»Ich war nie in einen Schimpansen verliebt«

In den Geschichts-Epochen der sechsten Klasse lernten wir sehr viel über die Lebensgeschichten von »wichtigen« Männern. Schon damals fragte ich mich: Was wissen wir eigentlich über die Frauen? Dann treffe ich zwei Jahre später eine faszinierende Frau: Jane Goodall.

Mich beeindruckt ihre Verbundenheit mit den Tieren und der starke Wille, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Bekannt wurde Jane Goodall in den 1960er Jahren durch ihre bahnbrechenden Forschungen mit Schimpansen in Tansania. Die Engländerin wurde mit einer Faszination für Tiere geboren: Schon als kleines Kind lud sie Regenwürmer in ihr Bett ein, um zu schauen, wie sie sich ohne Beine fortbewegen können. Seit dem Ende ihrer Forschungskarriere setzt sie sich nun seit über 30 Jahren als Aktivistin für Menschen, Tiere und die Umwelt ein. Eines ihrer wichtigsten Programme ist die Initiative »Roots&Shoots« (»Wurzeln und Sprösslinge«). Über dieses Programm gelingt es Jane Goodall, besonders Jugendliche anzusprechen.

Anna Luna Scheibe | Welche Gruppe von Menschen hat den größten Einfluss auf unsere Natur und unsere Gesellschaft?

Jane Goodall | Eigentlich ist es unmöglich, diese Frage zu beantworten, weil es verschiedene Aspekte von Effekten der verschiedenen Gruppen auf die Umwelt und den Menschen gibt. Sportler, Schauspieler und Sänger können viel bewirken, sie können als Stars viele Menschen dazu ermutigen, mehr darüber nachzudenken, wie sie handeln. Wenn wir amerikanische Politiker in der Trump-Ära ändern könnten, würde das sicher einen großen Unterschied machen. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Großkonzerne. Wir müssen aber auch bedenken, dass wir selber eine aktive Rolle spielen sollten: Wir sollten das Essen oder die Kleidung, die sie herstellen, einfach nicht kaufen. Dann würden die Großkonzerne die Produkte auch nicht herstellen. Wir wählen die Politiker. Mal angenommen, Politiker würden Maßnahmen ergreifen, durch die Essen, Kleidung oder Transport ein wenig teurer würden, dann würden sich alle Menschen, die sie gewählt haben, abwenden und sie nicht wiederwählen. Auch hier tragen wir also selber Verantwortung. Und genau darum geht es uns beim »Roots&Shoots«-Programm.

ALS | Und was könnten die Jugendlichen dazu beitragen?

JG | Die Jugend trägt das ihre dazu bei. Die ganze Zeit schon. Überall wo ich hingehe, treffe ich junge Leute, die sich zu Gruppen zusammengeschlossen haben. »Roots&Shoots« ist jetzt in 100 Ländern aktiv. Es geht darum, behutsam mit der Umwelt umzugehen, Verantwortung für Tiere zu zeigen, fremde Kulturen zu respektieren und Benachteiligten zu helfen. Es gibt Kindergartenmitglieder, Studenten, die mitmachen – und alles dazwischen.

Überall, wo ich hinkomme, höre ich, was die jungen Menschen tun. Wie du weißt, wählt man. Man wählt etwas, das der eigenen Leidenschaft entspricht. Und du überlegst, was du ändern möchtest, krempelst deine Ärmel hoch, gehst raus und wirst aktiv. Jetzt, in diesem Moment, gibt es Menschen in verschiedenen Teilen der Welt, die aktiv sind und die Welt verändern. Junge Menschen beeinflussen ihre Eltern und Großeltern. Und manchmal bekleiden die Eltern oder Großeltern Schlüsselpositionen in großen Firmen. Oder sie sind Anwälte, Lehrer, Politiker.

ALS | Wir sehen, wie die Lebensräume von Menschen und Tieren immer schneller schwinden. Glauben Sie als Aktivistin, dass im Moment genug getan wird, oder braucht es etwas anderes, damit unser Planet sich erholen kann?

JG | Damit der Planet sich erholen kann, müssen wir alle unsere innere Haltung ändern. Wir tun nicht genug. Die Böden und Habitate schrumpfen weiter. Die natürlichen Lebensräume werden kleiner. Das führt zu Konflikten zwischen Mensch und Tier. Die Tiere sind verzweifelt und dringen auf der Suche nach Nahrung in menschliche Siedlungsgebiete ein. Zudem steigt die Armut. Wir brauchen eine richtig große Veränderung in unserer Haltung – überall auf der Welt. Mahatma Gandhi sagte einmal: Dieser Planet kann genug produzieren für menschliche Bedürfnisse, aber nicht für menschliche Habgier.

Wir sind in eine materialistische Gesellschaft abgerutscht – jedenfalls im Westen. Aber diese Einstellung verbreitet sich in der ganzen Welt. Und wo wir Erfolg nur durch Geld, Besitz und Macht messen, anstatt auf die Qualität des Lebens zu achten und den Beitrag, den wir leisten, verlieren wir. Nur der König von Bhutan hat einen Glücksindex eingeführt, der offenbar funktioniert. Wenn Du immer mehr Geld bekommst, hältst Du Dich für erfolgreicher. Aber Dein Glücksindex sinkt. Die Anhäufung von Geld und Macht steigert in der jetzigen Welt deinen Status, aber macht Dich nicht glücklicher. Warum also tun wir es trotzdem?

Es gibt noch eine Sache, die ich sagen sollte. Es ist so wichtig, dass wir alle verstehen, dass unser tägliches Verhalten einen Unterschied macht. Inzwischen sammeln so viele Menschen Abfall auf, löschen die Lichter und werfen kein Plastik weg. Wenn es nur eine Person wäre, was würde das für einen Unterschied machen? Aber wenn immer mehr Menschen dafür ein Bewusstsein entwickeln, dann sind es zuerst Hunderte, dann Tausende, dann Millionen, und dann hoffentlich Milliarden, die alle darüber nachdenken, was sie täglich tun. Und dann, wenn sie die richtigen ethischen Entscheidungen treffen, in dem, was sie machen, kaufen, tragen, essen, wie sie mit Tieren umgehen, wie sie mit Menschen umgehen, bewegen wir uns langsam in die Richtung einer viel besseren Welt.

ALS | Ist es vorgekommen, dass sich ein Schimpanse in Sie verliebt hat, oder andersrum?

JG | Nein, wenn man über Verliebtsein spricht, gibt es viele Arten von Implikationen. Und nein, kein männlicher Schimpanse hat sich je in mich verliebt. Und ich habe mich auch nicht in einen männlichen Schimpansen verliebt. Aber, David Greybeard verlor seine Angst vor mir. Unter allen Schimpansen, die ich erlebt habe, erinnere ich mich am liebsten an ihn. Wir hatten eine ziemlich enge Beziehung: Er ließ sich von mir kitzeln, und er hatte keine Angst vor mir. Ich hatte keine Angst vor ihm. Aber es ist nicht wie Verliebtsein. Vielleicht Lieben. Ich glaube, ich liebte David Greybeard. Aber ich bin mir sicher, dass er mich nicht liebte.

In der Begegnung mit Jane Goodall beeindruckte mich, dass sie sich trotz ihres hohen Alters noch so aktiv einsetzt, um ihre Vision zu leben: Pausenlos reist die 83-Jährige um die Welt und überschreitet dabei ständig ihre Grenzen. Im Interview wirkte sie schon sehr müde, und am Abend stand dann noch ihr zweistündiger Vortrag mit Fotoshooting und Unterschriftenstand an – trotzdem bekamen alle 100 Menschen, die sich in die Schlange gestellt hatten, ein Bild und auf Wunsch eine Signatur in eines ihrer Bücher. In dem Vortrag berichtete sie auf lebendige Weise, wie wichtig es ist, dass jeder sich über sein Verhalten Gedanken macht. Denn wir sind die Erde.

Zur Autorin: Anna Luna Scheibe ist Schülerin an der Freien Waldorfschule Köln-Chorweiler und führte das Interview am 9. Dezember 2017 im Rahmen ihrer 8.-Klassarbeit durch.

www.janegoodall.de/roots-shoots/