Interkulturell im Brennpunkt. Die Bildungsinitiative IBIS im Stuttgarter Nordosten

Dieter Kötter

Die Erfahrungen der Waldorfpädagogik sollen in der interkulturellen Initiative IBIS mit den bewährten Prinzipien des dualen Berufsbildungssystems zu einer neuen Qualität ganzheitlicher Bildung verknüpft werden: Ziel ist die Allgemeine Fachhochschulreife integriert mit einem Berufsabschluss bzw. einer Berufsqualifikation. Ein Abiturzweig soll folgen.

Mit Emil Molt, dem Generaldirektor der Waldorf Astoria Zigarettenfabrik und Mitbegründer der ersten Waldorfschule in Stuttgart, signalisiert die Namensgebung des Waldorf-Berufskollegs unseren integrativen und sozialen Ansatz, nämlich Lernen und Arbeiten zur Grundlage einer freiheitlichen Persönlichkeitsbildung zu machen.

Interkultureller Impuls

Der interkulturelle Impuls war schon bei der Gründung der ersten Waldorfschule anwesend. Es ging nach dem ersten Weltkrieg um die große Aufgabe der Völkerverständigung. Steiner führte den fremdsprachlichen Unterricht ab der ersten Klasse ein, damit die Kinder möglichst früh den Wert fremder Sprachen kennen lernen und später zu einem echten Verständnis anderer Völker kommen konnten. Heute stehen wir durch Kriege und die Globalisierung vor einer ebenso großen, wenn nicht sogar größeren Herausforderung. Noch nie haben so viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Es ist eine globale Aufgabe, zu einer gegenseitigen Schätzung und Achtung von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu erziehen. Wir hoffen, durch unseren (fremd-)sprachlichen Ansatz einen Beitrag zur Völkerverständigung, zum »globalen Lernen« leisten zu können. Dabei können wir auf den Erfahrungen der Mannheimer Interkulturellen Waldorfschule aufbauen. Unsere speziellen Unterrichtsangebote sollen zur Wertschätzung anderer Kulturen und Sprachen führen. Schüler, die Deutsch nicht als Muttersprache kennen, sondern als Fremd- oder Zweitsprache, erhalten besonderen Deutschunterricht.

Alle Kinder dürfen kommen

Alle Kinder aus allen sozialen Schichten des Stadtbezirks sollen die Schule besuchen können. Dies wird unter anderem durch die Unterstützung der Mahle Stiftung möglich. Wir fragen nicht, ob die Eltern und Kinder zur angestrebten Pädagogik der Schule passen, vielmehr soll die Pädagogik an die Kinder angepasst werden. Auch schon 1919 wurden alle Kinder der Arbeiter der Waldorf Astoria Zigaretten­-fabrik in die Schule aufgenommen, eine Auswahl wurde nicht getroffen. Allerdings blieb damals die Oberstufe der Waldorfschule unvollständig.

Schon im zweiten Schuljahr zeigte sich ein Problem: Viele Eltern nahmen nach der achten Klasse die Kinder aus der Schule, um sie eine Berufsausbildung machen zu lassen. Rudolf Steiner empfahl daraufhin, den Unterricht für alle Kinder viel stärker lebenspraktisch zu gestalten.

Inzwischen haben viele Waldorfschulen diese Anregungen aufgegriffen und weiterentwickelt. Beratend und unter­stützend haben am Oberstufenkonzept Peter Schneider (Alanushochschule und Universität Paderborn) und Thomas Stöckli (Institut für Praxisforschung, Solothurn) mitgewirkt. Auch auf ihren Erfahrungen kann unsere Schulgründung aufbauen.

Duales Lernen in der Oberstufe

Für die Oberstufe wurde ein neuer Bildungsgang entwickelt: Die Schüler werden über einen Zeitraum von drei Schuljahren ein Drittel der Zeit in einem Betrieb arbeiten. Mit dieser praktischen Tätigkeit kann eine Lehrzeit- oder Ausbildungsverkürzung erreicht werden. Das Modell wurde zusammen mit der Mahle GmbH und der Freien Krankenpflegeschule in Filderstadt entwickelt und stößt bei einer Vielzahl von Betrieben und Einrichtungen auf großes Interesse.

In der Schule soll ab der 10. Klasse eine Schülerfirma mit fächerübergreifendem Unterricht einen wesentlichen Schwerpunkt bilden. Durch die Verbindung von Lernen und Arbeiten erstreben wir die gegenseitige Befruchtung betrieblicher Arbeit und schulischen Lernens. Sie soll der umfassenden Reifung der Jugendlichen dienen, sowie eine umfassende Allgemeinbildung bis einschließlich dem 13. Schuljahr und eine Förderung der Kreativität durch künstlerische und handwerkliche Tätigkeit gewährleisten.

Die Betriebe lernen die Schüler bereits vor dem Abschluss eines Ausbildungsvertrags kennen. Die Option auf einen höheren Schulabschluss und eine künftige Berufsausbildung kann länger offen gehalten werden.

Durch die Schule wird der Standort Stuttgart um eine neue Facette der Waldorfpädagogik bereichert, die von der Öffentlichkeit begrüßt wird. Es handelt sich um ein Projekt, das Schritt für Schritt mit allen Beteiligten in einem gemeinsamen Lernprozess verwirklicht werden wird. Für dieses inspirierende Vorhaben werden engagierte Mitstreiter gesucht.

Zum Autor: Dieter Kötter ist Oberstufenlehrer für Mathematik und Physik an der Tübinger Freien Waldorfschule und Vorstandsmitglied von IBIS Stuttgart.