Der Oberlin-Impuls. Jugendarbeit selbstorganisiert

Lara Moseler

In der Bibliothek planen Jugendliche eine Woche Oberstufenunterricht nach ihren eigenen Wünschen. Im großen Saal hat es sich eine kleine Gruppe auf Matratzen gemütlich gemacht, um über Geschlechterrollen zu sprechen. Ein Stockwerk tiefer heizt jemand im Bad den Ofen an, so dass später warmes Wasser zum Duschen da ist. In der Küche im Erdgeschoss bereiten Jungen und Mädchen Aufstriche für die kommenden Tage zu und backen Kekse. Draußen ist immer wieder die Kreissäge zu hören, denn einige bringen an der frisch gedämmten Decke eine Holzverschalung an. So kann ein mittäglicher Streifzug durch das Oberlinhaus während einer unserer Jugendtagungen aussehen. »Glück trotz(t) Geld, Geld trotz(t) Glück?« ist dieses Mal unser Thema. »Was macht mich glücklich?« fragen wir uns. Wir stellen fest, dass das durchaus Gegensätzliches sein kann und der Umgang mit Geld sehr verschieden.

Auch das Praktische und Künstlerische kommt nicht zu kurz: Der große Saal eignet sich hervorragend, um ein Vertikaltuch an einem hohen Balken zu befestigen und in der Luft Kunststücke zu üben. Eine andere Gruppe trifft sich in der Bibliothek, um dort – inspiriert vom Ausblick über die Rheinebene – Gedichte zu schreiben. Ähnlich beschaulich geht es in der Mal- und Zeichengruppe zu, die kleine Tafeln für die einzelnen Zimmer erstellt. Und manche wollen einfach die Umgebung erkunden. In der Projektzeit bieten Teilnehmende Workshops an: zum Beispiel Standardtanz, eine Entspannungs- oder Spielegruppe oder auch eine Ess- und Chillgruppe – Letzteres war als Provokation gedacht, doch nahmen wir den Vorschlag einfach ernst.

Gleichzeitig ist es uns ein ernstes Vergnügen, immer wieder den achtsamen Raum zu schaffen und zu halten, in dem all das stattfinden kann: tiefe und kreative Auseinandersetzung mit Themen, Begegnung, Albernheiten beim Spiel, Gespräch und unsere täglichen Aufgaben in der Küche und im Haus. Wir probieren Neues und ein anderes Zusammenleben aus. Wir, das ist eine Gruppe junger Menschen von 16 aufwärts, die zur Schule gehen, eine Ausbildung absolvieren, studieren. Uns ist wichtig, uns viel Zeit zu nehmen, um Dinge tun zu können, die mit Geld verdienen nichts zu tun haben. Wir mögen Fragen und Herausforderungen. Wir versuchen, die Impulse und Begeisterungsfunken zurück in unseren Alltag und unsere Lebenswelt zu tragen, oder alle Bereiche unserer Tagung immer wieder unter die Lupe zu nehmen und mit unseren Idealen zu vergleichen – sei es bei unserer Ernährung oder beim E-Mail-Postfach, das wir benutzen. Wir fühlen uns dem Haus verbunden. Wir möchten den Oberlin-Impuls weitertragen.

Zur Autorin: Lara Moseler (1986) ist Theaterpädagogin und Filmemacherin.

Hinweis: Die nächste Tagung »Menschen Bilder« findet vom 2. bis 5. Oktober 2013 in Heidelberg statt. www.oberlinimpuls.jimdo.de