Wie Fremdes Gewohntes werden kann – und umgekehrt

Masha Ruppaner

Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Stadt am Bodensee. Hier kennt jeder jeden, was zur Folge hat, dass jeder über jeden fast alles weiß. Ich genoss es schon immer, aus dieser kleinen Welt heraus in eine neue, größere und spannendere Welt zu kommen. Meine Eltern unternahmen mit uns Kindern jeden Sommer eine Reise in ein uns bis dahin völlig unbekanntes Land. Das war einer der Grundsteine für mein Interesse, fremde Länder und ihre Kulturen kennenzulernen. Ich besuchte bis zu meinem Schulabschluss die Waldorfschule in Ravensburg. Das bedeutete einen ersten Schritt in die Selbstständigkeit, denn ich musste als kleines Mädchen eine Stunde allein mit Bus und Zug in eine Stadt fahren, in der ich zu Beginn niemanden wirklich kannte.

In den verschiedenen Praktika, die ich zum Teil auch im Ausland absolvierte, wurde mir immer mehr bewusst, dass ich mich daheim in Deutschland nicht so wohl fühlte wie in einem anderen Land. Mir ist klar, dass das natürlich auch daran liegen kann, dass in der Fremde alles neu und aufregend ist.

Reise in eine neue Welt und warum es danach komisch war

Als ich 15 war, reisten wir nach Namibia. Für mich war es das reinste Abenteuer und ein einprägsames Erlebnis. Ich hatte von Afrika zuvor nur im Geographieunterricht gehört und in Büchern gelesen. Als der Flieger aus dem verschneiten und kalten Deutschland endlich im warmen und sonnigen Namibia landete, war es, als würde ein Traum in Erfüllung gehen. Die Weite der Steppe und ihre Stille waren bewegend. Auf unserer Reise lernten wir viele deutsche Farmer kennen, die in dritter oder vierter Generation dort beheimatet waren. Ich fing an, mich für die Geschichte und die vielfältige Bevölkerung dieses Kontinents zu interessieren und wollte mehr darüber erfahren, was es mit der Apartheid und den damit zusammenhängenden Schicksalen der Menschen auf sich hat.

Zurück in Deutschland war alles irgendwie komisch. Feste enge Strukturen, begrenzte Flächen und die europäische Reserviertheit gaben mir das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Ein afrikanisches Sprichwort besagt »Die Europäer haben die Uhr, wir haben die Zeit« – nun verstand ich, was damit gemeint war.

Abitur in der Tasche und was nun?

Während des letzten Schuljahrs war für mich klar, dass ich unbedingt nach dem Abschluss ins Ausland gehen wollte. Durch meine Schule und meine Eltern kam ich an die »Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners« und deren Freiwilligenprogramm. Ich bewarb mich und einen Monat nach meinem Schulabschluss saß ich in einem Flieger in Richtung Kapstadt. Ich lebte ein Jahr lang in einem Township bei Kapstadt in einer neunköpfigen Familie. Mein Arbeitsplatz war eine Vorschulklasse an der Waldorfschule vor Ort. In meiner Familie lernte ich den Alltag in einem Township kennen. Ich musste mich an völlig neue Regeln halten. Dazu gehörte zum Beispiel, die ersten zwei Monate nicht ohne ein Familienmitglied vor die Türe zu gehen oder nicht mit meinen Kopfhörern auf offener Straße herumzulaufen, was in Deutschland für mich völlig normal war. Auch musste ich lernen, meine Umgebung genauer wahrzunehmen: Wer läuft hinter mir? Wer kommt mir entgegen oder warum steht dort eine Gruppe von Menschen? Die ersten Monate war ich sehr aufmerksam. Je länger ich allerdings in diesem Umfeld lebte, umso mehr musste ich aufpassen, nicht leichtsinnig zu werden.

Aus meinem neuen Leben zurück in das alte

Ich hatte viele beeindruckende Begegnungen mit Menschen, deren Geschichten und Schicksale mich sehr berührten. Und trotzdem sahen sie in alldem, was sie erlebt hatten und noch erleben werden, das Positive. Sie verloren nie den Stolz und nicht die Kraft, für ihre Familie da zu sein. Noch oft denke ich an diese Gespräche und dann kommen mir meine Probleme ganz klein vor.

Zurück in Deutschland wurde mir nach kurzer Zeit bewusst, dass es mir schwerfallen würde, mich an mein altes deutsches Leben zu gewöhnen. Mein Auslandsjahr in Kapstadt hatte mich doch mehr verändert, als ich gedacht hatte. Die Sorgen um Wasser, Strom oder Lebensmittel, wie sie viele Menschen in Südafrika beschäftigten, kannten meine Freunde in Deutschland nicht. Bei unseren Gesprächen ging es viel mehr darum, welchen Lifestyle man aktuell lebt, ob und wie lange man sich noch vegan ernähren möchte, welche Allergie man seit neuestem hat oder welches Konzert man unbedingt hören sollte. Ich kam mir fehl am Platz vor. Es fiel mir schwer, einen Bezug zu den hiesigen Themen und Problemen herzustellen. Da ich immer die Probleme und Schicksale meiner Freunde in Südafrika im Hinterkopf hatte, kamen mir diese »Erste-Welt-Probleme« seltsam belanglos vor. Ich lernte, kleine Dinge, die mir vor meinem Auslandsjahr völlig normal erschienen waren, nun viel mehr zu schätzen. Ein Kühlschrank, gefüllt mit verschiedenen Lebensmittel, heißes und kaltes Wasser zu jeder Tageszeit, Strom, der immer da ist, eine Spülmaschine und Gott sei Dank keine nervigen Sandflöhe mehr, obwohl ich mich schon so an sie gewöhnt hatte.

Doch nicht bei den Delfinen gelandet

Seit Oktober 2017 studiere ich an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg den Studiengang BWL mit Medien-, Unternehmens- & Wirtschaftskommunikation und Journalismus. In meinen Praxisphasen arbeite ich bei den »Freunden der Erziehungskunst« in Karlsruhe. Wie man sieht, bin ich nicht wirklich bei den Delfinen gelandet. Aber so ist es eben im Leben. Dinge, die sicher schienen, können sich mit der Zeit ändern und man selbst bemerkt es noch nicht einmal.