Trieb

Henni-Lisette Busch

»Sie sieht genauso aus, wie damals das Mädchen. Das gleiche, unschuldige Gesicht. Die gleiche Naivität dem widerlichen Leben gegenüber.«

Aus einer Ecke her, von den zuckenden Lichtern nicht erfasst, ein Beobachter. Abartige Lust funkelt in seinen Augen, die wieder das Mädchen erhaschen.

»Ich weiß noch, wie wunderschön das Mädchen von damals in ihrer Todesangst aussah, in mir ihren Peiniger und Retter sah – das dumme, kleine Mädchen.«

Diese geschmeidigen Bewegungen, nackte Haut, schweißnasse Strähnen im wohlgeformten Gesicht

– Jugend und Versuchung.

»Ich will es nochmal. Ich will nochmal die Macht spüren.«

Er drängt sich durch die pulsierende Menge, starrt sie an, leckt sich den Schweiß von den Lippen, starrt sie an. Seine trüben, runden Augen – voller abartiger Sehnsucht, lechzend.

»Wie leicht es wäre, wie leicht es schon mal war.«

Sie lächelt ihren Freunden zu, wirft ihr Haar zurück. Erster Blickkontakt. Sie lächelt noch immer und lässt sich von der Atmosphäre durchströmen.

»Welch Vergnügen diese arglosen Dinger gefügsam zu machen, während ihre treuherzigen Augen mich als ihren Erlöser anbetteln und als ihren Schinder verfluchen.«

Er greift in seine Tasche und holt sie heraus – vor wenigen Tagen legal erworben. Seine Lippen zittern, er tanzt sie an, berührt sie flüchtig und empfindet Lust, Gier – ein abartiges Drängen. Er lächelt sie an – charmant, lockend.

»Sie sieht genauso aus, wie damals das Mädchen. Weckt die gleiche Geilheit in Männern.«

Sie tanzt mit ihm. Die Bässe treiben sie in eine rhythmische Einheit. Schweiß läuft, Lust, Freude. Sie sucht ihre Freunde in der Menge – ein Moment der Unaufmerksamkeit! Er nutzt die Sekunden und tropft sie in ihr Glas – nur wenige Ko-Tropfen werden reichen. Sie greift zum Getränk und die wohltuende Nässe rinnt ihre Kehle hinab...

»Ja! Schluck nur! Du hast nichts anderes verdient, du minderwertiges, kleines, süßes Mädchen.«

Er lächelt, grinst sie an, sieht das Fleisch an ihr. Sie gerät in einen Strudel ... Bässe ... Lichter ... zwei trübe, runde Augen. Zwei Körper – einer von ihnen unschuldig.

»Sie sieht genauso aus, wie damals das Mädchen, nachdem ich mit ihr fertig war. Genauso wie sie

– meine erste.«

Weiter will sie sich noch nicht erinnern. Fühlt keinen Schmerz, keine Pein, keine Qual. Ist zu verzehrt für Rache, zu ausgelaugt um zu vertrauen, zu verletzt, um zu lieben.

Er lebt weiter. Kommt für fünf Jahre ins Gefängnis, wird entlassen – der Staat bestrafte. Er lebt weiter. Der Gefängnisaufenthalt konnte ihm seinen Trieb nicht nehmen. Er lebt weiter – wie zuvor.

Zur Autorin: Henni-Lisette Busch besucht die Waldorfschule Rostock.