Ehemalige Waldorfschülerin, die selbst über keinerlei Intellekt verfügt, spricht über selbigen

Tanja Regen

Im Alltag ist es in aller Munde und in seiner englischen Version umkreist es großspurig den ganzen Globus. Jeder hofft insgeheim darauf, auch nur einmal in seinem Leben als intelligent definiert zu werden und wenn wir als unintelligent bezeichnet werden oder mit einem Begriff, der eben das impliziert, so ist dies eine der schlimmstmöglichen Beleidigungen der Neuzeit.

Aber was ist eigentlich Intelligenz? Viele scheinen sie als die Gabe zu deuten, selbstständige, nie dagewesene Gedanken zu bilden. Somit müsste ein Erfinder enormen Intellekt besitzen. Aber ist das entscheidende Talent eines Erfinders nicht die Phantasie? Und eben diese Phantasie hat für die breite Masse nichts mit dem Bergriff der Intelligenz zu tun, denn sie ist nicht greifbar, nicht durch Noten messbar. Ihr haftet etwas Wunderbares an, wovon die Forschung nichts wissen möchte.

Andere versuchen Intelligenz mit logischem Denken gleichzusetzten. So müsste beispielsweise ein Mathematiker, der abstrakte Probleme gewinnbringend löst, als intelligent bezeichnet werden können. Aber haben wir nicht alle gelernt, dass jeder die Mathematik erlernen kann, solange er nur die logischen Regeln befolgt? Wo bleibt dabei das selbstständige Denken, das Intelligenz doch ganz gewiss erfordert?

Es wird also deutlich, dass Intelligenz schwer zu definieren ist. Und dennoch kennt beinahe jeder die Situation, in der er von einer vertrauten Person über eine Dritte berichtet bekommt, dass sie als hochintelligent »diagnostiziert« worden sei. Ansprechen sollte man diese »Wunderkinder« jedoch nicht, rät einem besagte vertraute Person. Denn dies könnte den intelligenten »Patienten« in Scham oder, schlimmer noch, in Arroganz versetzen.

Also hält man sich zurück und beobachtet aufmerksam diesen außergewöhnlichen Menschen, der es geschafft hat: er wurde als intelligent identifiziert. Und plötzlich erscheint einem diese Person, die man unter Umständen schon seit mehreren Jahren kannte, in einem ganz anderen Licht. Im Glanz des Intellekts. Und man bemerkt nach und nach »Symptome«, die ganz gewiss auf besagte Intelligenz zurückzuführen sind. Solche Symptome können von der linken Ecke der Definitionsschublade bis zur rechten reichen. So kann ein hochintelligenter Mensch durch enorm schlechte Leistungen zu erkennen sein, da er mit allen ihm gestellten Aufgaben schlichtweg unterfordert ist. Dieser Typus des Hochintelligenten hat oft mit einem sehr erbärmlichen Sozialleben zu kämpfen, denn die Gespräche des »normalen Menschen« sind für ihn nahezu ekelhaft banal. Das war die rechte Schubladenecke. Intelligenzbolzen der linken Ecke hingegen sind als der beneidete Primus zu erkennen. Sie können sich vor Freundschaftsanfragen auf Facebook kaum retten, denn jeder hofft, dass durch den Kontakt zu ihnen ein Funke ihres Intellekts überspringen könnte.

Sie merken, egal wer die diagnostizierte Person ist, sie passt perfekt in das Schema des Hochintelligenten. Vielleicht ist in Ihnen selbst eine Flamme der Hoffnung entfacht worden, da sie einige der Symptome auch bei sich selbst entdecken können?

Nur Mut, lassen Sie Ihren Intelligenzquotienten testen und vielleicht wird sich Ihr Leben grundlegend ändern – wobei auch dann niemand offen mit Ihnen über Ihre Intelligenz sprechen wird, denn intelligente Menschen wirken einschüchternd auf den Normalsterblichen. Durch das plötzlich einsetzende Stottern ihrer eingeschüchterten, ehemaligen Freunde fühlen sie sich dann jedoch ganz sicher intelligenter.

Ebenso wie wir Intelligenz nicht definieren können, hapert es auch an der Erklärung des Intelligenzquotienten, aber das ist nebensächlich, denn er ist messbar und dadurch wird er zu einem unumstößlichen Bestandteil unserer hocheffizienten, kategorisierenden Forschung.

Um bei der Wahrheit zu bleiben: Intelligenz ist ein Begriff, den man als ein Kind, eine Ausgeburt unserer Leistungsgesellschaft bezeichnen muss. Er ist eines der unzähligen, viel zu hochgesteckten Ideale, denen wir in rasantem Tempo nachjagen, ohne wirklich zu wissen, was uns beim Erreichen des Zieles eigentlich erwartet. Intelligenz ist der Heilige Gral der Neuzeit. Abstrakt, sagenumwoben, zum Greifen nah und doch unendlich fern und unerreichbar. Er schürt unser Konkurrenzdenken immer wieder an und sorgt dafür, dass wir zu einem effizienteren Teil unserer Gesellschaft werden. Welchen Preis uns der dadurch entstehende Stress kostet ist, wie so oft, nicht wichtig genug.

Was wird die Auswirkung dieses Artikels sein? Vermutlich legt der Leser die Zeitschrift beiseite, belächelt mitleidig die Verfasserin, die sich selbst als unintelligent geoutet und damit ihr Armutszeugnis ausgestellt hat. Die Hoffnung des Lesers selbst, vielleicht schon morgen als intelligent bezeichnet zu werden, konnte jedoch nicht erstickt werden. Im Gegenteil: ein potentieller Konkurrent weniger.