Schulbauten – schön und dauerhaft

Arno Lederer

Goethe schrieb kurze Zeit nach der Einweihung (1825) seinem Dienstherrn, Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach: »Das Gebäude bewirkt schon selbst Kultur, wenn man es von außen ansieht und hineintritt. Die rohsten Kinder, die solche Treppen auf- und abgehen, durch solche Vorräume durchlaufen, in solchen heiteren Sälen Unterricht empfangen, sind schon auf der Stelle aller düstern Dummheit entrückt und sie können einer heitern Tätigkeit ungehindert entgegengehen.«

Mir ist keine bessere Formulierung bekannt, die so eindrücklich aussagt, was das eigentliche Ziel von Schulbauplanung ist. Dieser Satz legt geradezu bildhaft den Finger in die Wunde heutiger Schulbauplanungen. Übrigens steht die Schule in Weimar heute noch fast genauso da, wie sie Coudray gezeichnet hat, Veränderungen sind kaum auszumachen. Die Schule erreichten die Kinder aus der Stadt zu Fuß, alle wichtigen Gebäude – Kirchen, Schloss, Rathaus – lagen im näheren Umkreis, ebenso Handwerksbetriebe, Ladengeschäfte, das Theater und die Bürgerhäuser. Der Schulweg war so ein Teil der Bildung, ein Umstand, den der Gehirnforscher Gerald Hüther als beispielhaft bezeichnen würde. Die Vielfältigkeit des städtischen Lebens sei, so hörte ich Hüther auf einer pädagogischen Tagung in Hamburg 2007, für die geistige Entwicklung des Kindes in mehrfacher Hinsicht von Vorteil: Durch die Komplexität der Umgebung, die Vielschichtigkeit der Erfahrungen, die Konfrontation mit Neuem und Vertrautem entwickle sich das Gehirn vielfältiger vernetzt als in Situationen, in denen das nicht der Fall ist. Damit erteilt er Standorten von Schulen schlechte Noten, wie wir sie bei uns vorwiegend in den 1960er und 1970er Jahren, als Folge der Pichtschen Bildungsreform, gewählt haben: an den Rändern der Städte. Dass im Allgemeinen die Schulen des 19. Jahrhunderts als Kasernen bezeichnet werden, hängt mit der Rekrutierung von Lehrern aus dem Militär zusammen. Es scheint naheliegend, deshalb die Architektur mit diesem Umstand in Verbindung zu bringen. Allerdings muss man bei genauem Hinsehen den Schulgebäuden zugestehen, dass sie teilweise mit großer Sorgfalt und einem nicht geringen Anteil an baulichem Schmuck errichtet wurden. Dies trifft im Übrigen auch für die damaligen Kasernen zu, die, wie wir heute konstatieren, aus diesem Grund einen Platz in den Denkmallisten finden.

Fast für die Ewigkeit gebaut: Schulhäuser anno 1920

Bis in die 1920er Jahre entspricht die Typologie von Schulbauten weitgehend der der Bürgerschule von Weimar. Ihre bauliche und ästhetische Qualität ist beachtlich. Dass in ihren Räumen viel zu viele Schüler untergebracht wurden, ist nicht der Architektur anzulasten, sondern den pädagogischen Umständen.

Wobei sich die Frage stellt, ob Architektur und pädagogische Bedürfnisse Hand in Hand gehen müssen, ob der Raum auf die jeweilige Pädagogik zugeschnitten sein muss oder ob das Schulhaus für sich eine architektonische Qualität haben sollte, die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlichen pädagogischen Modellen dienen kann. Das ist im Übrigen nicht zuletzt auch eine ökonomische und ökologische, aber eben auch eine kulturelle Frage. Wenn ich an die beiden Schulgebäude zurückdenke, die ich selbst besuchen durfte, dann sind sie beide Bürgerschulen im Sinne der Coudray-Goetheschen Überlegungen. Die Grundschule, 1908 errichtet, rühmt sich heute im Internet, ein Gebäude im Jugendstil zu nutzen. Das Gymnasium, Folge eines Wettbewerbs aus dem Jahr 1912, ist mit einer Sorgfalt gebaut, die heute noch beispielhaft ist und mit den heutigen Budgets nicht hätte errichtet werden können. Haustüren aus Eiche, Wandverkleidungen mit farbigen Fliesen und gerundete Leibungen an den Türöffnungen – nichts davon wäre unter den heutigen finanziellen Bedingungen umsetzbar. Offensichtlich war es der damaligen Gesellschaft wichtig, die bürger­lichen Werte, insbesondere die Bildung, auch in der Architektur zum Ausdruck zu bringen. So hatte man zum Beispiel in meinem Gymnasium noch Bildhauer bezahlt, die die Büsten von Humboldt, Goethe und Homer in der Eingangsfassade verewigten.

Vorbild Crow Island Schule, Illinois

Mit der Carl Johan Schule in Göteborg (1915-1924) beschloss Gunnar Asplund den Reigen der großen Epoche des Schulbaus mit den feinen Details. Bereits wenige Jahre später begann Johannes Duiker mit dem Entwurf der Freiluftschule in Amsterdam (1927-1930). Dort beruhte, wie man der Beschreibung Duikers entnehmen kann, die räumliche Idee nicht auf pädagogischen Grundlagen, sondern zuerst auf dem Gedanken, die hygienischen Zustände in Schulen zu verbessern. Eine ideale Verbindung von Bildung und gesundheitlichen Aspekten gelang Eliel Saarinen und seiner Frau Lily Swann in der Crow Island School in Winnetka, IIlinois (1939-1940). Die Architekten verließen den klassischen Zuschnitt von Klassenräumen und zeichneten winkelförmige Grundrisse, die sie wie Reihenhäuser aneinander reihten. Auf der einen Seite an einem langen Flur liegend, öffnen sich die Räume zu einer geschützten Terrasse und zum gemeinsamen Grünbereich. Der Zuschnitt der Räume gestattet unterschiedliche Unterrichtsformen wie auch die Unterteilung in Groß- und Kleingruppen. Die Fenster sind mehrfach geteilt, um einen bergenden und dennoch transparenten Charakter zu erhalten. Die Brüstungen sind niedrig, um einen freien Durchblick auch für kleine Kinder zu erreichen. Der Flur, besser die innere Straße mit den Reihenhäusern, führt zu einem großen Eingangsfoyer, dem die großen Gemeinschaftsräume ähnlich zugeordnet sind, wie öffentliche Bauten einem Marktplatz. Noch einmal, wie in den eingangs besprochenen Bauten, wurden mit großer Sorgfalt bildhauerische Details entwickelt, aber auch die Möblierung – Stühle, Tische, Schränke oder Regale – wurde liebevoll gezeichnet und handwerklich ausgeführt.

Einen formal geradezu gegensätzlichen Ansatz, aber dennoch auf einer ähnlichen strukturellen Idee basierend, stellt der Entwurf für die Munkegård-Schule in Gentofte nahe Kopenhagen von Arne Jacobsen dar. Wenn man das Luftbild des 1952 bis 1956 gebauten Ensembles betrachtet, fällt der Schematismus auf, mit dem Flure, Klassenzimmer und Gemeinschaftsräume gestaltet wurden. Erst bei genauerer Betrachtung sieht man, dass sie – ganz ähnlich wie bei der Crow Island School – individuelle und doch miteinander verbundene Gruppen bilden und es sich um einen nahezu urbanen Gedanken, den der kleinen Stadt, handelte. Dass die Schule in ihrer tatsächlichen dreidimensionalen Erscheinung fast wie eine wohnliche und sehr schöne Reihenhaussiedlung aussieht, erstaunt selbst denjenigen, der im Lesen von Grundrissen geübt ist. Schließlich gehört in diese Reihe noch die Schule von Hans Scharoun, bei der man geneigt ist, sie formal in die Nähe von Waldorfschulen einzuordnen. Bei dem Gebäude des Geschwister Scholl Gesamtschule in Lünen (1956 -1962) hat er die Räume für die unterschiedlichen Altersgruppen individualisiert, was dem Gedanken der Waldorfschulen folgt.

Auch hier gleicht, formal wieder anders, die Grundidee dem großen Beispiel der Crow Island School. Wer sich heute mit den pädagogischen Anforderungen für Schulbauten beschäftigt, wird feststellen, wie aktuell die drei letzten Beispiele sind.

1960 und folgende: Kinderfeindliche Bildungsfabriken

Dass es seit den 1960er Jahren mit dem Schulbau steil bergab geht, erkennt wohl jeder, der sich mit den Bildungsfabriken jener Zeit auseinandersetzt. Es konnte nicht gut gehen, die Produktion von Schulgebäuden auf der einen Seite anzukurbeln, und auf der anderen Seite die Kosten für die neuen Gebäude durch Systembauweise, miserable Baumaterialien und zweitrangige Architektenleistungen auf ein Minimum zu senken. Darüber hinaus sah man, ähnlich wie im Klinikbau, ein hohes Einsparpotenzial in der Bildung großer Einheiten, die nun nicht mehr Schulhaus, sondern Schulzentrum genannt und auf billigem Grund außerhalb der städtischen Quartiere angelegt wurden.

Bemerkenswert ist auch, dass damals die Grundrissgestaltung einen wesentlichen Teil der architektonischen Arbeit einnahm. Man bediente sich bei deren Entwicklung wissenschaftlicher Untersuchungen und bestückte die entwerfenden Teams mit Spezialisten aus der Pädagogik – und man bezog die Nutzer ein. Gerade dieser Umstand führte zu Räumlichkeiten, die – ganz auf spezifische Nutzerbedürfnisse hin entwickelt – andere als die vorgesehene Nutzung nicht ermöglichten. Dass eine nachfolgende Lehrer- und Schülergeneration vollkommen andere Vorstellungen über die Verwendung und Gestalt von Räumen hat, ist ein Dilemma, das nicht nur damals zu Ergebnissen geführt hat, die für eine langfristige Nutzung untauglich sind. Die angeblich so funktionstüchtigen Grundrisse der in Teilbe­reichen fensterlosen Schulen sind das Zeugnis einer Gesellschaft, für die Bildung eher Last als Lust ist und die als Mahnmale einer kinderfeindlichen Politik bezeichnet werden können.

Der Mangel an Dauerhaftigkeit ebenso wie der Mangel an Neutralität der Räume ist also das wesentliche Merkmal des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit wurde darüber hinaus der Fehler begangen, den Qualitäten, die zuvor im Schulbau bestanden, aus ökonomischen Gründen eine Absage zu erteilen. Daran knabbern wir heute noch, auch wenn es zwischendurch immer wieder kleine respektable Leistungen gibt, die aber, wie die Schulen von Behnisch & Partner in Oppelsbohm (Mittelpunktschule, 1966-1969) und in Lorch (Progymnasium, 1972-1973) oder die partizipatorischen Modelle von Peter Hübner, Einzelfälle blieben.

Waldorfschulen: Oasen in der Bauwüste

Einzig die Schulen in privater Trägerschaft, wie zum Beispiel Waldorfschulen, haben – trotz enormer Sparzwänge – ein architektonisches Profil, das aber angesichts des großen Markts der öffentlichen Schulbauten, die etwa 93 Prozent des Bestands ausmachen, kaum Einfluss hat. Natürlich hat PISA auch im Schulbau wie eine Bombe eingeschlagen. Nach einer Studie, die mein früherer Lehrstuhl in Karlsruhe 2003 bis 2004 für die Wüstenrot Stiftung erstellt hat, lag unser Land hinsichtlich der Investitionen in den Schulbau im internationalen Vergleich damals an ähnlicher Stelle wie bei den pädagogischen Erfolgen – besser gesagt Misserfolgen. Der Blick in die Geschichte der Architektur zeigt, dass gute Gebäude, für welchen Zweck auch immer gebaut, sich durch materielle und ästhetische Dauerhaftigkeit und neutrale Nutzungsangebote auszeichnen. Es ist nur eine Frage der zur Verfügung stehenden Fläche, die für eine Schule mehr als ausreichend bemessen sein muss. Man kann auch mit kleinen Gruppen in einem großen Raum konzentriert arbeiten, wenn dieser umfassend gut gestaltet ist. Man kann, wenn es sich um einen schönen Bau handelt, auch in einem alten Bahnhof, in einem Schloss oder einer Fabrik unterrichten, wenn der Raum dafür ausreicht.

Würde man neue Schulhäuser alleine auf die Pädagogik ausrichten, die wir heute für richtig befinden, wäre das Gebäude bald untauglich und müsste umgebaut oder abgerissen werden. Die Qualität der Architektur ist im Übrigen wie jene der Literatur, der Musik oder der Bildenden Kunst ein Gradmesser dafür, was die jeweilige Gesellschaft unter Kultur versteht. Sie ist eine öffentliche Sache und nicht die Privatangelegenheit von einzelnen Lehrern, Schülern oder Schulgemeinschaften. Sie ist Teil der Stadt und Teil einer Gemeinschaft von Gebäuden, die unseren gemeinsamen öffentlichen Raum ausmachen. Und deshalb muss der Politik klar sein, dass die gestalterischen Qualitäten von Schulhäusern nicht nur beispielhaft sein müssen, sondern auch das kulturelle Wollen eines Landes zum Ausdruck bringen sollen. Geschmack ist, was das betrifft, überhaupt nicht Privatsache, sondern die Sache der Gemeinschaft. Sie ist eine res publica und gehört deshalb in die Verantwortung der Besten, die wir in diesem Lande haben. Und sie nötigt der Gemeinschaft den Willen ab, dafür die notwendigen Mittel bereitzustellen. Das miserable Ergebnis der Schulen aus den 1960er und 1970er Jahren, die heute entweder abgerissen oder mit einem erheblichen Aufwand saniert werden müssen, macht den Wert erst sichtbar, den Coudray und Goethe in Weimar umgesetzt haben. Deren Gebäude ist, wie gesagt, heute noch in Nutzung, und es spielt keine Rolle, ob es zehn, hundert oder zweihundert Jahre alt ist. Das muss die zeitgenössische Architektur erst einmal nachmachen.

Zum Autor: Arno Lederer ist Professor für Öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart.

Literatur: Brief vom 20. Juli 1826, zitiert in: Goethes Werke. 50 Bde. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. IV. Abteilung: Goethes Briefe. Weimar, 1887-1912.