Globales Wirtschaften geht nur brüderlich

Klaus Weißinger

»Drei Milliardäre wiegen 48 ärmste Länder auf« 

Armut und Reichtum auf der Erde klaffen in krasser Form auseinander: Die Süddeutsche Zeitung hat das schon vor zehn Jahren einmal so zusammengefasst: »Das Vermögen der drei reichsten Männer der Welt ist größer als das Bruttoinlandsprodukt der 48 ärmsten Länder mit einer Bevölkerung von 600 Millionen Menschen. Darauf weisen die Vereinten Nationen (UNDP) in einer in Genf veröffentlichten ›Armutsstatistik‹ hin. Danach haben diese Länder, in denen ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt, nur einen Anteil von 0,3 Prozent am Welthandel. Ihr Anteil ist damit heute nur noch halb so groß wie vor 20 Jahren. Von den mehr als 1,3 Milliarden Menschen weltweit, die ein Dasein in absoluter Armut fristen, leben 100 Millionen in den Industrienationen.« Wir müssen davon ausgehen, dass sich an dieser Beschreibung nichts Wesentliches geändert hat. Das unterstreicht eine Grafik zur Verteilung der Millionäre aus dem Jahre 2008.

Der Weltsozialbericht der Vereinten Nationen 

Wie es den Armen in dieser Welt geht, darüber gibt der Weltsozialbericht der Vereinten Nationen Aufschluss, zuletzt 2005. Obwohl einige Teile der Welt während der letzten Jahre noch nie da gewesenes Wachstum und eine enorme Verbesserung des Lebensstandards erlebt haben, bleibt die Armut fest verwurzelt, und ein großer Teil der Welt in einer Falle der Ungleichheit gefangen.

Einige Ergebnisse des Berichts:

• Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern hat die Globalisierung begleitet.

• Jugendliche sind mit einer zwei bis drei Mal höheren Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit betroffen als Erwachsense. Das Unvermögen der Staaten, junge Menschen in die formelle Wirtschaft zu integrieren, lässt die Schattenwirtschaft rasch wachsen und destabilisiert die Staaten.

• Millionen von Menschen arbeiten und bleiben arm. Fast ein Viertel aller Arbeitskräfte weltweit verdienen nicht genug, um sich und ihre Familien über die Armutsschwelle von einem US-Dollar pro Tag zu heben.  Sich verändernde Arbeitsmärkte und zunehmender globaler Wettbewerb haben zu einer Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen, besonders in Entwicklungsländern geführt.

• In vielen Ländern hat die Ungleichheit der Löhne, besonders zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften zugenommen: Besonders in China und Indien sinken die Reallöhne, während die Einkommen der Reichen wachsen. In den entwickelten Ländern hat die Einkommenskluft besonders stark in Kanada, Großbritannien und den Vereinigten Staaten zugenommen.

• Trotz Fortschritts in manchen Bereichen hat die Ungleich­heit beim Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung zugenommen, besonders in Afrika südlich der Sahara und in Teilen Asiens. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beim Zugang zu Bildung hat etwas abgenommen, besteht aber weiterhin. Das vermindert die Chancen, die Armut nachhaltig abzubauen.

• Die anwachsende wirtschaftliche und politische Ungleichheit gefährdet sowohl den nationalen, als auch den internationalen Frieden.

• Indigene Völker, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Jugendliche dürfen oft nicht über ihr eigenes Schicksal bestimmen.. Diesen Gruppen werden immer noch ihre grundlegenden Menschenrechte verwehrt.

Wie kann laut dem Weltsozialbericht 2005 den negativen Folgen der Globalisierung entgegen gesteuert werden?

• Alle Länder müssen über die Prozesse mitentscheiden können, die bisher nur von wenigen internationalen Entwicklungsakteuren bestimmt werden.

• Auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit sollten besondere Anstrengungen unternommen werden, um Randgruppen in die Gesellschaft zu integrieren.

• Um globale Konflikte und Gewalttätigkeiten zu verhindern, müssen die Ungleichheiten beim Zugang zu Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten abgebaut werden.

• Die Arbeitsbedingungen in der informellen Wirtschaft – der Schattenwirtschaft – sollten durch soziale Schutzprogramme und bessere Verbindungen zwischen der formellen und informellen Wirtschaft verbessert werden.

• Jugendliche sollten bei Beschäftigungspolitik und -programmen im Mittelpunkt stehen. Zu einer menschen­wür­digen Beschäftigung gehören angemessene Ent­schädi- ­gungen für erbrachte Leistungen und garantierter Rechtsschutz.

Globalisierungsverlierer 

Es gibt speziell in Entwicklungsländern vielfältige Ursachen nachteiliger Entwicklungen der Globalisierung. Zunächst gibt es eine Reihe geographischer Ungunstfaktoren, die naturgemäß regional unterschiedlich sind: infrastrukturelle Defizite, abseitige Lage, ungünstige Klimabedingungen, schlechte Böden oder Überbevölkerung. Positiv ist in einigen Ländern der Rohstoffreichtum, aber er führt wegen der inländischen Korruption nicht zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Die Eliten haben sich die nationalen Ressourcen angeeignet und investieren nur einen Teil ihres Geldes im eigenen Land. Luxusartikel, die sie sich leisten, werden nicht im eigenen Land hergestellt, sondern importiert. Geld wird ins Ausland transferiert, damit es dort Rendite bringt. Große Summen werden auf diese Weise der heimischen Wirtschaft entzogen. Zudem mangelt es an »Good Governance«, einem funktionierenden Staatswesen. Darin erkennt der Wirtschaftsforscher Hernando de Soto das Kardinal­problem der armen Länder.

Der peruanische Wissenschaftler hat seine Thesen in einem Selbstversuch zu beweisen versucht. De Soto wollte in Lima eine Schneiderei eröffnen. Bis er die Lizenz besaß, vergingen 289 Tage, zehn Beamte musste er bestechen. Nicht Kapital fehlt der Dritten Welt, meint de Soto, sondern Rechtsstaatlichkeit. Das sind die Haupthindernisse, warum nicht nur Einheimische sich schwer mit wirtschaftlicher Aktivität tun, sondern auch ausländische Investoren sich scheuen, Kapital zu investieren. Ein Übriges tun Kriege um Rohstoffe und um politische Macht oder Konflikte zwischen religiösen Gruppen und konkurrierenden Clans.

Eine erhebliche Rolle spielen schließlich der liberalisierte Welthandel und die Bedingungen, die die Weltbank und der IWF an Kredite und Schuldenerlasse knüpfen. So wurde zum Beispiel den Entwicklungsländern auferlegt, sich dem Wettbewerb des Weltmarkts durch eine Öffnung des eigenen Marktes auszusetzen, während sie akzeptieren müssen, dass etwa die EU einen Teil ihres Marktes abschottet. 

Wie kommt Gerechtigkeit in das Wirtschaftsleben? 

Die Empfehlungen des Weltsozialberichts weisen in gewisse Richtungen, aber sie rütteln nicht am eigentlichen Fehler, der vor allem im heutigen Geldsystem liegt, das die leistungslosen Einkommen im Übermaß ermöglicht und die Arbeit von Milliarden von Menschen vom finanziellen Gesichtspunkt her menschenunwürdig macht.

Nach dem historischen Scheitern des Sozialismus durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Umstellung Chinas von der Plan- auf die Marktwirtschaft beherrscht der Kapitalismus mit seinen verschiedenen Erscheinungsformen die Wirtschaftssysteme der allermeisten Länder. Weder der Sozialismus noch der Kapitalismus können dazu beitragen, Gerechtigkeit in das Wirtschaftsleben und in das Geldsystem zu bringen. Die Ideen Rudolf Steiners bieten dagegen einen Weg, das Ideal der Gerechtigkeit global zu verwirklichen.

• Das Geldsystem sollte gesamtgesellschaftlich so eingebettet sein, dass im Wirtschaftlichen das Prinzip der »Brüderlichkeit« oder Solidarität greift. Diese Brüderlichkeit ist nicht sentimental gemeint. Es geht nach Steiner konkret um Assoziationen, in denen Produzenten, Händler und Verbraucher an einem Tisch sitzen, um sich über die Produkte, die Dienstleistungen und den gerechten Preis auszutauschen. Dieses Modell ist nicht nur regional, sondern auch global umsetzbar. Fairtrade – der gerechte Handel – ist seit Beginn der 90er-Jahre ein  Weg, gerechtere Preise zu erzielen. Der Gewinn kommt den Produzenten in den Entwicklungsländern direkt zu – ein erster Ansatz assoziativen Wirtschaftens.

• Die Arbeit muss vom Einkommen getrennt werden, was viele Ungerechtigkeiten beseitigen würde. Ein Beispiel ist die nicht bezahlte Arbeit der Mütter oder die Arbeit, die überall ehrenamtlich geleistet wird. Andere Tätigkeiten dagegen werden teilweise extrem überbezahlt. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens geht vom Ansatz her in die Richtung, Menschen ein Einkommen unabhängig von ihrer geleisteten Arbeit zu gewähren.

• Zinseszins ist völlig unnötig, er dient nur dazu, die Ungleichheiten im Wirtschaftsleben exponentiell zu verschärfen.

• Das Geld sollte im Sinne von Silvio Gesell »rosten« und nach Rudolf Steiner »altern«, das heißt, es soll in einem bestimmten Zeitraum langsam an (relativ geringem) Wert verlieren, so dass man es vor dem Ablauf der Frist ausgibt, bevor man einen Aufschlag zahlt, um den Wert zu erhalten.

Dadurch bewegt sich das Geld eher von einem Marktteilnehmer zum andern, ist liquide, was das Ziel jeder gesunden Wirtschaft ist. Das Horten von Geld, wie es heutzutage geschieht, ist für die Wirtschaftsprozesse kontraproduktiv.

Aktuell gibt es in Deutschland Regionalgelder, die im Kleinen nach diesem Prinzip funktionieren wie der »Chiemgauer«, ein von der Waldorfschule Prien eingeführtes Geld.

• Grund und Boden sollte man nicht mehr besitzen, sondern nur noch nach Maßgabe des Gemeinwohls nutzen dürfen, um auch hier von leistungslosen Einkommen wegzukommen. Private Nutzungsrechte an Grund und Boden müssen abgeschafft oder sehr hoch besteuert werden.

• Eine konkrete Möglichkeit, um den übermäßigen Handel mit Devisen einzudämmen, stellt die Tobin-Steuer dar, eine Steuererhebung auf den Devisenhandel, die allerdings unter Fachleuten umstritten ist.

Im Wirtschaftsleben reicht es nicht, wenn der Einzelne ausschließlich Möglichkeiten erhält, sich selbst zu verwirklichen. Der Mensch ist nicht losgelöst von anderen Menschen zu denken, schon gar nicht in einer globalisierten arbeitsteiligen Gesellschaft. Der Umgang mit Geld ist eine eminent soziale Frage, eine Frage, die regional, national und global zu lösen ist. Das »Soziale Hauptgesetz«, wie es Steiner formuliert hat, bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt:

»Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.«

Das Ideal in einem globalisierten Wirtschaftsleben ist die gelebte Brüderlichkeit.

Literatur:

Rudolf Steiner: Geisteswissenschaft und soziale Frage, Dornach 1987
Ders.: Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach 1976
Götz Werner: Einkommen für alle, Stuttgart 2007
Silvio Gsell: Die natürliche Wirtschaftsordnung, Nürnberg 1984
Udo Herrmannstorfer: Scheinmarktwirtschaft, Stuttgart 1991 

Links:
www.chiemgauer.info
http://db.globus.picturefarm.eu/ www.unis.unvienna.org/unis/
pressrels/2005/unisinf96.html