Volontär oder Voluntourist?

Von Daria Bertram, April 2018

Freiwilligendienst in Südafrika – ein Zwischenbericht.

Die Lieblingsbeschäftigung der Kinder – Haare frisieren und kuscheln.

Ein Raum im Kindergarten.

Als ich im Sommer letzten Jahres gemeinsam mit 50 weiteren Freiwilligen ins Flugzeug stieg, war meine Vorfreude auf das mir bevorstehende Jahr groß.

Ich war gespannt, was mich erwarten würde, wo ich wohnen, wie die Arbeit würde – Fragen, auf die ich zwar von meiner Organisation schon erste Antworten bekommen hatte, doch ein konkretes Bild konnte ich mir noch nicht machen.

Allein die Fahrt vom Flughafen in unsere endgültige Unterkunft ließ uns schlucken. Wir fuhren das erste Mal durch Townships und Wellblechhüttensiedlungen und ein ziemlich hartnäckiger Gedanke fing an, sich einzunisten: »Was bitte tue ich hier?«

Die ersten Tage verbrachte ich damit, die neuen Eindrücke zu sortieren, und Fragen über Fragen häuften sich: Warum sieht man nie schwarze und weiße Menschen zusammen? Wie können die wohlhabenden Menschen aus der Stadt, die eine Autostunde entfernt liegt, ruhig schlafen, wenn sie wissen, dass die Menschen im Township hungern? Und: Wie kann ich an solch einem hoffnungslosen Ort überhaupt helfen?

Ich musste viel Energie aufbringen, dass meine Motivation nicht verflog, denn naiv wie ich war, dachte ich, ich könnte in diesem Jahr die Welt verbessern … oder zumindest einen kleinen Beitrag zur Beseitigung der Armut leisten.

In den Kindergärten von Borolelo

Das Projekt, in dem ich arbeite, wird im Rahmen des entwicklungspolitischen Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Ich arbeite mit einer anderen Freiwilligen zusammen in zwei unterschiedlichen Kindergärten, betreue den Youth Club für Schulkinder, organisiere wöchentlich einen Clothes Shop und koche jeden Freitag für Kinder, die weder in den Kindergarten, noch in die Schule gehen. Wenn man durch Borolelo geht, das ist das Township, in dem wir arbeiten, würde man am liebsten an jede einzelne Wellblechhütte klopfen und den Menschen mit Essens- oder Geldspenden helfen. Aber von Anfang an war uns klar, dass wir hier sind, um unsere Projekte zu unterstützen und dort zu arbeiten.

Wir müssen uns darauf konzentrieren und die Energie und Mittel, die wir haben, dafür aufwenden und uns, so hart es klingt, nicht von den restlichen Umständen beeinflussen lassen, sonst hält man das nicht aus.

Es fällt schwer, mit den wenigen Materialien, die uns für die Kinder zur Verfügung stehen, Aufgaben zu finden, die abwechslungsreich und vor allen Dingen trotz der Sprachbarriere umsetzbar sind. Mit Englisch kommen wir bei den Kindern nicht weit, in Borolelo wird Setswana gesprochen. Während wir die Vormittage meistens alleine mit den Kindern verbringen, halten sich die Erzieherinnen im Hintergrund. Um die Mittagszeit geht es dann anders zu: Wir helfen bei der Ausgabe des Mittagessens und man merkt, dass es ein sehr heikles Thema ist. Uns wird von den Köchinnen und Erzieherinnen streng über die Schulter geschaut, wenn wir die Teller der Kinder füllen: Ja nicht zu viel oder zu wenig ausgeben, nichts verschütten oder gar fallenlassen! Es gibt meistens Mais- oder Reisbrei, an besonderen Tagen Fleisch dazu, ansonsten Bohnen oder Kartoffeln.

Wenn die Kinder mit dem Essen fertig sind, dürfen wir uns etwas nehmen. Es gab auch schon einige unangenehme Momente, weil ich zum einen das Gefühl hatte, den Kindern das ohnehin schon knappe Essen wegzunehmen, zum anderen, weil meine Projektpartnerin und ich beide Vegetarierinnen sind und es schwer zu erklären ist, dass man kein Fleisch isst, während die Menschen in Borolelo dankbar für jegliche Speise sind, die sie bekommen. Es sind so unterschiedliche Gefühle, die sich in einem abspielen, denn die für uns völlig fremden Umstände sind hier Normalität. Die Erzieherinnen erzählen unberührt von Kindern, die ihre Mütter verloren haben oder dass viele Kinder geschlagen werden. Ich glaube, sie können gar nicht nachvollziehen, dass das jemanden beschäftigen könnte, weil sowas eben zum Alltag gehört. Fast alle Kinder in den Kindergärten haben Narben, tragen Kleidung, die mit Löchern übersät ist, oder haben schwarze Zähne und niemand wundert sich darüber oder ist besorgt.

Während solche Zustände offensichtlich sind, erfährt man nach und nach auch Dinge, die sich hinter verschlossenen Türen abspielen. Eine Erzieherin aus unserem Kindergarten tauchte eines Morgens nicht auf, wir waren allein mit den Kindern und wollten deshalb wissen, ob wir noch mit ihr rechnen dürften. Die anderen Erzieherinnen wichen uns aus, erst später wurden wir eingeweiht: Ihr Mann sei nach Hause gekommen, trotz polizeilicher Anweisung, von ihr und ihren Kindern fern zu bleiben, und habe sie so stark mit einem Stein geschlagen, dass sie im Krankenhaus liege. Einige Wochen später erzählte uns die gleiche Erzieherin, dass sie schwanger sei – von dem Mann, der sie fast getötet hatte.

Wenn ich daran denke, dass solche Geschichten kein Einzelfall in Borolelo sind, kann ich das Verhalten der Kinder nachvollziehen: Sie schlagen, treten, beißen. Gewalt ist Normalität. Wie soll man auch verstehen, dass man Probleme auf andere Weise lösen kann, wenn man es nicht anders von den Eltern vorgelebt bekommt?

Südafrika ist ein wunderschönes Land, die Gelegenheit, das festzustellen, habe ich bei einigen Ausflügen bekommen – fast so etwas wie eine Flucht in die Natur, die oft unberührt und wild erscheint. Es hilft einem, von den niederdrückenden Erlebnissen Abstand zu nehmen. Aber es hat viel Zeit gebraucht, das akzeptieren zu können. Ich habe mich schuldig gefühlt, weil ich mich von den Verhältnissen abgrenzte, denn ich war doch hergekommen, um damit konfrontiert zu werden und etwas zu ändern. Es ist schwer zu verstehen, dass man nur Gutes tun kann, wenn es einem selber gut geht und man mit sich im Reinen ist. Es hilft hier niemandem, wenn ich selber deprimiert und verzagt bin.

Projekt zur Abschaffung des Rassismus

Ein anderes großes Kapitel in Südafrika ist der Rassismus. Die Apartheid liegt inzwischen über zwanzig Jahre zurück, aber noch heute kann man viele Überreste dieser schrecklichen Zeit erkennen. Allein die Tatsache, dass die Townships ausschließlich von dunkelhäutigen Menschen bewohnt sind, zeigt, dass die Unterschiede zwischen weiß und schwarz nach wie vor sehr groß sind. Dadurch, dass unsere Gasteltern weiße Südafrikaner sind, bekommen wir einen Einblick in beide Gruppen der Bevölkerung. Es ist häufig vorgekommen, dass wir mit rassistischen Kommentaren und Meinungen konfrontiert worden sind, sowohl seitens weißer als auch schwarzer Menschen – ich muss anmerken, dass es mich selbst stört, ständig diesen Unterschied hervorzuheben, aber das ist hier ebenfalls Alltag.

Eine Konversation werde ich allerdings nie vergessen: Ein junger Farmer versuchte, mir klar zu machen, dass dunkelhäutige Leute keine Menschen seien. Er habe sogar einen Beweis für diese gewagte Theorie: Schwarze hätten drei Hautschichten anstelle von einer, so wie das bei normalen Menschen der Fall sei. Daraus ließe sich schließen, dass sie Affen seien. Wenn ich ehrlich bin, musste ich in dem Moment, als ich das hörte, fast anfangen zu lachen. Ein erwachsener Mann, der so etwas behauptet und völlig überzeugt ist … wer ist hier bitte nicht normal? Was veranlasst Menschen dazu, so zu denken? Unwissen, Ignoranz und fehlende Bildung sind, glaube ich, hier ein großes Problem. Die junge weiße Generation wird in dem Gebiet, wo ich lebe, darauf vorbereitet, die Farmen der älteren Generation zu übernehmen. Schulbildung ist da eher zweitrangig. Ansichten, Vorurteile und Hass werden weitergegeben, genauso wie europäische Nachnamen oder die helle Haut. Es ging den Weißen besser, als die Apartheid herrschte und viele verstehen heute noch nicht, warum sie ihre Standards aufgeben mussten.

Wenn meine Projektpartnerin und ich uns in Gesellschaft von Farmern aufhalten, werden wir überrascht gemustert, wenn wir erzählen, dass wir im Township arbeiten. Wir werden gewarnt, kopfschüttelnd wird uns über die Gewohnheiten der Menschen erzählt, dabei waren die meisten Farmer selber noch nie im Township, höchstens vielleicht um Feldarbeiter anzuheuern. Warum wir denn den Schwarzen helfen würden? Warum wir uns selber in Gefahr bringen würden?

Dennoch bin ich froh, dass wir einen Einblick in beide Gruppen der südafrikanischen Bevölkerung bekommen. Und jetzt verstehe ich auch immer mehr, inwiefern wir, als Freiwillige, wirklich helfen können: Wir sind ein kleiner Teil eines großen Projekts, eines Projekts zur Beseitigung des Rassismus, denn in den 25 Jahren, in denen unsere Organisation in Südafrika tätig ist, hat sich doch einiges verändert. Während anfangs Kinder im Township schreiend vor Weißen wegrannten, sind wir heute fast so etwas wie kleine Stars im Kindergarten. Wir spielen, lernen, kuscheln, alles Dinge, die die Kinder von zu Hause nicht gewöhnt sind. Wenn all jene, die wir kennengelernt haben, verstehen, dass Weiße nicht böse sind, ist schon vieles getan und wenn man das auf 25 Jahre hochrechnet, dann hat schon in einigen Generationen ein Umdenken stattgefunden. Zusammenleben und -arbeiten ist möglich, das versuchen wir auch den Weißen vorzuleben.

Seitdem ich mich dafür entscheiden habe, einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren, bin ich auch auf viel Kritik gestoßen. Erst neulich habe ich einen Artikel gelesen, in dem es darum ging, dass junge Menschen die Möglichkeit missbrauchten, als »Voluntouristen« ein soziales Jahr zu machen, ihr Gewissen beruhigten und trotz der vorherrschenden Verhältnisse im Land, in dem sie arbeiten, hohe Standards forderten. Warum sollen immer jünger werdende, blauäugige Abiturienten ohne entsprechende Ausbildung in Ländern arbeiten, in denen Jobs ohnehin schon knapp sind? Könnten Einheimische nicht genauso gut die gleiche Stelle annehmen? Es ist hart mit solchen Aussagen konfrontiert zu werden, zumal sie auch in einem selbst auftauchen. Aber was ich verstanden habe: Es geht darum, was man aus diesem Jahr macht. Die anfängliche Frage »Was bitte tue ich hier?«, hat sich für mich dadurch beantwortet: Ich versuche zu helfen, wo immer es mir möglich ist. Auch wenn nicht alle Früchte unserer Arbeit jetzt schon reif am Baum hängen – das Projekt wird langfristig seine Ziele erreichen.

Aus diesem Grund würde ich die Entscheidung, die ich vor über einem Jahr gefällt habe, immer wieder treffen. Wenn ich wieder in Deutschland bin, werde ich mein Leben mit allen Privilegien, die ich genießen darf, mit anderen Augen sehen. Und inständig hoffe ich, dass ich meinen Mitmenschen ein bisschen von dieser Sichtweise abgeben kann. Denn ein Freiwilligendienst endet nicht mit Ankunft auf heimatlichem Boden!

Zur Autorin: Daria Bertram (20) kommt aus Stuttgart und absolviert zur Zeit einen Weltwärts-Freiwilligendienst in Südafrika.

www.dariagoesborolelo.wordpress.com

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