Teilen statt Horten. Wie Ureinwohner in Paraguay die Transformation zur Geldwirtschaft erleben

Volker von Bremen

Wie nennt ihr euer Geld in Deutschland? Als ich auf Spanisch von den »Marcos Alemanes« – also der D-Mark – sprach, wunderten sich die Indianer. »Das ist doch der Name eines Evangelisten aus der Bibel!« Die Gruppe war zu der Zeit intensiver missionarischer Tätigkeit unterworfen. Möglicherweise meinten sie, durch diesen Bezug dem Geheimnis des Geldes auf die Spur zu kommen. Nachdem wir uns schon etwas besser kannten, kamen wir wieder einmal auf das Thema Geld zu sprechen. Jetzt wollten sie wissen, welche Rolle Geld für mein Leben spiele. »Geld ist nicht das Wichtigste im Leben«, antwortete ich. Nachdem wir dann noch über unterschiedliche Währungen, über Geldwert, Löhne und Preise gesprochen hatten, fragten sie mich, ob ich denn einen deutschen Geldschein hätte. Ich hatte in der Tat noch einen 50-Mark-Schein, der dann unter meinen  neugierigen Gesprächspartnern die Runde machte und intensiv untersucht wurde. Schließlich wurde ich gefragt, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie den Geldschein ins Feuer würfen. Da wurde ich etwas unruhig und meinte, dass das keine so gute Idee sei. Alle lachten und meinten, »Geld scheint ja doch eine große Bedeutung zu haben!«

Teilen und Geben ohne Geld

Diese Indianer hatten noch 15 Jahre zuvor als Jäger und Sammlerinnen in den Urwäldern des Gran Chaco Südamerikas gelebt. Geld war ihnen damals gänzlich unbekannt. Das Leben in Familiengruppen und Verbänden, in denen jeder jeden kannte, erforderte kein allgemeines Tausch- und Zahlungsmittel. Selbst der Tausch von Gütern und Dienstleistungen war nur in sehr allgemeiner, wenn auch sehr verbindlicher Form geregelt. Im Vordergrund stand die Verpflichtung zum Teilen und Geben. Nur eine ganz begrenzte Anzahl persönlicher Wertgegenstände wie Kleidung, Schmuck und einzelne Werkzeuge war von der Teilungspflicht ausgenommen, und selbst da waren die Toleranzgrenzen noch fließend. Der weitaus größte Teil unterlag einem genau definierten Verteilungssystem. Kam der erfolgreiche Jäger nach Hause, übergab er seiner Frau die Jagdbeute, die sie nach dem Zerlegen unter Berücksichtigung von Nahrungstabus (nach Geschlecht, Alter, Verwandtschaftsgrad) in der Familie und Gemeinschaft verteilte.

Als direkte und unmittelbare Gegenleistung oder Bezahlung gab es für den Jäger und seine Frau nichts. Nicht einmal ein Dankeschön wurde ihnen entgegengebracht. Im Gegenteil: Die Verteilung war Pflicht. Alle unterlagen ihr. Streit entstand, wenn der Teilungspflicht nicht nachgekommen wurde. Ruhm und Anerkennung gebührte nicht jenen, die Reichtum anhäuften, sondern jenen, die zu geben wussten: erfolgreiche Jäger, Kenner der Natur und ihrer spirituellen Hüter, die ihnen zugeneigt waren, sowie jene, die ein weites soziales Beziehungs- und Verteilungsnetz pflegten. Da alle in das Netz der Teilungspflicht eingebunden waren, konnten Geber immer zu Nehmern werden.

Die Mythen dieser Indianer, erzählen von unzähligen Konflikten, die entstanden, weil einzelne Mitglieder der mythischen Urgemeinschaft über Dinge oder Fähigkeiten verfügten, die die anderen nicht hatten. Deren Neugierde und Druck zwang den Besitzer und Hüter, sein Wissen und Können mit der Gemeinschaft zu teilen, um so die Zufriedenheit und Harmonie wieder herzustellen. Nach diesen Prinzipien leben die Gruppen und Gemeinschaften bis heute trotz all jener Veränderungen, denen sie sich täglich zu stellen haben, um ihr Leben im modernen Kontext globalen Wirtschaftens gestalten zu können.

Geld hat noch keinen Mythos

Die Neugierde und der Wunsch der Indianer, Genaueres über Geld zu erfahren, standen im Zusammenhang damit, die Essenz des Geldes, sein Wesen, seinen Mythos erkennen zu wollen. Nach ihrem Weltbild ist alles, was es gibt und was denkbar ist, durch einen Mythos begründet. Er erklärt Entstehung und Bedeutung und verdeutlicht dem Menschen, wer der spirituelle Hüter des jeweiligen Gegenstandes und dessen Wesen ist. Er vermittelt ihm auch, auf welche Weise und in welchen Situationen der Mensch Kontakt zum Hüter des Wesens herstellen kann, um an dessen Kräften und Fähigkeiten teilzuhaben und dadurch für Ausgleich und Wohlergehen zu sorgen. Das Geld war eines jener vielen Phänomene, die mit dem Kontakt zur kolonisierenden Gesellschaft in Paraguay – also zu den »Weißen« – in ihre Welt gelangt waren, für die es jedoch in ihrem Mythenschatz keine erklärende Geschichte über Herkunft und Hüter gab. Und so blieb das Geld über lange Zeit ein Gegenstand mit einem Wesen, das nur im Umgang mit den Weißen aktiv wurde. In der Lohnarbeit für den weißen Arbeitgeber verdient man Geld, das auf dem Markt gleich in Produkte umgewandelt wird. Nicht das Geld selbst, sondern erst die gekauften Produkte treten in den Zirkel der Verteilungspflichten der Gemeinschaft. Über lange Zeit blieb die Welt des Marktes die Domäne der Männer. Denn es war ein unsicheres, ja eher feindliches Umfeld, dem die Frauen nicht ausgesetzt werden sollten. Im Laufe der Jahre nahm die Lohnarbeit für die Weißen immer mehr zu. Die Abhängigkeit von Produkten, die man nicht selber herstellen konnte, wuchs. Die Beziehung zum Markt und der Umgang mit Geld wurden zur Gewohnheit. So tauchten mehr und mehr auch die Frauen in den Läden zum Einkaufen auf. Schließlich entstanden in den eigenen Siedlungen Läden, so dass Geld auch innerhalb der Gemeinschaften zu zirkulieren begann.

Die verschenkten Ziegen

Jetzt drang das Geld in die Welt der gegenseitigen Teilungsverpflichtungen der Gemeinschaften ein und neue Schwierigkeiten zogen herauf. Denn auch ein indianischer Ladenbesitzer muss Geld investieren, um Waren einzukaufen. Dazu muss er entweder sparen oder auf Pump einkaufen. War der Laden einmal mit Waren bestückt, konnte der Verkauf beginnen. Doch wie sollte sich der Besitzer verhalten, wenn ein Verwandter kam, der kein Geld hatte, der dann aber all die Waren sah, die der Besitzer angeschafft hatte? Nach den Regeln der Verteilungspflicht konnte er dem Verwandten keine Waren vorenthalten. Weigerte er sich, kam es zu Spannungen und Konflikten, die die gesamte Verwandtschaftsgruppe belasteten. Weigerte er sich nicht, musste er früher oder später seinen Laden aufgeben, es sei denn, seine Verwandten schafften es zeitig genug, Waren oder Geld im Rahmen der Verteilungspflicht zu ersetzen. Viele Läden scheiterten in der Tat an diesem Dilemma. Nicht nur im Fall kleinerer Lebensmittelläden trat dieses Problem auf.

Im Rahmen eines regionalen Entwicklungsprojektes wurde in einer indianischen Gemeinschaft eine Kleinfamilie für ein Versuchsprogramm zur Verbesserung der Ziegenhaltung gewonnen. Techniker unterstützten die Familie über einen längeren Zeitraum vor allem bei der Produktion verschiedener Futtermittel und der Verbesserung der Tierhaltung. Die Ziegen gediehen prächtig, der Bestand wuchs, und die freudigen Techniker beglückwünschten die Familie zu deren Erfolg. Doch je mehr der Familienbetrieb zu florieren schien, um so betrübter blickte der indianische Bauer drein. Und eines Tages, als die Techniker ihm wieder einmal einen Besuch abstatteten, erbleichten sie: Der Stall war leer! Die Ziegen verschwunden. Die Familie hingegen schien erleichtert, ja sogar glücklich zu sein. Der Bauer lachte sogar. Was war geschehen? Der Bauer hatte dem Druck seiner Gemeinschaft nicht mehr standhalten können. Schon lange hatte sie ihn zum Teilen gedrängt. Lange war er dem Rat der Techniker gefolgt, das verbesserte Futter nur seinen Tieren zu geben, die Herde nicht mit anderen Tieren zu mischen und keine Tiere zu verkaufen oder gar zu verschenken.

Mit dieser Haltung hatte er sich von der Gemeinschaft zunehmend isoliert. Man betrachtete ihn kaum mehr als Teil der Gemeinschaft. Da war die Familie in wachsenden Konflikt geraten zwischen dem, was die Techniker rieten, um als Kleinfamilie mit der Ziegenzucht auf dem Markt langfristig erfolgreich sein zu können, und dem, was die Gemeinschaft zum Wohlergehen aller einforderte. Indem der Bauer letztlich der Verteilungspflicht nachgekommen war, nahm ihn die Gemeinschaft wieder auf, und er genoss sogar entsprechend große soziale Anerkennung dafür, dass er mit einem großen Kreis von Freunden, Bekannten und Verwandten seinen Erfolg teilen konnte.

Geld staut den Fluss des Lebens

Konflikte dieser Art sind in indianischen Gemeinschaften immer wieder zu beobachten. Ihr ausgefeiltes Verteilungssystem gibt ihnen Halt und soziale Sicherheit. Sie bleiben miteinander verbunden und vereinsamen nicht. Gleichzeitig wächst ihre Abhängigkeit vom »Markt«. Denn der Wald, der sie ernährt und mit ihnen das Leben teilt, wird geplündert und zerstört. Ihr Lebensquell ist bedroht. Die Öffnung hin zur globalen Marktgesellschaft ist in vollem Gange, und sie versuchen, ihr Leben in Anpassung an diese Bedingungen zu gestalten. Denn als Bürger von Nationalstaaten sind sie formal und rechtlich Teil einer weiter reichenden Gemeinschaft.

In der Begegnung bringen sie ihre Lebensprinzipien ein. Sie wollen auch im Rahmen der neuen Gemeinschaften teilen und teilhaben, ganz im Sinne der ihnen vertrauten Verteilungsprinzipien. In ihrem Alltag machen sie dabei allerdings immer wieder Erfahrungen mit den Fallen, die überall lauern und sie bedrohen. Die Weißen scheinen das Prinzip der Gegenseitigkeit, der Brüderlichkeit, kaum zu praktizieren, welches doch für ein erfülltes soziales und geistiges Leben grundlegend ist. Die Anhäufung von Geld und materiellen Gütern staut den Fluss des Lebens, wie wir es gegenwärtig angesichts der tumorartigen Vermehrung des Geldvermögens im globalen Kontext erleben.

Ob der Mythos des Geldes jemals erkannt wird, um mit ihm gestalterisch in Verbindung treten zu können?

Zum Autor: Volker von Bremen ist Ethnologe, Berater für Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit mit Indianern, Netzwerker in der interkulturellen Zusammenarbeit, Ausbilder und Berater zu interkultureller Mediation und Konfliktarbeit.