Junge Waldorfphilharmonie

Cornelius Möhle

Die JWPS, auf den ersten Blick ein ganz normales Jugendorchester von rund 70 Mitgliedern, wird ausschließlich von Schülern organisiert. Dies macht sie deutschlandweit zu einem einzigartigen Projekt, dessen Weiterführung in jedem Jahr aufs Neue von der Bereitschaft jedes einzelnen Schülers im Organisationsteam abhängt, neben der Schule Zeit und Kraft für die Vorbereitungen zum nächsten Projekt aufzubringen. Entstanden ist die JWPS aus der Zwölftklassarbeit eines ehemaligen Schülers der Freien Waldorfschule auf den Fildern in Filderstadt.

Zehn Tage wohnen und arbeiten die Orchesterteilnehmer und etwa zehn Mitglieder des Organisationsteams in der Waldorf­schule. Während die jungen Musiker noch die letzten Minuten der Nacht in ihren Schlafsäcken verbringen, werkelt das Organisationsteam bereits in der Küche. Um 8 Uhr ist das Frühstück fertig, um 9.30 Uhr beginnt die Probe, in den ersten Tagen nach Stimmgruppen getrennt, mit Profi-Musikern aus verschiedensten Orchestern, zum Beispiel dem Radio-Symphonie-Orchester Stuttgart, danach mit dem Dirigenten Patrick Strub. Nach dem Mittagsmahl, das der Schulkoch Matthias Bauersachs mit dem Organisationsteam für uns zubereitet hat, bleibt den Teilnehmern Zeit für Kammermusik, sportliche Aktivitäten oder auch ein Nickerchen, um verpassten Schlaf nachzuholen. Um 15 Uhr startet die nächste Probeneinheit unter der Leitung von Patrick Strub, der das Christophorus-Sinfonie-Orchester, das Arcata-Kammer­orchester und verschiedene Orchester im In- und Ausland dirigiert. Mit viel Humor fordert er von jedem Einzelnen Leistung ein. Dabei legt er besonderen Wert auf das Verständnis dessen, was man spielt, sowohl im orchestralen, als auch im geschichtlichen Zusammenhang eines Komponisten. Wenn auch der Letzte akzeptiert hat, beim Spielen gerade zu sitzen und den ganzen Bogen zu nutzen, staune ich jedes Jahr wieder, wie viel Klang Herr Strub aus dem Orchester zaubert. Es sind Momente, die ich in vollen Zügen genieße. Gerüstet mit diesem Ergebnis, konzertieren wir in jedem Jahr an verschiedenen Waldorfschulen und abschließend vor knapp 2.000 Zuschauern in der Liederhalle in Stuttgart.

Nach dem Abendessen, wenn der Eine oder Andere noch schnell ein paar Stellen üben geht, da er vielleicht festgestellt hat, dass er in der Vorbereitung etwas nachlässig war, bereitet das Organisationsteam ein buntes Abendprogramm für alle vor. Dies reicht wahlweise von einer »Bad taste-Party« über Schwimmbadbesuche und Filmevents bis zum Ball- oder Casinoabend.

Nach dem gemeinsamen Vergnügen heißt es um 23 Uhr »Bettzeit für alle«. Und hier zeigt sich exemplarisch eine weitere Besonderheit der JWPS – der Umgang miteinander. Denn auf welcher anderen Klassen- oder Orchesterreise würde sich ein 19- oder 22-Jähriger von einem 15-Jährigen ins Bett schicken lassen? Während in anderen Jugendorchestern um diese Uhrzeit die Bierdosen und Wodkaflaschen kreisen, sucht hier jeder den Klassenraum auf, in dem er schläft.

Es mag gänzlich unglaublich klingen, dass eine Veranstaltung mit rund 80 Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren über mehrere Tage ganz ohne Alkohol auskommt. In den letzten vier Jahren meiner Teilnahme ist kein einziger Tropfen geflossen. Hieraus hat sich eine Haltung entwickelt, die in jedem Jahr von denen, die bereits früher teilgenommen haben, an die »Neuen« weitergereicht wird.

Ich wünsche mir, dass dieses Projekt auch weiterhin von unseren Lehrern unterstützt wird und sich an allen Schulen Begeisterte finden, die Lust zum Musizieren haben oder solch eine Tagung mit viel Spaß und einem tollen Team mitorganisieren wollen. Mir haben die zehn Tage auf den Fildern die Motivation für die Schule zurückgegeben, und ich bereue es nicht, dass ich eine Woche Abivorbereitung nachzuholen hatte.

Zum Autor: Cornelius Möhle (19) besucht die 13. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule Nordheide in Kakenstorf

Link: www.orchester.waldorfschueler.de