In Bewegung

Die erste Tagung für ehemalige Waldorfschüler:innen

Emilia Peschel

Ergebnisse, Formen, festgefahrene Strukturen

Am besten mit konkreter Zielsetzung, damit wir das Zusammensein nicht ohne Ergebnisse verlassen! Das wäre ja Verschwendung. Unsere Auseinandersetzungen, unser Zweifeln, unsere Ahnung, dann der Kompromiss: Wir machen eine Tagung mit Thema – aber das Thema ist der Anlass unserer Tagung, und zwar unsere Waldorfschulzeit. Für einige die beste Zeit, für manche eine schlimme, für die meisten vielleicht eine ambivalent zu beurteilende. Mit dem Thema lässt sich arbeiten. Wir dachten uns eine stimmige, zeitliche Struktur aus, wir wollten die Schulzeit auf drei Ebenen reflektieren: Am Tagungsfreitag besinnen wir uns auf unsere schulische Vergangenheit, Samstag erkennen wir die Gegenwart an (Helfen oder behindern mich aktuell Eigenschaften, die aus meiner Schulzeit kommen?) und Sonntag visionieren wir mutig und voller Optimismus die Zukunft (Was wünschen wir den Waldorfschulen in der Zukunft?). Plan war, die Ergebnisse aus unserem Zukunftstag an alle möglichen Stellen weiterzugeben, die etwas von Ehemaligen hören wollen. Und sonst so? Was kennen wir denn von Tagungen? Was soll auf unserer passieren? Workshops, Gesprächsgruppen, Vortragende, am Rande Zeit für Beisammensein, Lagerfeuer, gemeinsames Singen … so kennen wir es, so machen wir es!

Konkret werden, aus dem Impuls wird Tat

Und so suchte ich – zunächst als Einzelperson – ein Wir zur Planung des Vorhabens. Fündig wurde ich in sechs ehemaligen Mitgliedern der Schüler:innenvertretung Mitte-Ost. Wir berechneten Kostenpläne, schrieben mögliche Austragungsorte, Stiftungen, Unternehmen und Impulsgebende an, arbeiteten an inhaltlichen Konzepten, an unserer Zusammenarbeit, der künstlerischen Ausgestaltung der Tagung, unserer Website und und und … Selbstverständlich war einiges anders, als noch während der Schulzeit – es gab keine Schulen, welche unsere Organisation behüteten, die die Fahrtkosten übernahmen oder bei denen man einen freien Tag beantragen konnte. Alles passierte in der Freizeit und mit den eigenen Ressourcen. Auch die Situation der Teilnehmenden war anders. Wir dachten an Kinderbetreuung, Arbeitszeiten, Semesterferien, mögliche höhere inhaltliche Ansprüche, Menschen, die seit jeher Tagungsgänger:innen sind und andere, die zum allerersten Mal einer Tagung beiwohnen.

Mittendrin

Und dann war es auch schon so weit. Zehn Monate Planung sind wie im Flug vergangen, unser Tagungswochenende war da! Ankommen, beginnen, unsere erste Referentin sagt kurzfristig ab. Wir nutzen die Gelegenheit gezwungenermaßen dafür, uns etwas besser kennenzulernen, uns schonmal im Raum zu spüren. Die Stimmung war freudig, offen und lebendig. Die Teilnehmenden durften in unsere vielfältigen Workshops eintauchen: von Yogaflow, kreativem Schreiben bis zum Diskurs über die Rassismusvorwürfe gegenüber Rudolf Steiner und Gewalt an Waldorfschulen sowie toxischer Männlichkeit.

Zudem hielt Karl-Dieter Bodack einen Vortrag: Er ist selbst ehemaliger Waldorfschüler und ließ sich an seinem Arbeitsplatz – der Deutschen Bahn – stets von seinen anthroposophischen Überzeugungen leiten. Vor allem seine Fähigkeit, Dinge anzugehen und durchzuhalten, bezeichnete er als eine Errungenschaft aus seiner Schulzeit. Diesen sowie andere Aspekte beurteilten die Teilnehmenden als bereichernde Relikte ihrer Schulzeit: die vielen Praktika, die Klassenfahrten und den Erwerb handwerklich-künstlerischer Fähigkeiten. Andere Komponenten der Schulzeit wurden hingegen weniger positiv erinnert, beispielsweise fehlende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Kurse oder organisatorische Mängel in der Oberstufenzeit.

Was gerade mit einem retrospektiven Blick auf die Tagung hervorsticht, ist, dass sich vieles, worüber wir uns im Vorhinein den Kopf zerbrochen haben, in Luft aufgelöst hat: Fragen nach einem geeigneten Warm-Up oder helfenden Händen in der Küche und beim Abbau beantworteten sich vor Ort von selbst. Für jede Aufgabe fanden sich Freiwillige – alle benötigten Ressourcen waren also da. Und das zeigt in meinen Augen, was Waldorf im besten erschaffen kann: eine Gemeinschaft, die solche Events ermöglicht und interaktiv gestaltet. Darin liegt meiner Meinung nach auch unser größtes Potenzial.

Jetzt ist diese Tagung vorbei. Sie ist Realität geworden durch so viel Unterstützung: in finanzieller Hinsicht von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, dem Bund der Freien Waldorfschulen, der Waldorfstiftung, von Sonett, Stockmar, dem Info3-Verlag, der Gemeinnützigen Treuhandstelle Hamburg, der LAG Niedersachsen/Bremen und zahlreichen Produktspenden. Aber nicht zuletzt auch durch die Menschen, die auf der Tagung waren, die dieser Idee mit Freude und Begeisterung gefolgt sind. Und die Ergebnisse unserer Feedback-Umfrage zeigen es – wir haben Aufwind für die Etablierung einer neuen jährlichen Veranstaltung.

Ich wünsche uns für die Zukunft mehr Mut, die traditionellen Strukturen hinter uns zu lassen und uns wirklich zu fragen: Welche Ressourcen müssen wir als Team stellen? Braucht es überhaupt vollstrukturierte Tage und ein pausenloses Angebot? Oder kann das Erarbeiten von Inhalten und die Reflexion unserer Schulzeit gleichberechtigt neben dem Genuss der Gemeinschaft stehen? Und wie bewerkstelligen wir das? Geht es wirklich darum, am Ende druckreife Zehn-Punkte-Pläne zu präsentieren oder bedarf es – besonders in den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – einfach eines Raumes, der durch seine liebevolle Offenheit eine kreative Verbindung zu sich selbst und anderen ermöglicht? Stellen sich dann inhaltliche Ergebnisse – ob individuell oder kollektiv – vielleicht von selbst ein? Für mich ist das Stichwort Vertrauen. Dass es möglich ist, in die Kreativität und Ressourcen der Gemeinschaft zu vertrauen, hat die erste Tagung für ehemalige Waldorfschüler:innen gezeigt.

Mehr Infos (und später auch der Film) zur Tagung finden sich unter: www.alumnitagung.de

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