Dorthin, wo der Affenbrotbaum wächst

Leonie Donath

Mich trieb die Sehnsucht, etwas zu erfahren, das mir bis dahin noch nicht begegnet war: die Einfachheit. Ich wollte mit dem nackten Leben direkt in Verbindung treten. Begegnet bin ich ihm in Afrika. Ein Jahr lang durfte ich mich um Wasservorräte kümmern, Kleidung mit den Händen waschen, den Mangel an Nahrungsmitteln, das dichte Miteinander auf den Straßen und in den Räumen kennen lernen und wie die uns so fremde Alltagsbewältigung ohne technische Hilfsmittel funktioniert. Ich habe den einfachen Lebensstandard als einen Lernprozess erlebt, durch den ich vor allem fähig wurde, Wertschätzung für grundsätzliche Dinge zu entwickeln, die in Deutschland im Überfluss vorhanden sind.

Wächst man im Überfluss auf, ist es schwierig, Wasser, Nahrung, Elektrizität und ein dichtes Dach über dem Kopf wirklich zu schätzen.

Ich wollte einfach raus. Und nicht in die USA oder ein anderes europäisches Land. Ich wollte ein Land sehen, von dem ich keine Ahnung hatte. Ghana bot genau das und glücklicherweise auch ein hoch spannendes Projekt: Baobab ist ein ländlich gelegenes Schulprojekt für analphabetische, traumatisierte und körperbehinderte Kinder und Jugendliche aus sehr armen Verhältnissen und vielköpfigen Familien. Sie erhalten Unterricht und werden dort im traditionellen Handwerk, wie Nähen, Batiken, Weben, Schreinern, Malen und Gärtnern ausgebildet.

Zu Beginn des Jahres wohnte ich mit Susan – einer weiteren Freiwilligen – etwas abgelegen vom eigentlichen Schultrubel. In einem kleinen Häuschen ohne Licht und Strom mit vielen Echsenbewohnern und einem nicht funktionierenden Wasseranschluss. Dort fühlten wir uns vom Schulalltag etwas ausgeschlossen und so zogen wir bald darauf in ein freies Zimmer im Mädchenschlafhaus. Und dann ging’s los.

Durch das nicht verschließbare Mückennetzfenster hörten wir die Schüler plaudern und unsere Namen rufen. »Madam Leeeoniiiie!« Sie liebten es, an unsere Tür zu klopfen. Rund um die Uhr waren wir für sie zu erreichen. Dieser intensive Kontakt war schön, aber auch anstrengend, denn Kinder haben viele Fragen und Anliegen und vor allem Verletzungen, die wir verarzteten. Schon morgens um sechs wachten wir meist auf, da sie den Schulhof fegten.

Nähen mit Madame Felicia

Gegenüber unserem Zimmer lag die Nähwerkstatt. Da ich vor vielen Jahren schon das Nähen erlernt hatte, arbeitete ich hauptsächlich dort. Unter der Woche fanden drei Stunden Nähunterricht am Tag statt, eine Woche monatlich den ganzen Schultag lang. Die Schüler erlernen das traditionelle Maßschneidern und verschiedene Taschenschnitte bei Madame Felicia. Ich leitete die Taschenproduktion, brachte den Schülern neue Taschenentwürfe bei, die zum Verkauf in Deutschland geeignet waren. Am Anfang machte mir manchmal die Direktheit und Grobheit, mit der die Schüler auf mich zukamen, zu schaffen. Sie sprachen viel in Fante, der lokalen Sprache, mit mir und waren laut und frech.

Auch Madame Felicia, eigentlich eine ruhige, höfliche Person, stellte am Anfang für mich eine Herausforderung dar. Sie akzeptierte mich nicht gleich als Nähassistentin in ihrem Unterricht, da sie die Jahre zuvor allein unterrichtet hatte. Ich gab mir Mühe, mit ihr zu kommunizieren und mich einzubringen. Vielleicht war es auch zuviel. Ich hatte das Gefühl, sie fasste die Assistenz einer jungen Weißen als Kritik an ihrer Arbeit auf. Nun ja, sie hatte mit den Schülern ihren Weg gefunden, war aber nicht ausgebildet als Nählehrerin und es fielen mir bald viele Ungenauigkeiten beim Nähen auf.

Es dauerte seine Zeit, aber Madame und ich wurden ein richtig gutes Team und durch den Respekt der Lehrerin lief es immer besser mit den Schülern. Ich zeigte ihnen, wie man die Sporttasche, die Einkaufstasche, den Hüftbeutel und einen Rucksack näht. Den Rucksack wollten sie plötzlich alle für sich selbst nähen. Auch Madame nähte ihn für ihre Kinder. Es gab Schüler, die kaum eine gerade Linie nähen konnten. Immer wieder übte ich mit ihnen ganz einfache Taschenschnitte, führte manchmal ihre Hände, bis sie es allein konnten – aber das dauerte.

Zum Abschluss ein Dokumentarfilm

Am Nachmittag machte ich das sogenannte »Exercising« mit den beiden Brüdern Bright (19) und Collins (14). Sie leiden unter Muskelschwund. Früher oder später werden sie daran sterben. Collins ist ein schüchterner lieber Junge, Bright dagegen aufmüpfig. Ich überlegte mir immer neue Übungen für sie, neue Herausforderungen, zum Beispiel verwendeten wir viel meine Jonglierbälle, um einfach Übungen interessanter zu machen. Ich genoss es sehr, wenn sie Spaß daran hatten. Bright sitzt mittlerweile im Rollstuhl. Auch betreute ich die Adoptivmädchen Baobabs, Edith und Jessica. Sie brauchten Hilfe bei den Hausaufgaben. Wir pflanzten Blumen, flochten Körbe, bastelten Masken aus Pappmaché und bemalten sie. Und wir flochten Freundschaftsbändchen. Edith ist ein waches Mädchen. Leider ist sie kurz nach meiner Abreise schwer erkrankt und verstummt.

Da ich mich seit vielen Jahren mit dem Drehen von Filmen beschäftige, besorgte ich mir vor der Reise eine sparsame Kameraausrüstung. Ich sollte und wollte einen Dokumentarfilm über das Projekt drehen. Es fiel mir nicht leicht, all die schönen und bedeutenden Details von Baobab in etwas mehr als eine Stunde zu packen. Aber nach einigen Monaten intensiven Filmens und Schneidens entstand der Film: »Affenbrot und Baum« (Trailer auf Youtube).

Das Jahr hat mich vor allem Dankbarkeit und Bescheidenheit gelehrt.

Termine oder DVDs (EUR 9,50, plus Porto) über: leonie.donath@online.de