fairventure – Vertrauen wagen

Daniel Schuh, Jan Temmel

»Wirtschaft hat so viel mit Geld zu tun, wie diese Armbanduhr mit der Zeit.« So eröffnete Peter Krause-Keusemann am 7. Juni 2012 den fairventure-Kongress. Eine sehr wichtige Erkenntnis, die viele Menschen übersehen. Wirtschaft bedeutet, unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Mitwelt zu befriedigen. Freundschaft und Kinder kann man nicht kaufen, genauso wenig wie einen erholsamen Spaziergang im Wald. Nur ein Bruchteil unserer persönlichen Wirtschaftslandschaft hat wirklich mit Geld zu tun und mitnichten ist dies der wichtigste. 

Das Immunsystem der Erde

Im Vordergrund des Kongresses stand die Auseinandersetzung mit neuen und nachhaltigen Wirtschafts- und Geldformen. Wie lassen sich im Alltag Wege zu nachhaltigem Handeln finden und wie geht man vor, wenn einem an ökologisch sinnvollen, mit Gleichgesinnten vernetzten Lebensweisen gelegen ist? Dieses übergeordnete »Evolutionsanliegen« teilten viele fairventure-Teilnehmer.

Mit Paul Hawken kann man fairventure als Teil einer globalen Bewegung verstehen. In seinem spannenden Buch »Wir sind der Wandel« mit dem Untertitel »Warum die Rettung der Erde bereits voll im Gang ist und kaum einer es bemerkt«, beschreibt er die gesamte Menschheit als eine Art zusammenhängenden Organismus. Dieses »Wesen« ist allerdings erkrankt. Nach jahrelangen Beobachtungen erkannte Hawken, dass es eine global wirksame »Bewegung« gibt, die sich überall dort in Umwelt- oder Menschenrechtsgruppen, in Wirtschafts- und Lebensgemeinschaften organisiert, wo es um den Erhalt der Lebensgrundlagen auf diesem Planeten geht.

Dieser Bewegung liegt keine Ideologie zugrunde, sondern befreiende Ideen. Flexible, voneinander unabhängige Erscheinungen ergeben eine große Vielfalt und dieses offene Geflecht nennt Hawken das »Immunsystem der Erde«. Was für ein treffender Ausdruck für dieses Phänomen!

fairventure: Teil einer globalen Bewegung

fairventure ist Teil dieses Immunsystems, denn auch hier ereignete sich ein undogmatisches Zusammenwirken, ein Austausch von Wissen, Kraft und Einsicht, um die Wende oder den Neuanfang zu ermöglichen. Es ging auf dem Kongress also nicht allein um Geld und Wirtschaftsfragen, sondern um das »große Ganze«. Und das zeigte sich auch in der Themenvielfalt an den Infoständen oder im Open Space. Neben Modellen für ein bedingungsloses Grundeinkommen wurden auch alternative Methoden der Garten- und Landwirtschaft oder das Zusammenleben in Ökodörfern vorgestellt.

Es lässt sich jedenfalls festhalten: Dieser fairventure Kongress war etwas besonderes.

Die Vorträge wurden knackig und mit Witz eröffnet und moderiert, abschließend gab es vortreffliche musikalische Nachklänge vom Bruderpaar Julian und Benedikt Bindewald an Klavier und Geige, in denen die sachlichen Informationen des Vortrages nachklingen konnten. Auch kurze Eurythmie-Vorführungen sorgten für geistige Auffrischung.

Ein Höhepunkt aber waren die Lerchen, eine kongresseigene Währung. Anlässlich fairventure hatte ein Schüler der 7. Klasse der Waldorfschule Leipzig die grandiose Idee, doch einfach eigenes Geld zu schöpfen. Zusammen mit Freunden entwickelte er die »Lerchen«, mit denen man auf dem Kongress nicht nur Kaffee und Kuchen kaufen konnte.

fairventure für Schüler

Wir beide, Daniel und Jan, haben bereits das ganze Schuljahr über auf den Kongress hingearbeitet.

Als entschieden war, dass der Austragungsort die Waldorfschule in Leipzig sein werde, tauchte die Frage auf, wie sich interessierte Schüler einbringen könnten. Daraus ist schließlich der Schüler-Fernkurs »Meine Welt, Wirtschaft und Geld« entstanden. In Hausaufgaben und Kolloquien konnten wir uns solche fundierten betriebswirtschaftlichen Kenntnisse aneignen, die besonders ökologisch sinnvoll und darum nachhaltig ausgerichtet sind. Für uns eine völlig neue Materie, Wirtschaftsunterricht hatten wir in der Schule leider nie gehabt. Wirtschaft war für mich bis dahin etwas unbedeutend langweiliges. Geld, Finanzen und Buchhaltung als nervige Störenfriede, die nun mal leider zum Leben dazu gehören.

Und ich muss sagen, dieser Kurs und die inspirierenden Kolloquienbesuche bei unserem engagierten Nachhaltigkeitslehrer Peter Krause-Keusemann haben dem Geld und der Wirtschaft einen neuen Sinn in »meiner Welt« gegeben. Wirtschaft findet nicht irgendwo da draußen, in den Glaspalästen der Banken und großen Konzerne oder an der Börse statt und ist auch keine hochkomplexe Expertensache, die wir Bankmanagern und anderen Finanzakteuren überlassen dürfen.

Mit Ohnmacht blicken viele Menschen auf das kapitalistische Wirtschaftsmonster, eine große, undurchschaubare Macht, die alles zu kontrollieren scheint. Demgegenüber fühlen wir uns häufig einflusslos und unmündig. Aber unser Wirtschaftssystem beruht auf Regeln, die wir irgendwann vereinbart haben. Und so sind auch Zins und Zinseszins keine gegebene Selbstverständlichkeit und sollten von uns allen angesichts des Wachstumsdrucks und der massiven Ungerechtigkeit durch die Umverteilung von Arm zu Reich dringendst hinterfragt werden.

Doch ich möchte mich nicht in der Kritik an den Absurditäten und Ungerechtigkeiten unserer heutigen Welt verlieren. Eines sollten wir nämlich nicht vergessen: die Erfindung des Geldes war überaus genial, vergleichbar mit der des Rades, und ein großer Schritt für die Menschheit.

Wirtschaft ist alles, was der planvollen Befriedigung unserer Bedürfnisse dient, so die Definition. Nur ein winziger Teil unserer Wirtschaftswelt hat also mit Geld zu tun, das Entscheidende spielt sich im Sozialen ab. Als dies bei mir im Bewusstsein wirklich eingepflanzt war und dieser fruchtbare Samen zu keimen begann, konnte ich spüren, wie viel Potenzial solch ein neues Wirtschaftsverständnis freisetzen kann. Mich hat es dazu angeregt, neuen Ansätzen nachzuspüren, neue Möglichkeiten zu entdecken – die Verbindung zu meinem Leben war hergestellt.

Wirtschaft selbst gestalten – unser eigenes Geld

fairventure war für uns der indirekte Aufruf, selbst aktiv zu werden, unser Wirtschaftsleben mitzugestalten. Bei uns im Ort sind wir nun eine kleine Menschengruppe, die ein eigenes Regionalgeld vorbereitet. Solch ein Regiogeld kann natürlich nicht die Welt retten. Es kann und soll auch nicht den Euro ersetzen, aber es kann ihn sinnvoll ergänzen. Mir geht es vor allem darum, bei den Menschen ein neues Bewusstsein zu schaffen. Ein Bewusstsein für ein lebendiges, nachhaltiges und eigenverantwortliches Wirtschaften.

Ganz zu Beginn haben wir in unserer Gruppe ein spannendes Experiment durchgeführt. Jeder sollte all seine Bedürfnisse niederschreiben. Eine kunterbunte Mischung, von Lebensmitteln, Elektrizität, Mobilität über Zahnpasta, Staubsauger und Babysitter bis hin zum gemeinschaftlichen Spieleabend kam zustande. Und auf einen zweiten Zettel schrieben wir unsere persönlichen Angebote und Fähigkeiten.

Was sich da abspielte, war zum einen hoch unterhaltsam, aber eben dennoch wahres Wirtschaften. Teilweise ergänzten sich völlig unerwartet diverse Angebote und Bedürfnisse, man verlieh einander Werkzeug oder verabredete sich zum gemeinsamen Musizieren. Anderswo stellte manch einer fest, mein Nachbar hat ja ganz ähnliche Bedürfnisse, für die sich zusammen genommen auf einmal neue Lösungen finden lassen. In dieser offenen, kreativen Arbeitshaltung entstand ein bunter Reichtum an Ideen und Einfällen. Lass uns doch Bahnticket-Sharing machen, wir könnten ja auch genossenschaftlich Strom erzeugen und warum fährt eigentlich jeder von uns einzeln die fünf Kilometer zum nächsten Demeterhof?

So haben wir uns besser kennen gelernt, indem wir einander wahrgenommen und unsere Fähigkeiten und Kompetenzen ausgetauscht haben. Die Erkenntnis, was für ein reichhaltiges Potenzial hier schlummert, war für uns sehr wertvoll. Für mich war das so ein Aha-Erlebnis: Das ist also auch Wirtschaft, so unterhaltsam und spielerisch.

Ein Regionalgeld kann Anreize setzen, seine eigenen Fähigkeiten und Interessen in einem sozialen Kontext sinnvoll einzubringen, und das wiederum erhöht die Lebensqualität. Dass Wirtschaft und soziale Vernetzung einander bedingen, war für mich seit unserer Angebots-Bedürfnis-Runde völlig klar. Unser eigenes Geld als Mittel für mehr soziales Miteinander im lokalen Umfeld war in unserer Gruppe ein entscheidender Motivationspunkt.

Viele Menschen in allen Teilen Deutschlands haben längst begonnen, in regionalen Initiativen ihr eigenes Geld zu drucken. Spannend finde ich auch die Tatsache, das es dabei nicht ein Modell gibt, das andere Regionen einfach kopieren. Die Gestaltungsmöglichkeiten einer solchen Komplementärwährung sind ebenso vielfältig wie die Orte im ganzen Land. Mit Herzblut, Kreativität und guten Ideen gilt es, den Anforderungen vor Ort gerecht zu werden. Vielleicht gelingt es ja auf diesem Wege, ein Geld zu schaffen, das uns Menschen dient, und nicht anders herum.

fairventure 2013

Nach den positiven Erfahrungen mit dem fairventure-Kongress 2012 in Leipzig geht es nun an der Windrathertal-Schule im nordrhein-westfälischen Velbert-Langenberg weiter. Mehr dazu unter www.fairventure.de

Filmprojekt

Daniel und ich möchten einen Film über neue und nachhaltige Geld- und Wirtschaftsformen produzieren. Die Inhalte und Themen des fairventure-Kongresses in Leipzig haben wir mit der Kamera festgehalten, nun wollen wir sie filmisch aufarbeiten. Um das Projekt auch finanziell zu realisieren, haben wir ein Crowdfundingprojekt auf startnext.de gestartet und würden uns natürlich außerordentlich über Spenden freuen.

Link zum Filmprojekt: www.startnext.de/fairventure

Hier könnt ihr Fans unseres Projektes werden und den Trailer zum Film sowie Videoaufzeichnungen der Vorträge anschauen. Als Dankeschön für Eure Spende gibt’s z.B. die DVD oder eine Downloadmöglichkeit.

Daniel Schuh (19) und Jan Temmel (20) besuchten die Windrather Talschule, eine inklusive Waldorfschule in Langenberg. Jan schreibt in seinem Blog über zukunftsfähige Formen des Lernens | www.naturundfreiheit.de