Bericht aus Kathmandu

Donata Nebel

Erst als ich registrierte, wie sich alle Gegenstände auf dem Tisch selbstständig zu machen begannen und die Lampe an der Decke hin und her schwankte, begriff ich: ein Erdbeben! Kurz danach hörte ich die Schreie von den anderen Volontären. Überall im Haus polterte und knackte es. Benommen rannten wir das Treppenhaus herunter. Das Haus schwankte von einer Seite zur anderen, wie auf hoher See bei starkem Wellengang. Im Hausinnenhof kauerten wir uns alle in eine Ecke.

Im Nachhinein weiß ich, dass wir uns an keinem ungünstigeren Ort hätten aufhalten können als im Innenhof. Wäre unser Haus eingestürzt, wären wir alle verschüttet worden. Gott sei Dank blieb es stehen.

Nach 80 Sekunden war es vorbei. Die Bäume schwankten noch, das Wasser in den Pfützen schwappte von der einen Seite auf die andere und am Himmel flatterten hunderte aufgeschreckte Vogelschwärme. Das dumpfe Grollen und Beben hatte aufgehört. Wenige Sekunden hatten ausgereicht, mein bestehendes Leben vollkommen auf den Kopf zu stellen. Ich sah in den Gesichtern der Anderen meine eigene Angst und Verwirrung gespiegelt. Das war am 25. April.

Rückblende: Bad Oldesloe Nov. 2014

Als ich am 17. November am Hamburger Flughafen in die Maschine stieg, um mich aufzumachen, in die ferne, weite Welt, weg vom behüteten Elternhaus in Bad Oldesloe, ahnte ich natürlich nicht, was mich erwarten würde. Mein Ziel hieß Nepal. Ich wollte für ein halbes Jahr in Kathmandu leben und als Volontär bei der deutschen Organisation »Shanti Leprahilfe« arbeiten. Die ersten Monate waren geprägt vom Ankommen, Staunen, Begreifen und mich Einlassen auf das Kulturgewusel dieses fremden Lebens.

Shanti ist ein beeindruckendes Projekt, insgesamt sind ca. 1000 Menschen darin involviert. Es gibt in der Hauptstadt ein Leprakrankenhaus. Angegliedert sind verschiedene Behindertenwerkstätten, in denen Stoffe bedruckt, Schmuck hergestellt, Möbel gebaut und Teppiche geknüpft werden. Etwas außerhalb von Kathmandu befinden sich, neben einem Dorf für Leprakranke, eine sehr liebevoll geführte Schule, ein Kindergarten und ein Heim für behinderte Kinder. Nahrungsmittel werden auf einer ökologischen Farm angebaut und dann ins Krankenhaus nach Kathmandu gebracht. Ich war von Anfang an sehr beeindruckt davon, wie heilsam dieses Projekt für die Menschen hier ist. Meinen Platz habe ich in den letzten Monaten bei den behinderten Kindern und in einer von Shanti unterstützten Schule für Straßenkinder gefunden.

Nach dem Erdbeben

Das Haus, in dem alle 17 deutschen Volontäre mit einer nepalesischen Familie zusammen leben, bekam am Samstag, den 25.4 viele Risse, hielt aber stand. Wie die meisten Menschen aus unserem Stadtviertel, liefen wir zu der größten grünen Freifläche in der Nähe und warteten dort die nächsten Beben ab. Das Handynetz war vollkommen überlastet und so drangen die Informationen erst nach und nach zu uns vor. Das Erdbeben hatte die Stärke von 7,9 gehabt, die Zahl der Toten stieg stündlich.

Das Krankenhaus von Shanti blieb unbeschädigt (ein Rundbau), doch die Schule und das Haus der behinderten Kinder stürzten ein. Wie durch ein Wunder wurde kaum jemand verletzt. Am späteren Nachmittag ging ich mit einer Gruppe von Freiwilligen in die Innenstadt, um bei den Bergungsarbeiten zu helfen. Erst jetzt wurde mir bewusst, welche zerstörerische Kraft dieses Erdbeben gehabt hatte. Viele Tempel lagen in Schutt und Asche, verletzte Menschen hockten am Straßenrand. Ich sah eine Frau, deren eine Gesichtshälfte komplett zerquetscht wurde. Der Versuch, einen Toten zu bergen, der unter einem großen Mauerbrocken eingeklemmt wurde, musste aufgrund fehlender Werkzeuge und der großen Gefahr vor Nachbeben abgebrochen werden.

Die fünf auf das Beben folgenden Tage schliefen wir draußen im Flüchtlingslager unter Planen gemeinsam mit 200 Nepalesen, die zum Teil ihr Haus verloren hatten oder die sich, so wie wir, nicht zurück in die Häuser trauten. Ständig erschütterten weitere Beben den Grund – Gerüchte von einem riesigen Nachbeben, das unmittelbar folgen und viele marode Mauern zum Einsturz bringen würde, machten die Runde.

Es folgten viele angsterfüllte Stunden, in denen es unzählige kleinen Beben und ein paar stärkere Erdrucke gab. Noch am ersten Tag begannen wir am Platz vor Ort mit den Kindern zu spielen: Wir bauten Menschenpyramiden und leiteten Kreis- und Singspiele an. So konnten die Kinder, aber auch wir, für ein paar Stunden das Geschehen vergessen und dieser beklemmenden Situation entfliehen.

Am Mittwoch, den 29. April gab die Regierung bekannt, dass jeder, der ein Obdach hat, in sein Heim zurückkehren möge. Seitdem schlafen wir jetzt alle im Erdgeschoss unseres Hauses, damit der Weg nach draußen kürzer ist, falls noch etwas passieren sollte. Trotz der untergründigen Unsicherheit und Angst.

Shanti ist seit 22 Jahren in Kathmandu und bestens vernetzt, verfügt über Fahrzeuge, eine Klinik mit 70 Betten und weiteren Räumlichkeiten. Jetzt plant Shanti sich in die Versorgung der Obdachlosen und Verletzten einzuschalten. Es besteht bereits Kontakt zu einem orthopädischen Krankenhaus, das völlig überfüllt ist). Ebenso befindet sich direkt vor der Klinik ein großer Platz, auf dem zur Zeit mehrere hundert Menschen unter Zeltplanen leben. Nun gilt es, die Verletzten aus dem überfüllten Krankenhaus in die Shantiklinik aufzunehmen und sie grundlegend zu versorgen. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Obdachlosen mit Trinkwasser, Zelten und Medikamenten versorgt werden. Bereits jetzt breiten sich Krankheiten aus, weil verschmutztes Wasser aus dem Fluss oder abgestandenen Teichen getrunken wird.

Um all das zu verhindern, ist bereits ein Container mit Medikamenten aus Deutschland unterwegs. Zusätzlich wird ein Architekt und Bauingenieur erwartet, der Gebäude auf ihre Sicherheit hin überprüfen wird. Ebenso werden in den nächsten Tagen Therapeuten eintreffen, die sich um die traumatisierten Menschen kümmern. In unserem Dorf sowie auf dem Vorplatz der Shantiklinik richten wir Großküchen für die Bedürftigen ein, sodass diese mit ausreichend Nahrungsmitteln versorgt werden und so widerstandsfähiger bleiben.

Und genau dafür bitte ich um Ihre/Eure Unterstützung! Shanti Leprahilfe genießt mein hundertprozentiges Vertrauen und ich weiß, dass Spenden direkt und ohne Umwege bei den Menschen vor Ort ankommen. Es gibt hier viele kompetente Mitarbeiter, die wissen was zu tun ist. Deshalb bitte ich jeden, der in dieser Krisensituation helfen möchte, an Shanti Leprahilfe zu spenden. Mein geplanter Aufenthalt endet Mitte Mai und bis dahin werde ich alles tun, was mir möglich ist, um vor Ort etwas zu bewirken.

Link zur aktuellen Situation: www.shanti-lebrahilfe-blog.de

Link zur Organisation Shanti Leprahilfe: www.shanti-leprahilfe.de

Shanti Leprahilfe Dortmund, KD-Bank Dortmund, IBAN: DE 92 3506 0190 0000 9239 23, BIC: GENODED1DKD, der Einzahlungsbeleg gilt als Spendenquittung.

Zur Autorin: Donata Nebel aus Bad Oldesloe, 20 Jahre alt. Zur Zeit in Kathmandu/Nepal