Gekommen, um zu helfen

Sebastian Puschner

Deutsche wissen nicht, wie man eine Wurst grillt. Davon ist Mpho Sengane überzeugt. Zu Hause in Südafrika schneiden sie ein Blechfass der Länge nach durch, machen darin Feuer und legen ein Metallgitter darüber. Gegrillt wird dann eine Boerewors, zu einer Schnecke gedrehtes Rind- und Schweinefleisch, drei Zentimeter Durchmesser, gewürzt mit Thymian und Muskatnuss. »Als meine Gastfamilie mit mir gegrillt hat, konnte ich nicht glauben, wie klein der Rost und die Würste sind«, sagt Mpho. Statt einer Boerewors hat Mpho jetzt grünen Salat vor sich, den er auf kleine Schüsseln verteilt. Statt in dem Kinderheim bei Johannesburg, in dem er groß geworden ist, bereitet Mpho im Hort der Karlsruher Waldorfschule das Essen für die Schüler zu. Früher war er das Kind, um das sich deutsche Jugendliche kümmerten, die als Freiwillige nach Südafrika kamen. »Warum soll das nicht auch andersherum gehen?«, fragte er sich nach dem Schulabschluss. Es ging.

Durch das Incoming-Programm der »Freunde der Erziehungskunst« kommen jedes Jahr hundert Menschen aus dem Ausland für einen Freiwilligendienst nach Deutschland. Seit sechs Monaten ist Mpho einer von ihnen, hilft vormittags dem Hausmeister beim Heckenschneiden und setzt sich mittags mit zwanzig Grundschülern an den Tisch, fasst den Lockenschopf links und den Jungen mit den Sommersprossen rechts bei der Hand. »Liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde«, sprechen alle im Chor. Es gibt Nudeln mit Pilzsoße, dazu den Salat – alles vegetarisch.

Als Mpho 15 war, bestand sein Pausenbrot meist aus einem Sandwich mit Marmelade. Er ging auf eine Privatschule, Spender bezahlten die Gebühren. Die Mitschüler hatten Schinken, Tomaten und Salatblätter auf ihren Broten, trugen teure Klamotten und besaßen die neuesten Handys. In Mphos Kinderheim wollten zweihundert Kinder versorgt werden, für den Einzelnen blieb nicht viel. Darum hauten Mpho und seine Kumpels immer wieder ab, nur ein paar Tage, um in der Innenstadt zu betteln.

»Es ist einfach. Du stehst an der Ampel, und je jünger du bist, desto mehr Geld geben sie dir.« Die Nächte verbrachten sie unter Brücken, gegen die Kälte half der Klebstoff. »Du atmest die Dämpfe aus einer kleinen Plastiktüte ein und fühlst nichts mehr.« Auch nicht die Angst. Angst vor »Matanyola«. So nennen sie es auf Südafrikas Straßen, wenn ältere Jungs jüngere zum Sex zwingen. Mpho blieb das erspart. »Ich habe zugesehen, wie Freunde es tun mussten«, sagt er.

Irgendwann wollte Mpho nicht mehr unter Brücken schlafen. Er war gut in der Schule, hatte Sozialarbeiter um sich, die ihm Mut machten. Mit Siebzehn wurde er Sprecher der Kinder gegenüber der Heimleitung, mit Achtzehn engagierte er sich in einem Projekt, das sich um HIV-positive Waisenkinder kümmert.

Mit Zwanzig bewarb er sich für das Incoming-Programm. Als die Zusage kam, musste er zum ersten Mal seit sechs Jahren zu seiner Mutter gehen. Geburtsurkunde, Pass – so etwas hatte Mpho nie besessen. Die Mutter sollte beim Amt bestätigen, dass es ihn gibt. Sie weigerte sich. Am Ende zwang die Polizei sie mitzukommen.

Als er den Pass in Händen hielt, sagte er seiner Mutter: »Mach, was du willst. Ich gehe schon lange meinen eigenen Weg.«

»Halli galli« in Karlsruhe

Nach den Hausaufgaben wird gezockt im Waldorf-Hort: Mpho Sengane spielt »Halli Galli« mit den Kindern. Die älteren Schüler palavern in der Raucherecke. Bevor der Hort öffnet, hilft er jeden Vormittag dem Hausmeister.

Der Karlsruher Hort bezahlt ihm die Krankenversicherung und 150 Euro Taschengeld. Auch die Gastfamilie, bei der Mpho lebt, hat der Hort organisiert. Zu deren Haus sind es zehn Minuten mit dem Fahrrad. Drei Stockwerke, Anbau aus Holz, rote Fensterläden. Im Garten hängt eine tibetische Gebetsfahne, zwischen Gemüsebeeten liegen zwei Blechgießkannen. Mphos Gastmutter ist Erzieherin im Waldorf-Kindergarten, der Vater sitzt im Vorstand der Schule. Auf dem Schulhof trifft Mpho seinen neunjährigen Gastbruder und seine siebzehnjährige Gastschwester. Die älteste Tochter ist gerade als Freiwillige in Argentinien. »Warum sollten wir Mpho nicht ermöglichen, was unsere Tochter in Südamerika machen kann?«, sagt der Vater. Als er kurz vor Mphos Ankunft dessen Namen googelte, fand er die Eltern nicht. »Und dann stand er vor uns und fragte als erstes: What are the rules of the house?« Die Familie war überfragt. Auf einmal konnte Mpho abends ausgehen, so lange er wollte. Er hatte einen eigenen Schlüssel und ein eigenes Zimmer. »Früher habe ich mit fünfzig anderen in einem Raum geschlafen«, sagt er. Nach einigen Wochen tauchten dann doch ein paar »rules of the house« auf: zu fragen, bevor man eine Flasche Wein zu einer Party bei Nachbarn mitnimmt. Und das mit dem Pinkeln. »Wir haben lange beratschlagt, wer Mpho sagt, dass man das hier im Sitzen erledigt«, sagt der Vater lachend, auf den schließlich die Wahl fiel. Für Mpho war das ebenso gewöhnungsbedürftig wie die deutschen Grillwürste. Doch er hat sich so gut eingewöhnt, dass er sich dazu entschloss, erst einmal in Deutschland zu bleiben. Nach seiner Zeit in Karlsruhe ging er nach Welzheim, um dort in der Christopherus Lebens- und Arbeitsgemeinschaft einen weiteren Freiwilligendienst zu leisten. Inzwischen absolviert er eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger.

Zum Autor: Sebastian Puschner hat diesen Text während seiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München für die Nullnummer eines von Schülern konzipierten Jugendmagazins – minz* – geschrieben. Heute arbeitet er als Wirtschaftsredakteur bei der Wochenzeitung »der Freitag«.