Landwirtschaft kann mehr sein als Landbau. Pädagogische Perspektiven der »Sozialen Landwirtschaft«

Thomas van Elsen

Der Landbau bietet Möglichkeiten, Menschen an den viel­fältigen Tages- und Jahresrhythmen, in der Gartenarbeit oder der Arbeit mit landwirtschaftlichen Nutztieren teilhaben zu lassen. »Soziale Landwirtschaft« umfasst landwirtschaftliche Betriebe und Gärtnereien, die Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen integrieren, Höfe, die eine Perspektive bieten für sozial schwache Menschen, für straffällige oder lernschwache Jugendliche, Drogenkranke, Langzeitarbeitslose aber auch aktive Senioren. Auch Schul- und Kindergartenbauernhöfe gehören dazu. Vorsorge, Inklusion und mehr Lebensqualität sind Aspekte »Sozialer Landwirtschaft«.

Die Diskussion über »Soziale Landwirtschaft« ist eine europäische. Beim ersten Treffen der internationalen Arbeitsgemeinschaft »Farming for Health« in den Niederlanden wurde der von den Holländern erfundene Begriff Farming for Health ausgerechnet von Engländern als Eingriff in ihre Sprachhoheit in Frage gestellt, mit einer interessanten Begründung: »Today ›farming‹ means exploitation of the land!« Heute sei Landwirtschaft gleichbedeutend mit Ausbeutung der Natur! – Die schlagfertige Erwiderung der holländischen Veranstalter: »Das macht doch nichts, wir können das, was wir unter Landwirtschaft verstehen, doch neu mit Inhalt füllen!«

Zunehmend wird »Soziale Landwirtschaft« nicht nur als Marktnische oder zusätzliche Einkommensmöglichkeit für Bauernhöfe gesehen, es wird vielmehr die Frage nach einem Paradigmenwechsel, nach einer sozialeren Landwirtschaft gestellt. Zuletzt charakterisierte der Weltagrarbericht das weltweit vorherrschende Prinzip »Wachse oder Weiche« als Irrweg, dem auch der Ökologische Landbau ausgesetzt sei. Vielfach tendiere auch dieser zu einer »Konventionali­sierung« oder zu »richtlinienkonformem Minimalökolandbau«.

Wenn Höfe zu Kindergärten und Schulen werden

»Soziale Landwirtschaft« zeigt Alternativen, auch und gerade im Bereich der Pädagogik. So etwa der Hof Dannwisch bei Hamburg, der nicht nur regelmäßig Schulklassen einer Waldorfschule beherbergt, sondern zudem einen Kindergarten auf dem Hof integriert, mit einem besonderen Konzept. »Der Hof ist der Kindergarten«, sagt Sabine Gehle, Gründerin des Kindergartens, denn die Kinder sind überall auf dem Hof unterwegs: bei der Aussaat und Ernte im Gewächshaus genauso wie beim Füttern der Kälber. Die Gartenhütte dient nur als Rückzugsort bei schlechtem Wetter, ansonsten erleben die Kinder den Tages- und Jahresrhythmus des Bauernhofs dort, wo die Landwirtschaft stattfindet.

Stadtkindern die Landwirtschaft näherzubringen, das ist das Anliegen des Schulbauernhofs Hutzelberg in Nordhessen. »Bei uns sind die Kinder für eine Woche Landwirt«, sagt Holger Schenke, der mit seiner Frau Michaela den vielseitigen Kleinbetrieb bewirtschaftet. Die Arbeit im Gemüsebeet, mit den Kühen, Schweinen, Schafen, Bienen, Gänsen und Hühnern gehört ebenso dazu wie das Brotbacken, das Herstellen von Quark und Käse und das Zubereiten der Produkte in der Küche.

Während es hier »ganz normale« Kinder sind, die im Rahmen von Klassenfahrten auf den Hof kommen, sind es auf dem Schlüterhof bei Lüneburg Kinder mit Betreuungsbedarf, die die Heilpädagogische Hofschule in Wendisch-Evern besuchen. Hier findet die Schule auf dem Hof statt. Auf Grundlage der Waldorfpädagogik ermöglicht die Hofschule Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf Lern- und Lebenserfahrungen durch die praktische Arbeit mit der Natur auf einem biologisch-dynamisch wirtschaftenden Hof. Begonnen wurde im September 2007 mit einer Gruppe von neun Kindern. Die integrative Schule ist ein Förderschulzweig der Rudolf Steiner Schule Lüneburg. Gegenwärtig werden 38 Schüler von der ersten bis zur siebten Klasse unterrichtet. Der Hof liegt in einem Dorf, in dem es weder Einkaufsmöglichkeiten noch eine Dorfkneipe gibt. Andrea und Jürgen Schlüter haben das  Hofgelände geerbt. Zur Gründung ihrer Hofschule haben sie das ganze Dorf zu sich nach Hause eingeladen, um ihre Idee und das Vorhaben vorzustellen und um die Anwohner dafür zu begeistern – mit dem Ergebnis, dass das Projekt auf breite Zustimmung stößt und allseits unterstützt wird.

Wie ausbaufähig die Kooperation von Schulen mit Bauernhöfen ist, zeigt die Entwicklung in Norwegen, wo seit den 1980er Jahren die damalige Gartenbaulehrerin Linda Jolly zahlreiche Projekte und Initiativen ins Leben gerufen hat, etwa das Projekt »Lebendige Schule«, das von 1995 bis 2000 von der Landwirtschaftlichen Universität Norwegens in Âs betreut wurde.

Alle genannten Beispiele sind anthroposophische Initiativen. Dass biologisch-dynamisch wirtschaftende Betriebe eine Vorreiterrolle in der »Sozialen Landwirtschaft« einnehmen, ist nicht verwunderlich. Der Heilpädagogische und der Landwirtschaftliche Kurs Rudolf Steiners fanden in enger Folge statt, und viele biologisch-dynamische Hofgemeinschaften engagieren sich seit Jahrzehnten in der Integration von Menschen mit Behinderungen.

Ein sozialer Umgang auch mit der Natur

Versteht man die genannten Beispiele als Mosaiksteine für eine sozialere Landwirtschaft, so erscheint bedeutsam, dass diese auch einen sozialen Umgang mit der Natur einschließen. Die ökologische Bewirtschaftung und der damit verbundene Verzicht auf chemisch-synthetische Hilfsmittel in Pflanzenbau und Tierhaltung ist ein wesentlicher Aspekt. Die Natur, das Leben und Arbeiten auf dem Bauernhof, der Umgang mit seinen Pflanzen und Tieren, mit dem Tages- und Jahresrhythmus, Wind und Wetter – dies alles dient der Gesundung, der Therapie, Beschäftigung, Bildung und Lebensqualität von Menschen, die in die »Soziale Landwirtschaft« integriert sind. 

Der soziale Aspekt geht jedoch noch weiter und kehrt sich gewissermaßen um, wenn die Natur – die Pflanzen und Tiere, die Landschaft – nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern selbst als Entwicklungsaufgaben ins Blickfeld genommen werden. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Natur nicht nur für pädagogisch-therapeutische Zwecke zu nutzen, sondern ihr etwas zurückzugeben, ihre Entwicklung selbst durch eine »soziale« Haltung zu unterstützen. Bio­tope in der Kulturlandschaft anzulegen, ist eine solche Möglichkeit, die gerade in der Kooperation mit Schulen ein ausbaufähiges Arbeitsfeld darstellt. Neben dem guten Willen braucht es Fachwissen, Beratung, Aus- und Weiterbildung.

Der Aspekt des Sozialen erweitert sich zunehmend auch auf die Ökonomie. Community supported Agriculture (CSA), »Wirtschaftsgemeinschaft« bezeichnet einen Ansatz, bei dem der Hof sein Umfeld mit Lebensmitteln versorgt, während das Umfeld dem Hof die (Finanz-) Mittel bereitstellt, um wirtschaften zu können. Landwirte und Verbraucher übernehmen gegenseitig und verbindlich Verantwortung füreinander – ein weiteres Feld für ein mögliches Engagement von Schulen. Aktuell fördert die Deutsche Arbeits­gemeinschaft »Soziale Landwirtschaft« die Vernetzung von Initiativen.

Zum Autor: Dr. Thomas van Elsen war nach dem Studium der Biologie in mehreren Forschungsprojekten zu den Themen Kulturlandschafts- und Naturentwicklung und Ökolandbau am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel beteili und erstellte eine Studie zu ökologischen Gesichtspunkten im Vortragswerk Rudolf Steiners. Aktuell baut er die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft

Literatur:

T. van Elsen, M. Kalisch (Red.) (2008): »Witzenhäuser Positionspapier zum Mehrwert Sozialer Landwirtschaft.« In: R. Friedel,
E.A. Spindler (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume. VS Verlag: 209-213, Wiesbaden.
T. van Elsen, A. Jaenichen, M. Kalisch, A. Limbrunner, A.: Soziale Landwirtschaft auf Biobetrieben in Deutschland, Witzenhausen, 2010. Download unter http://orgprints.org/18044/

Link: www.soziale-landwirtschaft.de