Standpunkt

Interview mit sich selbst

Friederike Gläsener

Klingt vielversprechend. Und, so mein weiterer Gedanke, wie sieht es aus, wenn ich den Vorgang nun auf den einzelnen Lehrer und die einzelne Lehrerin beziehe, die sich selbst interviewen? Wer interviewt dann eigentlich wen?

Tragen wir eine Instanz in uns, die überschauender und weiser ist als unser Alltagsmensch? Wir sprechen auch von Selbsterkenntnis und von Selbsterziehung. Wir haben ein Selbst, das sich erkennen und erziehen kann, das heißt: die Möglichkeit und Bereitschaft sich aus eigener Kraft und Erkenntnis zu verändern. Geheimnisvolle und wunderbare Qualitäten der Bewusstseinsseele! Wir sind fähig, die eigene Entwicklung in die Hand zu nehmen, Schwächen zu bearbeiten und eine entsprechende Korrektur zu bewirken. Und das bereitet Freude!

Aber es stellt auch eine Herausforderung dar. Wie befrage ich mich? Bin ich so, wie ich mich bisher gesehen habe? Bin ich ehrlich zu mir selbst? Bin ich willens, Eitelkeiten, Illusionen und Bequemlichkeit zu überwinden? Und falls ich Fehler finden sollte: Wäre es nicht viel bequemer, es würde mir jemand sagen, wie alles zu sein hat? Mir das Ringen um eigene Erkenntnisse ersparen? Mir gleich die notwendigen Schritte mitteilen, die ich zu gehen habe? Doch was würde mir dabei verloren gehen? Was ist das Besondere eines Interviews mit sich selbst? Aldous Huxley sagte einmal: »It is not the same, to know the truth about yourself and to hear it from others.« Ohne die Sorge der Beurteilung von außen, ohne Rechtfertigung in aller inneren Offenheit und Ehrlichkeit auf mein Verhalten, meinen Unterricht, meine Beziehung zu den Schüler:innen zu schauen – diese Möglichkeit böte ein solches Selbst-Interview. Es scheint also eine echte Chance darin zu liegen, die Selbstreflexion einmal in den Vordergrund zu stellen und zu pflegen. Unterrichtsqualität entsteht ja letztlich durch die einzelnen Lehrer:innen, ihre Entwicklungsfreude, Geistesgegenwart und die Beziehung zu den Schüler:innen. Viel kann schon dadurch geleistet werden, dass ein regelmäßiger Rückblick erfolgt, etwa: Wie genau bin ich mit einer vielleicht schwierigen Situation umgegangen? Was habe ich empfunden und getan? Wie habe ich die Reaktion der Schüler:innen wahrgenommen? Solche Fragen bringen uns weiter und sie verwandeln sich in der Unterrichtsvorbereitung auf die nächste Stunde in neue Ideen und in eine wachere und feinere Wahrnehmung der Schüler:innen.

Was entstünde in einer Schule, in der jeder Mitarbeitende eine solche Selbst-Betrachtung ernsthafter und ehrlicher pflegte? In der die »berühmte« Selbsterziehung wirklich zur Kultur würde? Was geschähe in einer Gemeinschaft von Menschen, die … naja, beginne ich mal bei mir selbst!

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