | Herr Friedl, wie stellen Sie sich vor, das Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes (MSG) Anfang März noch verhindern zu können?

Michael Friedl | Durch eine Einstweilige Verfügung, die das Inkrafttreten des Gesetzes bis zur abschließenden Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht aussetzt.

EK | Inwiefern werden die Elternrechte massiv eingeschränkt?

MF | Die Eltern sollen nicht mehr eigenverantwortlich Risiken der Impfung gegen die des natürlichen Lebens abwägen dürfen. Da jeder Mensch körperlich familiär geprägt und dennoch einmalig ist, können allgemeine, abstrakte Wahrscheinlichkeiten nicht individuelle Risiken erfassen. Zudem sind viele immunologische Zusammenhänge noch unerforscht und viele Risiken somit unbekannt. Sie gelten deshalb wissenschaftlich nicht als Kontraindikation. Dadurch treten unerwartete Komplikationen auf. Dieses zu vermeiden ist bestenfalls dem feinen Gespür einer Mutter oder des Vaters durch die intuitive Beziehung auch zur Familiengeschichte möglich. Respekt für solche subjektiven, verantwortlichen Entscheidungen kann somit vor Schädigungen bewahren. Umgekehrt gibt auch eine Impfung keinen absoluten Schutz. Wohlgemerkt: Masern sind keine Seuche wie die Pocken, was rechtfertigen würde, den persönlichen Freiraum derart einzuschränken.

Vorschulischen Einrichtungen wird untersagt, ein nicht gegen Masern immunisiertes Kind aufzunehmen. Mütter werden genötigt, zu Hause zu bleiben, oder finanzielle Zwänge und der Wunsch nach sozialer Teilhabe erzeugen den Druck, einen ungewollten Eingriff in den Körper des Kindes zuzulassen.

EK | Warum bedeutet das Inkrafttreten eines solchen Gesetzes »Kindesentzug«?

MF | Politiker entscheiden über Leib und Leben der Kinder an den Eltern vorbei, ohne dass diesen ihr Sorgerecht durch ein ordentliches Gerichtsverfahren entzogen worden wäre. Das Masernschutzgesetz greift tief in das Verhältnis von Eltern und Kind ein. Mit der Geburt übernehmen Eltern die volle Verantwortung für das Leben des Kindes. Diese einzigartige Bindung in einseitiger Abhängigkeit fordert die Liebesfähigkeit der Erwachsenen stark heraus. Viele Eltern kommen hierbei durchaus an ihre Grenzen. Eine wider Willen geduldete Impfung verletzt diese tiefe und innige Bindung der Mutter zum Kind und behindert die Entwicklung der Basis des Urvertrauens.

Das dieser Bindung zugrunde liegende Gefühl ist zunächst sehr zart und wird durch Angst und manipulierende Fragen (»Wollen Sie, dass ihr Kind stirbt?«) leicht überlagert. Solch bevormundendes an Stelle von beratendem Verhalten von Ärzten trägt zu der stark zunehmenden Unsicherheit vieler Eltern bei. Rechtlich droht mit der Einführung der sogenannten Kinderrechte ins Grundgesetz die Zwangsimpfung. Der Berufsverband der Kinderärzte sucht schon lange nach einem Weg, Eltern zu Impfungen gemäß Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zwingen zu können.

EK | Welche Aussichten räumen Sie einer Verfassungsklage ein?

MF | Wir vertrauen darauf, dass die Richter die Tragweite der zahlreichen Grundrechtseingriffe erkennen. Unser Grundgesetz entstand in der Folge einer menschlichen Tragödie, um eine solche zukünftig zu verhindern. Die Menschen verlieren scheinbar den Bezug zu dieser Intention. Gesundheit ist ein lebenslanges Lernfeld für das Verständnis des Zusammenhangs von Mensch und Welt. Sie ist letztlich weder käuflich noch zu erzwingen. Sie hängt zwar von äußeren Bedingungen wie Ernährung, Wärme und hygienischen Verhältnissen ab, beruht aber wesentlich auf körpereigenen, selbstregulierenden Prozessen. Heilung umfasst dabei seelische und geistige Bereiche und ist weitaus mehr als die Beseitigung unangenehmer Symptome. Hier bedarf es des unbedingten Schutzes der körperlichen Selbstbestimmung und eines veränderten Blickes auf den Stellenwert von Krankheit im menschlichen Leben.

EK | Warum ist das Masernschutzgesetz symptomatisch für eine Entdemokratisierung unserer Gesellschaft?

MF | Einen körperlichen Eingriff zur Voraussetzung für die Teilhabe an der Gemeinschaft zu machen, verletzt das elementare Bedürfnis nach Schutz und Zugehörigkeit und respektiert subjektive Gründe gegen diesen Eingriff nicht. Wir Deutschen dürften besonders feinfühlig sein für die Folgen von Ausgrenzung. Wenn Andersdenkenden und Andersglaubenden ihre gesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft und Zugehörigkeit abgesprochen wird, schwindet auch eine plurale, sachorientierte Wissenschaftsauffassung. Die Fachleute sind sich hinsichtlich des MSG keineswegs einig.  Es wirkt schon deshalb willkürlich und scheint anderen als den angegebenen Interessen zu dienen. Solche Maßnahmen assoziiere ich mit totalitären Regimen. Der Bürger als Souverän wird entrechtet.

EK | In Deutschland gibt es laut European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) keine Maserntoten (Stand 2018); laut Statista (2019) liegt die Durchimpfung der Bevölkerung seit 2007 unverändert bei hohen 97 Prozent. Wieso jetzt ein Masernimpfgesetz?

MF | Die Gründe dafür liegen im Dunkeln. Die medizinische Unbegründetheit hat bei der erstaunlichen und überraschenden Einmütigkeit der Politiker nicht weiter interessiert. Die gesellschaftspolitische Situation dürfte also ausschlaggebend gewesen sein. Verunsicherung und ein Gefühl von Bedrohtsein veranlasst Menschen, die Verantwortung für ihr Leben in der Hoffnung auf Sicherheit und Fürsorge in fremde Hände zu legen. Die heutige Medizin hat immer mehr Möglichkeiten, machtvoll in Lebenszusammenhänge lebenserhaltend einzugreifen. Sie vermittelt ein Bild des Körpers als komplexe Maschine, die von außen steuerbar ist und behandelt wird, was Selbstheilung oder individuelle Prozesse unwesentlich werden lässt. Hier schließt sich der Kreis.

EK | In Deutschland soll ein Kombinationsimpfstoff gegen Masern zum Einsatz kommen, der gleichzeitig gegen Mumps und Röteln schützen soll. Kann man sich dagegen wehren?

MF | Der Gesetzgeber mutet zu, zur Verfügung stehende Impfstoffe mit Masern-Komponente zu verwenden. Damit liegt nun bei den Herstellern, was den Kindern letztlich injiziert wird. Einzelimpfstoffe und ihre differenzierte Anwendung könnte durchaus Krankheiten verhindern: nach einer Mumpserkrankung tritt Eierstockkrebs 15 bis 20 Prozent seltener auf; das sind pro Jahr in Deutschland 750 Frauen weniger. Eine Impfung gegen Röteln erhöht bei vorhandener Immunität das Risiko für zum Teil chronische Gelenkentzündungen.

EK | Eine Immunität gegen Masern ist meist nach der Erstimpfung gegeben. Warum muss es dann eine Zweitimpfung geben?

MF | Zwei bis drei Prozent ohne primäre Immunantwort reagieren dann auf diese.

EK | Was raten Sie Eltern?

MF | Kinder überantworten sich ihren Eltern vollständig und vertrauen bedingungslos darauf, dass diese ihre Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen fällen. Dies ist die Basis gemeinsamer Entwicklung. Tragfähige Entscheidungen entstehen nicht allein durch gedankliche Überlegungen, sondern unter Einbeziehung subjektiver Empfindungen. Hierbei kommen unterschiedliche Lebensanschauungen und Erfahrungen zum Tragen. Paradoxerweise entstehen gerade in der inneren Hinwendung zu Begrenztheit und Unwissen umfassende Entwicklungschancen. Kinder brauchen Vorbilder, die mit ihrer Unsicherheit beim Blick in die Zukunft umzugehen bereit sind. Das Bauchgefühl ist ein wahrnehmbarer und helfender Begleiter.

EK | Wie sollen sich Lehrer und Schulen verhalten?

MF | Jeder Lehrer und jeder Schulleiter ist zutiefst in seiner Weltanschauung und seinem Wertesystem angesprochen und gefragt.  Auf dem Hintergrund von Deutschlands konkreter Geschichte bieten sich vielfältige Ansatzpunkte, über das Verhältnis von Staat und Individuum, Autonomie und gesellschaftliche Verantwortung, Selbstbehauptung und Unterwerfung, Selbstbestimmung und Manipulation, Krankheit und Heilung nachzudenken. Wir alle können aus der gegenwärtigen Entwicklung lernen.

Die Fragen stellte Mathias Maurer.