Gleichgültigkeit – solange wir nicht leiden?

Till Höffner

Woher kommt die verbreitete Gleichgültigkeit in der Gesellschaft und wie können wir politisch aktiv werden?

Das waren die zentralen Themen der 25. Bundesschülerratstagung vom 30. September bis zum 3. Oktober 2016. In der Freien Waldorfschule Berlin Mitte kamen mehr als 200 Oberstufenschülerinnen und -schüler von über 50 Waldorfschulen aus ganz Deutschland zusammen, um darüber miteinander zu diskutieren und sich zu begegnen. Nach der ersten Aufregung des Wiedersehens begann das Programm mit einem Vortrag von Kirsten Laroussi, die Direktorin einer Europaschule in Dortmund ist und über antirassistische Aktionen berichtete, die sie mit ihren Schülern durchführt, um zu zeigen, wie bereichernd Vielfalt an Kulturen und Sprachen auch im Schulleben sein kann. Diese Aktionen gehen von Flashmobs in Innenstädten, über Reiseprojekte mit Grundschülern bis hin zu europaweiten Vernetzungsprojekten. Danach konnte in drei Workshopeinheiten aus einem Angebot von Tanz, Yoga, Cajon bis hin zu politischen Diskussionsgruppen, zum Beispiel über Propaganda, gewählt werden.

Wie werde ich aktiv?

Nach einer mehr oder weniger erholsamen Nacht in der Bundeshauptstadt begann der nächste Tag mit Arbeitsgruppen: über alternative politische Ansätze wie das Bruttonationalglück in Bhutan und das Bedingungslose Grundeinkommen, über die Erziehung zur Gleichgültigkeit und zum Aktivismus in Schulen. Die zentrale Frage war: »Wie kann ich selber aktiv werden und für Dinge kämpfen, die mir am Herzen liegen?« und ob unsere »Gleichgültigkeit« nicht ein Gefühl der Ohnmacht ist, das von der Reizüberflutung herrührt. Es folgten zwei weitere Vorträge von Joschka Fleckenstein vom Zentrum für politische Schönheit und Johannes Doldere von der Gemeinwohlökonomie. Beide aktivierten die Zuhörer deutlich, da es sich um konkrete und zielorientierte Projekte handelt, die für eine gerechtere Welt eintreten. Die Herangehensweise, um dieses Ziel zu erreichen, hätte bei beiden Vorträgen nicht unterschiedlicher sein können. Während das Zentrum für politische Schönheit mittels ausdrucksstarker und offensiver Kunst -und Theaterprojekte versucht, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf politische Missstände, insbesondere der europäischen Flüchtlingspolitik, zu lenken und damit Druck auf die Politik auszuüben, ist es Ziel der Gemeinwohlökonomie mittels eines Punktesystems Produkte danach zu kennzeichnen, inwieweit sie zum Gemeinwohl beitragen oder diesem schaden. Auf diese Art und Weise soll der Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr durch einen möglichst großen Umsatz der Konzerne, sondern durch ökologische und soziale Aspekte wie Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen definiert werden.

Schulsystemübergreifende Vernetzung bleibt noch Wunsch

Ein weiterer Fokus richtete sich auf die SV-Arbeit, vor allem auf die Vernetzung der Schülervertretungen in den einzelnen Bundesländern und die Gründung von weiteren Landesschülerräten, denn letztere bieten eine große Chance, sich in die Gestaltung der eigenen Schule einzubringen und die Kooperation zwischen den einzelnen Schulen zu verbessern. Außerdem gab es ein Initiativforum, bei dem die Teilnehmer sich vernetzen konnten und eigene Projekte auf die Beine stellten wie einen riesigen Eurythmieflashmob auf dem Alexanderplatz. Ziel der Tagung war es auch, Schüler und Schülerinnen von Staatsschulen einzubeziehen, um Vorurteile abzubauen und uns schulsystemübergreifend zu vernetzen. Das ist leider nicht geglückt, doch wir werden dieses Ziel weiterhin verfolgen.

Den Höhepunkt erreichte die Stimmung am Samstagabend im Nachtcafé, wo ausgelassen getanzt, musiziert, Improvisationstheater gespielt und lebhaft diskutiert wurde. Nach weiteren Workshop- und AG-Einheiten gab es noch einen Vortrag des Arztes und Notfallpädagogen Martin Straube von den Freunden der Erziehungskunst, der auf eine eindrucksvolle und berührende Weise von seiner Arbeit mit traumatisierten Menschen in Krisengebieten berichtete sowie von den Möglichkeiten, die anthro­posophische und waldorfpädagogische Ansätze bieten, Trauma- folgestörungen zu vermeiden.

Neuwahlen und Tagungen

Auch bei den Vorständen gab es Veränderungen: Anna Ristow, Isabel Antrobus-Thorweihe, Erik Milas und Till Höffner traten zurück. Da es uns wichtig ist, dass die Wahlen mehr von neuen Ideen, Projekten und der Motivation als von der Bühnenpräsenz der Kandidatinnen und Kandidaten bestimmt werden, gab es eine kleine Sprechstunde, in der jeder persönlich mit den Kandidaten ins Gespräch kommen konnte. Neu in den Vorstand gewählt wurden am Montagmorgen: Maimouna Zoe Hövelmann (FWS Berlin Märkisches Viertel), Antonia Taraba (FWS Leipzig), Justus Gilsbach (FWS Hagen) und Salomó Stainbank (FWS Kalten­kirchen).

Vor der Verabschiedung wurde noch die im kommenden Frühjahr in Dornach stattfindende internationale Tagung vorgestellt, zu der alle Oberstufenschülerinnen und -schüler herzlich eingeladen sind. Die Tagung wird unter dem Titel »Challenges of our time – Seeking for a global consciousness by facing myself ?« stattfinden und wird gemeinsam von der Jugendsektion am Goetheanum und der WaldorfSV organisiert.

Wir hoffen, dass jeder das Bewusstsein, was jeder Einzelne von uns verändern kann, mit nach Hause trägt, sodass neue Projekte entstehen, die alle ein kleines Stück weit die Welt verändern.

Zum Autor: Till Höffner ist 18 Jahre alt und besucht die 13. Klasse der Freien Waldorfschule Dinslaken. Er ist ehemaliges Vorstandsmitglied der WaldorfSV und gehört zum Organisationsteam, das die internationale Schülertagung, die vom 16.-19.2.2017 am Goetheanum stattfinden wird, vorbereitet.