In Bewegung

Spieglein, Spieglein an der Wand ...

Wilma Riekhoff

Wie kommen wir darauf, jeden Tag an uns selber herummäkeln zu müssen? Warum immer wieder Gedanken der Unzufriedenheit?

Unzufriedenheit aufgrund unseres Äußeren.

Ich habe meine Haare abrasiert, um auszuprobieren, was das mit mir macht, wie ich mich in der Gesellschaft sehe, wie ich in die Welt gehe, um nicht dem Ideal zu entsprechen, um vielleicht das Schönheitsideal zu brechen.

Es dreht sich viel um Schönheit und Inszenierung. Die Menschen sehen sich gezwungen, an ihren Körpern zu arbeiten.

Schönheitsideale können in Form von Vorbildern eine Orientierung darstellen, sie können uns Disziplin lehren, uns helfen, unsere Ziele zu vollbringen oder zu verbessern. Das Problematische ist bloß, dass sie ziemlich wenig Vielfalt zulassen.

Sie sind Normen über das Aussehen von Menschen und für viele unerreichbar. Menschen geben Geld aus, nehmen gesundheitliche Risiken auf sich, um Schönheitsidealen zu entsprechen. Die Bilder einer Modezeitschrift sind mit viel Aufwand professionell bearbeitet, zeigen wenig Wirklichkeit und trotzdem streben Menschen in Deutschland nach einem unerreichbaren Schönheitsideal.

Und ich frage mich, wo kommt das her, das Streben nach diesem Ideal? Ich beziehe es auf ein Tier zurück oder auf einen Menschen, damals, als es lebenswichtig war, mitzumachen, in einer Horde, die mit einer gemeinsamen Strategie, ein wildes Tier zu erledigen, überlebte. Ist das der Grund?

Stoppt uns das, auszusteigen aus dem Gesellschaftsdruck der Perfektion?

Models haben magere Körper wie im alten Ägypten, wo Schlankheit und enthaarte Körper einen Teil des Ideals bildeten. Noch im 19. Jahrhundert signalisierten ein dicker Bauch und blasse Haut Wohlstand. Mit der sich ändernden Arbeitswelt war angesehen, wer fit und beweglich ist. Man ist schlank und braun gebrannt.

Ein schlanker Körper heißt »Disziplinierung« und gilt als Statussymbol eines wertvollen Lebens. Eine Mode wird zum Trend, einem Trend, dem wir folgen: Modetrends, die immer kurzlebiger sind, führen zu ständiger Überproduktion, Ressourcenverbrauch und Fast Fashion. Die Bekleidungsindustrie verursacht mehr CO2-Ausstoß als Seeschifffahrt und weltweite Luftfahrt zusammen. 35% des weltweiten Mikroplastiks in den Meeren sind auf Fast Fashion zurückzuführen. (Aber das ist eine andere Geschichte.)

Es macht mich wütend …

Es macht mich wütend, in einer Welt zu leben, Teil einer Gesellschaft zu sein, in der Schönheit und Perfektion, das Äußere eines Menschen so viel ausmachen, so hoch angesehen werden. In der »anders« auszusehen nicht ernst genommen wird. In der keinem Trend zu folgen, sich nicht zu einem Gender zu definieren, ein behinderter Mensch zu sein, dick zu sein, komisch angesehen wird, auf Ablehnung stößt – in der das Äußere an beruflichen Erfolg geknüpft ist. Es macht mich traurig, dass schon Grundschüler:innen das erfahren, in diesem Alter Magersucht und Bulimie schon eine Rolle spielen. Was macht das mit Menschen? Was macht das mit Menschen, die sich in ihrer Haut noch nie wohlgefühlt haben?

Schritt für Schritt verändert sich etwas. Curvy-Models in der Modebranche. Menschen gehen in eine neue Richtung und lösen sich von den Idealen der heutigen Gesellschaft. Body Positivity, für Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale.

Aber für mich bleibt da zurück, die Welt, die sich um den Körper baut, als wenn der Weg zum Glück über ein Verhältnis zum eigenen Aussehen gefunden werden könnte.

Ich möchte über Schönheit reden.

Dieses Mysterium, das nicht greifbar scheint und doch allgegenwärtig ist: Attraktivitätsforscher sagen, die Symmetrie im Gesicht und der goldene Schnitt bestimmen, ob ein Gesicht dem Schönheitsideal entspricht. Thomas von Aquin sagte, dass das Schöne das sei, was im Schauen gefalle. Schiller meint, dass nur der letzte Wanderer, der unaufgefordert, obwohl es auf seine Kosten geht, der ganz sich selbst Vergessende, »seine Pflicht mit einer Leichtigkeit erfüllt, als wenn bloß der Instinkt aus ihm gehandelt hätte«, dass nur der letzte Wanderer, die moralische und damit eine schöne Handlung ausführt. Ich habe einen Appell an Dich! Versuch’ mal, dich schätzen zu lernen. Versuch’ mal, das Äußere auszublenden. Überleg’ mal, warum du lieber aussehen möchtest, wie die Person da drüben. Versuch’ mal, dich weniger zu vergleichen.

Versuch’ mal, zu überlegen, warum du diese Person wegen ihres Aussehens ablehnst.

Vielleicht auch, was das für Folgen für die abgelehnte Person hat. Versuch’ mal, dein Schubladendenken zu überdenken. Überleg’ mal, ob das, wonach du strebst, dem Druck der Gesellschaft folgt und ob du dein Eigenes finden möchtest.

Du denkst vielleicht, du wärst nicht genug, weil in den Zeitschriften die Perfektion ruht.

Weil die Welt dir Bilder malt, die (wie?) sie mit all der Schönheit prahlt. Denk’ mal drüber nach.

Zur Autorin: Wilma Rieckhoff ist Schülerin der Rudolf-Steiner-Schule Lüneburg und hat im Rahmen ihrer Zwölftklass-Arbeit diesen Poetry-Slam geschrieben und vorgetragen.

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