Was spricht für ein Mittelstufenmodell?

Ulrich Seifert

Gegen Ende eines mehrjährigen lebhaften Prozesses, in den die Elternschaft miteinbezogen war, reifte an unserer Schule in Filderstadt der Entschluss, die Klassenlehrerzeit mit Vollendung des 6. Schuljahres zu beenden und eine Mittelstufe für die 7. und 8. Klasse einzurichten.

Unter anderem waren folgende Gesichtspunkte ausschlaggebend:

• Die Lehrer-Schüler-Beziehung nutzte sich in der kritischen Pubertätsphase ab.
• Zunehmende disziplinarische Schwierigkeiten.
• Den Klassenlehrern fehlte es an fachlicher Qualifikation, vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern.
• Ein wachsendes Bedürfnis der Schüler nach mehr Distanz zur Lehrerpersönlichkeit.
• Es mangelte an Erfahrung und Strukturen, um Eltern und Schüler zu den Problemen der Pubertät beraten zu können.
• Das fachliche Niveau der Klassen zu Beginn der Oberstufe war sehr unterschiedlich.

Nachdem das Konzept fertig war, wurden zwei langjährige Kollegen, die mehrmals Klassen von der ersten bis zur achten Jahrgangstufe geführt hatten, als Mittelstufenlehrer berufen. Elementare Bestandteile des Modells sind seitdem: Ein Kollege führt eine Klasse als Bezugsperson durch die Stufen sieben und acht. Er unterrichtet in seiner Klasse etwa 60 Prozent der Epochen. Den restlichen Hauptunterricht gibt der zweite Kollege. Einer von ihnen ist als hauptamt­licher Tutor für alle organisatorischen Fragen zuständig, bereitet die Elternabende vor und ist verantwortlich für Klassenspiele, Jahresarbeiten und Praktika. Das neue Modell erhielt in den Lehrerkonferenzen und Elterngremien starken Zuspruch.

Anfängliche Sorgen und Bedenken stellten sich als unbegründet heraus. Mehrmals sprach man sich mit großer Zustimmung für dessen Beibehaltung aus, denn gegenüber der achtjährigen Klassenlehrerzeit beobachteten Eltern wie Lehrer folgende positive Entwicklungen:

• Die Lehrer-Schüler-Beziehung wirkt entspannter.
• Schüler und Schülerinnen scheinen die größere persön­liche Distanz zu schätzen.
• Der Ablösungsprozess in der Pubertät verläuft milder.
• Schwierige Lehrer-Schüler-Beziehungen entwickeln sich positiv.
• Die Kollegen empfinden die jährliche Wiederholung der Epochen als Gewinn, weil sie diese verfeinern und erweitern können.
• Die Befürchtung, es könne aufgrund der jährlichen Wiederholung lähmende Monotonie eintreten, erwies sich als unbegründet, da jede Klasse anders angepackt werden muss.
• Projekte außerhalb des Unterrichts entwickelten sich zu einem festen und verlässlichen Bestandteil der Mittelstufe. Wir konnten sie erweitern und effizienter planen.
• Zu diesen gehören neben Jahresarbeiten und Klassenspiel die Projekttage zu Drogen und Sexualität, das Küchen- und Betriebspraktikum, ein Schülerlotsentraining, das Seniorencafé und eine erlebnispädagogische Klassenfahrt zu Beginn der 8. Klasse.

Tandem-Modell und fachliche Spezialisierung

Besonders muss die konstruktive und effektive Arbeit unseres Tandemmodells hervorgehoben werden. Während man sich in der früheren Klassenlehrerzeit oft als »ein­samer König« im Lande fühlte, findet nun ein ständiger vertrauter Austausch über den Unterricht, Schüler, Elterngespräche und andere Ereignisse statt.

Oft gelingt es, sich auf kurzem Wege gegenseitig in schwierigen pädagogischen Situationen zu beraten und zu unterstützen. Außerdem können wir gemeinsam Gespräche mit Eltern objektiver und zielgerichteter führen. Die fachliche Spezialisierung beider Kollegen ist von Vorteil.

Den in den letzten Jahren enorm gestiegenen inhaltlichen Ansprüchen und der häufig vorgebrachten Kritik an einer mangelnden fachlichen Kompetenz der Klassenlehrer wird durch sie begegnet – nicht nur im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Das Klassenlehrerkollegium empfindet es als Erleichterung, nicht in den Mittelstufenklassen unterrichten zu müssen. Andererseits sollten wir zugestehen, dass es manchen leichter fällt, ältere Kinder zu unterrichten. Natürlich kann es eine wunderbare Aufgabe sein, eine Klasse acht Jahre lang zu betreuen. Dies stellt jedoch immer höhere Anforderungen an eine Persönlichkeit und wir sollten dies zumindest reflektieren. Konsens sollte in der Auffassung bestehen, dass keines der Modelle waldorfpädagogischen Zielsetzungen im Wege steht. Weder methodisch noch menschenkundlich gibt es signifikante Anhaltspunkte, die ein Modell als vorteilhafter erscheinen lassen.

Zum Autor: Ulrich Seifert begründete 1984 die Waldorfschule in Filderstadt mit und unterrichtet seither als Klassenlehrer, seit zehn Jahren in der Mittelstufe; er ist Dozent am Lehrerseminar in Kassel und Beiratsmitglied der Pädagogischen Forschungsstelle