Ina

Johanna Büttner

Ina, mein Engel, nennt sie mich. Das gefällt mir. Ich bin gern ein Engel. Engel. Das ist ein hellblau-goldenes Wort, ein warmes und doch auch kühles Wort. Ein schönes Wort. Ich frage mich, ob ich, wenn sie mich so nennt, auch hellblau-golden, warm und zugleich kalt und schön werde? Ich weiß es nicht, aber ich stelle es mir gern vor.

Dann sehe ich meinem Schatten auf dem Asphalt plötzlich Flügel wachsen, und wenn ich in den Spiegel sehe, bin ich von einem schimmernden Mantel umgeben. Ich mag es, in den Spiegel zu sehen. Es ist, als ob man sich beim Denken zuschauen kann, und manchmal als ob man eine alte Photographie von sich anschaut, auf der man sich erst nicht wieder erkennt.

Ich höre sie wieder rufen: »Ina, mein Engel«, doch ich gehe nicht zu ihr. Ich bleibe ganz still sitzen und spüre, wie meine Flügel anfangen zu wachsen. Dann strecke ich mich auf dem Holzboden aus und spüre, wie weich und warm das Holz ist. Wenn ich ein Engel bin, spüre ich alles viel genauer. Plötzlich steht sie in der Tür: »Ja, was machst du denn da, Ina? Hast du mich denn nicht rufen gehört?« Doch, denke ich.

Aber Engel kommen nicht, wenn man sie ruft. Engel kommen, wenn man sie braucht.