Man muss nicht gleich die ganze Welt retten

Ariadne Birth

Angefangen hat alles mit Musik: Fünf Waldorfschülerinnen der Freien Waldorfschule Dachsberg beschlossen, gemeinsam zu musizieren, um anderen zu helfen. Noten wurden besorgt, Konzerte organisiert – was dann noch fehlte, war eine Initiative, der die Einnahmen zufließen sollten. Wir wurden auf die Waldorfkindergärten in Zimbabwe aufmerksam gemacht, so widmeten wir unsere vier Benefizkonzerte den Waldorfkindergärten Nyeredzi in Harare und Kufunda Village. In dieser Zeit reifte in mir der Wunsch, diese Kindergärten zu besuchen.

Drei Monate später, im Juli 2012, machte ich mich auf den Weg – auf eine Reise, die mein Leben grundlegend veränderte. Zimbabwe: Das war ein Land, vor dem ich von Lehrern, Freunden und Bekannten gewarnt wurde. Wie konnte ich als sechzehnjähriges Mädchen allein in solch ein Land reisen? Doch ich freute mich und hielt an meiner Vision, den Menschen zu helfen, fest. In Zimbabwe war alles anders als erwartet. Meine westlichen Gedanken, gespeist von Bildern hilfloser Afrikaner, gaben mir die Illusion, dass ich Menschen, von denen ich nichts wusste, etwas beibringen müsste.

Mein erster Eindruck brachte all meine guten Helfergedanken durcheinander. Ich kam in eine gut organisierte Dorfgemeinschaft und wurde mit offenen Armen empfangen. Es schien mir alles etwas zu harmonisch. Erst nach und nach bekam ich Zugang zu dem eigentlichen Geschehen: Die Dorfbewohner ließen jedem westlichen Besucher seinen »Helferwillen« und nahmen alles bereitwillig an. Dass sie wussten, wie wenig ihnen die ganzen Ideen der Helfer nützen, realisierte ich erst, als auch ich versuchte, zu helfen. Ich habe gemerkt, wie wenig das, was ich weiß, in einer so fortschrittlichen Gemeinschaft gebraucht wird. Ich kam mir plötzlich total lächerlich vor, als sechzehnjähriges Mädchen einem glücklichen, friedliebenden und weisheitsvollen Volk etwas beibringen zu wollen. Erst als ich meinen Helferwillen überwunden hatte, konnte ich die restliche Zeit im Dorf mitleben und lernen.

»Die Europäer haben die Uhr, wir haben die Zeit«

Dieses Afrikanische Sprichwort, hat mich den Rest meines Aufenthalts begleitet. Ich habe gelernt, zuzuhören, die Menschen, ihr Handeln und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Zuhören ist verbunden mit Zeit und der Fähigkeit, jeden selbst erzeugten Druck und Zeitplan loszulassen. Ich habe realisiert, dass ich nicht nach Zimbabwe gegangen bin, um dort die finanzielle Situation oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern um ein anderes Leben für eine gewisse Zeit zu genießen. Die westliche Uhr steht in Afrika still. Kufunda ist ein Lern- und Ausbildungszentrum zur Erschaffung nachhaltiger, gesunder und lebendiger Gemeinschaften in der ländlichen Gegend von Zimbabwe und auf der ganzen Welt. Es ist ein Versuch, die Zukunft heute zu leben. »Kufunda Village« heißt übersetzt: »Dorf des Lernens«. Maaianne Knuth ist dänisch-zimbabwischer Abstammung und setzte hier 2002 ihren waldorfinspirierten Traum eines Ausbildungszentrums in die Tat um. An diesem Ort sollen Selbstständigkeit und Selbstwertgefühl aufgebaut, den Menschen die Augen geöffnet werden für das, was sie haben, und das, was sie daraus bilden können.

Es ist ein Dorf, das eine nachhaltige Lebensweise praktiziert, entwickelt und unterrichtet, basierend auf der »Art of Hosting«, einer Gesprächskultur, in der das Zuhören und der gegenseitige Respekt eine zentrale Rolle spielt. Von biologischer Landwirtschaft über ökologische Bauweise, Kräuteranbau und Verarbeitung, Re- und Upcycling, Bienenhaltung und alternative Energien bis hin zu Bildungsprogrammen wie einem Waldorfkindergarten, der »Out of School learner«-Schule, Jugendprogrammen und Tagungen für Menschen jeden Alters ist in Kufunda alles vertreten.

Ein Platz in der Welt

Jungen Menschen wird hier geholfen, ihren eigenen Weg zu finden und aus sich heraus eine Veränderung zu bewirken. Kindern und Jugendlichen wird die Zukunft ihres Landes und somit die Entwicklung des ganzen Planeten nahe gebracht. Kufunda hat bei mir sein Ziel erreicht. Es hat mich aufmerksam gemacht. Es hat mir geholfen, meinen Platz in der Welt zu finden und zu akzeptieren – Dinge nicht einfach geschehen zu lassen, sondern selbst in die Hand zu nehmen, zu hinterfragen und die »Veränderung zu sein, die ich mir für die Welt wünsche« (Gandhi).

Mich hat Kufunda Village mit all seinen Projekten und Visionen sehr beeindruckt. Es hat für mich etwas sehr Besonderes und Unergründliches. Mein Eindruck am Ende meiner Reise war, dass ich nichts weiß. Ich fühlte mich klein, doch mehr denn je wollte ich lernen, erkennen und zuhören. Ich wollte Kufunda besser kennenlernen. Zu diesem Zweck, und weil ich eine tiefe Verbundenheit zu den Menschen in Zimbabwe in meinem Herzen trage, eine Sehnsucht nach dem Frieden, den sie in ihrem Wesen ausstrahlen, fuhr ich über Neujahr 2013 abermals nach Zimbabwe. Dieser zweite Aufenthalt war noch von einer anderen Komponente geprägt: der Gründung der Waldorfschule Nyeredzi in Harare. Ich durfte mein Wissen als Waldorfschülerin einbringen. Meine Erfahrungen und all das, was ich aus meiner Waldorferziehung mitgenommen habe, waren nun gefragt. Acht Schüler besuchten die Schule zu Beginn – da man noch sehr unsicher war. Als die Schule und Idee der Waldorfpädagogik von den Eltern dieser acht Schüler jedoch als eine große Bereicherung erlebt wurde, war das Vertrauen da und die Schule konnte wachsen. Seit Januar 2014 besuchen 26 Kinder die Nyeredzi Waldorfschule in vier Klassen. Ich habe große Hoffnung, dass Nyeredzi weiter wächst, da ich aus eigener Erfahrung sagen kann, dass die Menschen in Zimbabwe, wenn sie einmal Vertrauen gewonnen haben, voll hinter einer Sache stehen.

Hilfe von außen ist nötig

Durch meinen zweiten Besuch im »Dorf des Lernens« habe ich die Nachhaltigkeit der dort praktizierten Lebensweise mehr und mehr verstanden. Das Dorf ist ein »Selbstversorger«, was bedeutet, dass fast alles, was zum Leben gebraucht wird, im Dorf hergestellt wird. Trotzdem ist Kufunda Village auf Unterstützung von außen angewiesen: nicht um die laufend anfallenden Lebenshaltungskosten der Gemeinschaft zu decken, sondern um die Projekte zu finanzieren. Die in Kufunda angebotenen Projekte sind meist kostenlos, da sie sonst nicht besucht würden. Kosten fallen jedoch trotzdem an. Um diese Kosten zu decken, ist Kufunda dankbar für jede Spende. Seit 2012 sammle ich bei verschiedenen Anlässen Spenden und verkaufe zimbabwische, in Kufunda hergestellte Kostbarkeiten wie Schmuck, Steinfiguren oder Handarbeiten. Mir ist es ein Herzensanliegen, dass Kufunda und Nyeredzi ihre Großzügigkeit denen gegenüber, die kein Geld haben, behalten können. Dies ist nur möglich, wenn Unterstützung von außen kommt. Nach der Rückkehr von meiner zweiten Reise habe ich beschlossen, meine Zwölftklass-Jahresarbeit Kufunda zu widmen. Ich gründete den Verein »Simba Kufunda« zur Unterstützung und Förderung von Kufunda Village und Nyeredzi. Ziel des Vereins ist, Kufunda Village und Nyeredzi finanziell zu unterstützen und zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Zimbabwe und Deutschland herzustellen. Es soll ein Geben und Nehmen sein. Mit drei Besuchern aus Kufunda haben wir diesen Austausch bereits erfolgreich begonnen. Von- und miteinander zu lernen ist für jeden Tag eine Bereicherung. Mir wird immer klarer, wie viel wir von den Menschen in Kufunda, die diesen Nachhaltigkeitsgedanken bereits praktizieren, lernen können.

Mein Motiv gibt eine kleine Geschichte von Donald Quimbly wieder, die ich im Winterrundbrief des Hilfsfonds Acacia gefunden habe: »Ein Mann, der am Strand entlang ging, sah ein Kind vor sich, das Seesterne aufhob und ins Meer warf. Er fragte den Jungen, warum er das denn tue. Die Antwort war, dass die gestrandeten Seesterne sterben würden, wenn sie bis Sonnenaufgang hier liegen blieben. ›Aber der Strand ist viele, viele Kilometer lang und tausende Sterne liegen hier‹, erwiderte der Mann, ›was macht das für einen Unterschied, wenn du dich abmühst?‹ Der Junge blickte den Seestern in seiner Hand liebevoll an und sagte: ›Für diesen hier macht es einen Unterschied!‹ und warf ihn in die rettenden Fluten …«

Man muss nicht die ganze Welt retten, um Veränderung zu bewirken. Zimbabwe mit seinen weisen Menschen hat mir gezeigt, dass jede kleine gute Tat etwas positiv verändern kann.

Inzwischen ist der Verein Simba Kufunda e.V. anerkannt und hat auch die Gemeinnützigkeit bekommen. Bei meinem letzten Besuch vor Ort in den Sommerferien, brachte die Lehrerin Juliette folgenden Wunsch vor: Die Schüler benötigen dringend Flöten! Daher: Wer seine Sopranblockflöte nicht mehr benötigt, und diese gerne an ein afrikanisches Kind verschenken möchte, ist herzlich gebeten, diese an mich zu schicken.

Zur Autorin: Ariadne Birth war bis zur 12. Klasse Schülerin der Freien Waldorfschule Dachsberg und besucht die 13. Klasse der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart.

Kontakt: ariadne.birth@t-online.de | Mühleberg 8, 79733 Görwihl