Politik mit der »Steinschleuder«

Peter Krause

Am Filmset für einen Tatort-Krimi macht sich Nervosität breit. Ein Auto wurde so präpariert, dass es für die Schauspielerin gefahrlos über eine Kaimauer ins Wasser rasen kann. Es klappt! Der dafür verantwortliche Außenrequisiteur Ingo Weerts, der als junger Waldorfschüler aus Köln einst die »Steinschleuder« mitbegründet hat, ist erleichtert. Und er sieht einen direkten Zusammenhang von einst und jetzt: »In meiner Arbeit geht es oft darum, etwas möglich zu machen, was eigentlich nicht geht. Bei der »Steinschleuder« habe ich mir dieses ›Geht nicht‹ abgewöhnt.« Ähnlich geht es Johanna Fürst, Medizinstudentin aus Bochum, die schon als Kind von Menschen in fernen Ländern lernen wollte: »Durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe, habe ich gelernt, mein eigenes Leben viel mehr zu schätzen. Das ist eine Erfahrung, die immer wieder neu da war, wenn wir aus den Projekten zurückgekommen sind.« Jetzt ist die 21-Jährige gerade von den Philippinen zurückgekehrt. Dort hat sie überprüft, wie es inzwischen um das Bildungszentrum bestellt ist, das sie als »Steinschleuder«-Aktivistin in der Stadt Naga mitgebaut hat.

Entwicklungshilfe anders herum

Eine Besonderheit im Vorgehen der von Jugendlichen selbstverwalteten Organisation ist es, dass die Entwicklungshilfe quasi umgedreht wird. Es geht nicht darum, Reichtum an Arme zu verteilen, sondern um die Begegnung auf Augenhöhe, denn mit der entsprechenden Einstellung lässt sich gerade von Menschen in Armuts- und Krisenregionen viel lernen. Diese schulergänzende Bildung suchen die »Steinschleuder«-Aktiven, weil sie sich bereits in jungen Jahren sicher sind, dass das so Gelernte sie selbst im eigenen Leben weiterbringen wird. Dass in den Baucamps mit den vom Verein gesammelten Spendengeldern auch Kindergärten, Schulen, Wasserleitungen oder Krankenstationen entstehen, ist zwar kein bloßer Nebeneffekt, aber auch nicht einfach Gabe aus vermeintlichem Überfluss.

Sebastian Nahrwold, heute Kraft- und Kampfsporttrainer in Münster, war als Jugendlicher bei einem Treffen an der Universität Witten-Herdecke dabei, als der Friedensforscher Johann Galtung die Gruppe beriet. Galtung wies darauf hin, wie wichtig eine Begegnung auf Augenhöhe, in einem Verhältnis der Symmetrie zwischen den »Steinschleuder«-Aktiven und den Projektpartnern vor Ort ist.

»Wenn sich jemand nach einem Baucamp bei uns bedankt hätte, hätten wir einen Fehler gemacht«, erinnert Sebastian sich. Die Grundüberzeugungen und elementaren Regeln für das Zusammenarbeiten sind in der »Steinschleuder« seit über zwanzig Jahren gleich geblieben. Man versteht sich als »Bewegung zur Bewegung«.

Die Treffen an Wochenenden dienen der gemeinsamen Vorbereitung, der Abstimmung von Aktionen und der Pflege des Teamgeistes. Es wird zusammen beraten, diskutiert und beschlossen, aber gekocht, gesungen und getanzt wird auch. Die »Steinschleuder« ist für die Beteiligten ein gemeinsamer kultureller Hintergrund, den die Ehemaligen selbst nach Jahren noch schätzen. »Man wird zu den eigenen Ursprüngen zurückgeführt. Dem liegt ein bestimmtes Stimmungselement zugrunde, das man am Lagerfeuer besonders gut erleben kann. Das ist aber nicht einfach romantisch, sondern auch politisch. Das Geistige kommt im Alltag voll an. Die Ungerechtigkeiten in der Welt zum Beispiel, die man gemeinsam anschaut, erscheinen verbunden mit möglichen Lösungen«, erinnert sich Rebekka Breth, heute Waldorfkindergärtnerin in Augsburg, an ihre Zeit in der »Steinschleuder«.

Selbstverwaltete Entwicklungsarbeit

In einem Ausbildungsgang, der sieben Wochenenden, eine Trainingswoche und Phasen des Selbststudiums umfasst, sollen ab Dezember dieses Jahres zehn bis 20 junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren systematisch darauf vorbereitet werden, in einem vierwöchigen Baucamp der »Steinschleuder« die ersten eigenen Erfahrungen auf dem Gebiet der selbstverwalteten Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Der Bedarf für eine derartige schulergänzende Bildungsmaßnahme ist zweifellos gegeben. Ingo Weerts meint: »Es tut sich eine neue Perspektive auf. Man bekommt sein Rüstzeug dafür, auch andere und größere Projekte anzupacken. Waldorfschule und Elternhaus sind einerseits die heile Welt, während andererseits die große Welt voller Krisen und Probleme ist. In der ›Steinschleuder‹ kommt die heile Welt mit der großen Welt zusammen.«

Zwei junge Studenten, in der »Steinschleuder«-Arbeit seit Jahren erfahren, werden die Gruppe im Sommer 2016 schließlich ins Baucamp nach Kenia begleiten. Dort soll auf einem zwölf Hektar großen Gelände ein Ökodorf nach dem Vorbild des schottischen Findhorn entstehen. Kenia ist nach Ghana, Senegal und Tansania bereits das vierte Land Afrikas, in dem die »Steinschleuder« aktiv wird.

www.fairventure.de/interaktion | www.aktiv-zukunft-leben.de

Zum Autor: Peter Krause ist Journalist und Buchautor.

Der Verein »Steinschleuder« wurde 1992 von Jugendlichen nach einer internationalen Jugendtagung in Bochum gegründet.