Perfektion ist nur ein Gedankenmodell

Henni-Lisette Busch

Was ist der eigene Körper schon? Ist er lediglich ein biologisches Phänomen? Eine perfekte Maschine? Oder etwas, das über Millionen von Jahren von der Evolution zu einem seiner Umwelt bestmöglich angepassten Organismus geformt wurde? Ist er nun der Rest eines Affen oder ein hochentwickeltes System, darauf ausgelegt, sich weiter zu perfektionieren? Oder ist er einfach ein Klumpen Fleisch, der hier und da, aufgrund des (eigentlich) natürlichen Instinktes zu überleben, einige Fähigkeiten entwickelt hat? Maschine – Organismus – System – Fleisch sind makabere Umschreibungen für das eigene Spiegelbild. Lieblose Begriffe für Menschen, die man für ihre physische Schönheit bewundert, für ihr Bewegungsgefühl, die besondere Augenstellung, das lebendige Lächeln oder einfach für die geschmeidige Art des Ganges.

Sicher: Durch die Gene ist größtenteils vorbestimmt, wie sich welcher Körperteil mit welcher Intensität wann entwickelt, worauf der eigene Wille keinen Einfluss zu haben scheint. Man kann sich schlecht vor den Spiegel stellen, wollen, dass die eigenen Haare auf einmal um einiges länger werden und siehe da, es passiert. Genauso wenig die Länge der Beine, die Stellung der Wangenknochen oder die Form der Füße. Nicht jeder hat das Bedürfnis, tatsächlich eine solche Änderung an sich vorzunehmen – ist doch die Angst vor dem Verlust des so bekannten, selbstverständlichen, natürlichen, zu einem selbst gehörenden Teils, eines Markenzeichens der eigenen Identität, viel zu groß. Oder gibt es den Schrecken vor Abnormität, den Wunsch nach Geborgenheit in der Gleichheit gar nicht? Man braucht nur seine eigene Reaktion zu beobachten, wenn man einen körperlich behinderten Menschen sieht. Niemand will freiwillig von der »Norm« abweichen – ganz besonders, was das Äußere betrifft – den eigenen Körper. Heißt das im Umkehrschluss, jemand wird für schön gehalten, wenn er dem Durchschnitt entspricht? Finden wir nur das schön, was normal ist? Gerade die kleinen Besonderheiten machen einen doch zu einem wunderschönen Wesen. Die Details, die auf den ersten Blick wie ein Makel wirken, mit Selbstverständlichkeit getragen, lassen die Menschen doch strahlen vor Schönheit und Selbstwertgefühl. Menschen, die ihren »Makel« als charakterbetonenden Zug annehmen, sind bewundernswert und voller Ausstrahlung.

Hermann Hesse schreibt in »Demian« etwas ganz Wundervolles : »Jeder Mensch ist aber nicht nur er selber, er ist auch der einmalige, ganz besondere, in jedem Fall wichtige und merkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Welt sich kreuzen, nur einmal so und nie wieder.«

Sucht nach Makellosigkeit

Was ist der Körper nun? Er ist keine Maschine, denn es fließt Leben durch ihn hindurch. Der Körper ist nicht nur ein Organismus, denn er ist beseelt. Der Körper ist nicht nur Fleisch, denn er besteht aus viel mehr. Trotzdem hält er nicht alles aus. Auch seine Kräfte sind erschöpfbar. Darum ist es traurig, ihn gegen seine eigenen Kräfte und Veranlagungen ändern zu wollen. Seltsamerweise wird nach Perfektion gestrebt, die, steril, wie sie ist, die eigene Besonderheit wie Viren beseitigt. Und hier hat der Wille einen sehr großen Einfluss! Denn hier wird er stärker, als der Instinkt zu überleben. Der Wille wirkt wie eine Waffe gegen den eigenen Körper und seine Veranlagungen, die das Urteil besiegelt oder durch die lechzende Stimme des Körpers gebrochen wird. Und das alles nur, um die eigene Besonderheit durch ein Ideal zu ersetzen, welches, wenn es dann endlich in Erscheinung tritt, nicht von Dauer sein kann. Und zu welchem Preis? Endlich scheint man den Körper zu haben, nach dem man sich verzehrt hat, ohne zu realisieren, was man dafür aufgab.

Die Perfektion trocknet vieles aus, schneidet ins eigene Fleisch, lässt die Seele bluten. Denn sie ist teuer, jedoch wenig wertvoll. Wir zahlen mit Selbstwertgefühl, Freude und der bisher unentdeckten Schönheit des eigenen Körpers für sie. Ersetzt durch leere, nicht zu befriedigende, sterile Perfektion und Hunger! Hunger auf Leben, der jedoch wieder vom Willen beseitigt wird. Man bemerkt gar nicht, wie der Körper beginnt, die Peinigung der Seele in sich auszudrücken. Schon das Gesicht gleicht dem des Würgeengels. Glück hat man, wenn man auf die Stimme des Körpers als Freund hören und ihm vertrauen kann! Dann wird die eigene Besonderheit und Schönheit nicht nur von anderen (wieder-)entdeckt!

Persönlichkeit ist wahre Schönheit

Der Körper bildet die Basis für das Leben. Was wären Gefühle ohne unseren Körper? Wir hätten nichts, mit dem wir sie wahrnehmen könnten. Oder was wäre der Intellekt ohne die kräftigende Basis und die Ausdrucksmöglichkeit des Körpers? Der Körper ist nicht nur Ausdrucksmittel unserer selbst, sondern auch empfänglich für die Außenwelt. Wir drücken uns mit dem Körper aus und lassen uns durch ihn von anderen berühren – in körperlicher, aber auch emotionaler Hinsicht –, wodurch wir uns nur selber wieder wahrnehmen und gleichzeitig wie der jeweils andere sehen, was wiederum davon abhängt, wie wir uns ihm zeigen. Und das alles über unseren Körper! Es ist also weder ein Wunder, noch verwerflich, dass wir unseren Körper schmücken, ihn gut aussehen lassen wollen – uns selbst mit ihm preisen, sei es durch Kleidung, Schmuck, Tattoos oder Frisuren. Doch die Kunst ist und bleibt, den eigenen Körper so wertzuschätzen, wie er ist – nicht ihn zu foltern, weil er nicht dem Ideal entspricht, das man sich erst wertzuschätzen traut! Es bringt einem auch die Wertschätzung anderer wenig, wenn man sich selbst nicht viel wert ist. Doch schätzt jemand sich so, wie er ist, hat er noch lange nicht das Recht, aufgrund seiner eigenen Zufriedenheit mit sich selbst, andere nicht wertzuschätzen – als solche, die nicht so sind, wie er! Perfektion ist nur ein Gedankenmodell. Persönlichkeit ist wahre Schönheit! Der eigene Körper ist keine Modelliermasse, die es umzuformen gilt – er ist das Markenzeichen eines jeden Menschen! Doch erkenne das einer heutzutage (an).

Zur Autorin: Henni-Lisette Busch besucht die Waldorfschule Rostock. Der Text entstand im Rahmen einer Jahresarbeit zum Thema »Leben«.