Quer durch die Welt. Die Jugend-Eurythmie-Truppe San Francisco

David Weber

Die Schüler machen begeistert Eurythmie. In ihrem Wahlkurs geht der Unterricht weit über das Übliche hinaus. Rund 25 Schüler aus den Klassen 10 bis 12 treffen sich drei- bis viermal pro Woche von September bis Januar, um ein ganzes Bühnenprogramm zu erarbeiten. Für jeden Programmteil entwickelt Astrid Thiersch die Choreographie und die Kostüme. Die Schüler helfen bei der Spendenakquisition, die Eltern bei den Flugkosten. Ein typisches Programm enthält ein großes Musikstück, wie zum Beispiel eine Sonate von Beethoven oder eine Opernouvertüre, ein Märchen in voller Länge, einen Spruch oder eine Form Rudolf Steiners, kleinere Stücke für Trios, Duos oder Solos, Humoresken und ein Finale. Die jährlichen Aufführungen sind ein Höhepunkt des Schullebens der Waldorfschule in San Francisco und ziehen viele Liebhaber der Eurythmie an. An vielen weiteren Orten in den USA sowie in Deutschland, der Schweiz, Italien, Frankreich, Holland, Belgien, Ägypten, Japan, China, Taiwan, Neuseeland und Thailand ist die Truppe aufgetreten.

Eurythmie ohne Grenzen

Diese jährlichen Aufführungen hat Astrid Thiersch 1995 ins Leben gerufen. 1999 erhielt die Truppe eine Einladung zur Sonnenfinsternis-Konferenz in Stuttgart. Auf dem Weg dorthin führte sie ihr Programm am Goetheanum in Dornach auf. Den Höhepunkt dieser Tournee bildete Beethovens

9. Sinfonie in der Stuttgarter Liederhalle: Die Eurythmietruppe stellte den Anfang des letzten Satzes dar. Aus dieser Tournee gewannen wir zwei Erkenntnisse: dass die Zuschauer begeistert von Jugendeurythmie sind und dass junge Menschen aus unterschiedlichen Ländern gerne kulturelle Unterschiede erforschen und etwas entdecken, was sie miteinander verbindet. Daraus entstand der Impuls, die Welt zu bereisen – nicht als Touristen, sondern um mit dem Funken der Eurythmie neue Aktivitäten in Gang zu setzen.

Unser erster Asienbesuch führte uns 2006 nach Japan. Die Waldorfschule in Tokyo war auf zehn Klassenstufen angewachsen, die Lehrer waren begeistert, dass sie amerikanische Schüler beherbergen durften. In Fujimo gibt es eine vollausgebaute Oberstufe und die ganze Schulgemeinschaft war bei unserer Aufführung dabei. Wir erlebten in Japan eine große Aufnahmebereitschaft für die Eurythmie – sie scheint sich gut in die kulturelle Tradition sakraler Bewegung einzufügen, die Menschen lieben ihre Anmut und Schönheit. Ähnliches erlebten wir später in Asien wieder – es gibt keine kulturelle Kluft bei der Wertschätzung der Eurythmie.

2008 waren wir nach Sekem in Ägypten eingeladen. Ibrahim Abouleish hat hier ein Wunder bewirkt: 80 Hektar Wüste wurden in ein baumbeschattetes biodynamisches Paradies verwandelt; die dortige Schule besuchen mehr als dreihundert Kinder. Wir führten für die Gemeinschaft in Heliopolis auf und für Schüler und Mitarbeiter der Schule. Das Programm enthielt Texte von Echnaton, Rumi und Kalil Gibran, Musik aus »Aida« und das Märchen »Prinzessin Sinhold« von Michael Bauer, das von einer Prinzessin in einem wüsten Land erzählt. Abouleish meinte, das Märchen enthalte seine Vision von Sekem und er sei beglückt, dass die Eurythmie sie zum Leben erweckt haben.

Unsere Schüler genossen die Begegnung mit ihren ägyp­tischen Altersgenossen. Während sie zusammen aßen, Bäume pflanzten, Fußball spielten, Musik austauschten und in der Wüste herumwanderten, wurden Freundschaften geschlossen und kulturelle Differenzen schwanden dahin. Indem wir die Eurythmie als Geschenk brachten, wurden wir zugleich von dieser wunderschönen Kultur inspiriert.

2009 luden uns Aban und Dilnawaz Bana aus Mumbai nach Indien ein. Wir präsentierten Gedichte von Tagore und Auszüge aus Texten von Gandhi und der »Bhagavad Gita«. Die Gemeinschaft von Tridha füllte ein ganzes Theater und Aban schrieb: »25 junge Eurythmisten bezauberten uns mit ihrer Anmut und Präzision. Der Zuschauerraum quoll von Erwachsenen und Kindern über und alle waren von der Schönheit der Eurythmie verzaubert.« In Udwada, einem Fischerdorf, das von Parsi bewohnt wird, begleitete uns die örtliche Musikgruppe zu unserer Aufführung im Freien. Wir hingen die Kostüme hinter einem Tuch zwischen Palmen auf und kletterten über eine kleine Leiter aus Metall zur Bühne hinauf. Die Magie der Eurythmie bezauberte alle und der Abend klang mit gemeinsamem Tanz aller Beteiligten aus. In Hyderabad traten wir in einem großen Theater im Rahmen der Feierlichkeiten zu Ehren Shiwas auf. Familien aus sechs Waldorfschulen waren dabei. Auch sie waren entzückt und interessierten sich sehr für unsere Schüler. Wir fühlten uns geehrt, dass wir an dieser wundervollen Arbeit in Indien teilhaben durften.

Auch China war eine Waldorf-Offenbarung: Die Schulen sprießen dort wie Pilze aus dem Boden. Die Eltern wissen, wie sehr das staatliche Schulsystem die Seelen hemmt und suchen nach Alternativen: »Wadofoo« gilt als die gesündeste Schulform. Zuerst traten wir in Peking auf, wo eine kleine Gruppe von heranwachsenden Schulen uns 700 Zuschauer bescherte. Astrid Thiersch führte Eurythmiegesten vor und ließ das ganze Publikum sie ausprobieren, was mit großem Genuss und unter vielerlei Kommentaren geschah. Wir erlebten diese freimütige Begeisterung auch bei der intensiven Aufführung der Schüler.

Die erste chinesische Waldorfschule steht in Chengdu. Als wir dort ankamen, hatte die Schule sechs Jahrgänge. Eltern, die an die Oberstufe dachten, wünschten unsere Schüler zu treffen, sie hatten viele Fragen, die unsere Schüler gerne beantworteten. Unsere Aufführung wurde von 700 Menschen besucht. Große Bewegung ging durch das Publikum als 25 Schüler in den starken Farben der Beethoven-Sonate auf die Bühne strömten. Die Schüler gaben ihr Bestes und der Saal wurde von Staunen ergriffen, als Wellen der Schönheit von der Bühne herunterwogten.

China ist reich an Kultur und Weisheit und offen für neue Menschen, Ideen und Erfahrungen. Ähnliches erlebten wir in Taiwan und Thailand. Lehrer und Eltern suchen ernsthaft nach der Weisheit des Menschen, die sich durch die Anthroposophie erschließt und verbinden die Pädagogik mit ihren eigenen reichen kulturellen Überlieferungen.

Samen der Zukunft

Auf jeder Tournee übernachten die Schüler bei Familien, tauchen in eine neue Kultur ein und schließen Freundschaften. Es ist ein Privileg, diese Waldorfgemeinschaften auf der ganzen Welt erleben und unser gemeinsames Menschsein mit den Lehrern, Schülern und Eltern erfahren zu dürfen. Jede Schulgemeinschaft hat ihren eigenen Charakter, aber jede versucht, menschliche Fähigkeiten für die Zukunft zu entwickeln. Dieses Bestreben ist für die Waldorfpädagogik grundlegend und die Eurythmie macht es besonders deutlich sichtbar. Die Eurythmie ist nicht nur sichtbare Sprache und sichtbarer Gesang, sondern auch sichtbare Anthroposophie – die Seelenkräfte der Schüler werden in ihrer schönsten Form offenbar. Die Eurythmie ist eine derart edle Erscheinungsform des menschlichen Geistes, dass sie uns auf eine höhere Stufe erhebt. Sie schenkt allen, die sie ausüben und erleben, Leben, Gesundheit und Wachstum. Sie wird in den künftigen Generationen weiter wachsen, die in ihr das Wirken des Geistes empfinden. Jedes Jahr werden die Schüler gebeten, ihre Erfahrungen niederzuschreiben. Hier zwei Beispiele:

»Eurythmie ist nicht etwas, was du ›tust‹. Die Eurythmie ist und es ist unser Privileg, sie für andere sichtbar zu machen. Sie wird nicht schön oder gut dargestellt, sondern sie ist die den Dingen innewohnende Schönheit und Güte. Sie kommt dem sichtbaren reinen Gefühl am nächsten. Du kannst es ebensowenig sehen, wie das Licht, aber du siehst, was durch das Licht erleuchtet wird … Es gibt nichts, was menschlicher wäre«.

»Die Eurythmie ist nur wahr, wenn der Künstler alles von sich in die Musik oder die Sprache hineinlegt. Wenn das Herz führt, dann wird der Körper ein reiner Verstärker für den Klang, der in der Bewegung aufblüht. Wenn ich eurythmisiere, habe ich das Gefühl, aufzuwachen, ich entdecke sie und lerne sie als etwas Neues, gleichzeitig habe ich das Gefühl sie schon immer gekannt, und immer schon gewusst zu haben, wie es geht …«

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Lorenzo Ravagli.

Zum Autor: David Weber ist Waldorflehrer und unterrichtet Geschichte in der Oberstufe sowie Musikgeschichte, Faust und leitet den Chor. Er ist in San Francisco und in China in der Lehrerausbildung tätig.

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