Lauter kleine Professoren

Johannes Roth

»Physik einfach und anschaulich erklärt – für Kleine und Große!«, verspricht der Pressetext, der das jüngst erschienene Kinderbuch zur (speziellen) Relativitätstheorie begleitet, das sich ausdrücklich an Kinder ab acht (!) Jahren richtet.

Zwar erinnert das große Format an Bilderbücher für die Kleinsten, doch lehrt schon das Inhaltsverzeichnis, dass hier auf kaum 50 Seiten mit sehr wenig Text tatsächlich der Parforce-Ritt durch eine Reihe von mehr als 20 Themen unternommen wird, z.B. Raum und Zeit, Bezugssysteme, Lichtgeschwindigkeit – bis hin zum »mathematischen Universum«. Dabei nimmt eine weißhaarige (Comic-)Großvaterfigur (sie heißt, wer wäre darauf gekommen, »Professor Albert«) eine androgyn anmutende Kindergestalt mit auf diese Gedankenreise, deren Proportionen bezeichnenderweise so sind, wie sie in keinem Lebensalter bei einem gesund entwickelten Menschen sein könnten: Arme, Beine und Rumpf verschwinden gegen den überdimensionierten Kopf …

Einige der Erklärungen und Beispiele sind durchaus gekonnt gewählt; im Ganzen kommt man aber schwer umhin, die Kinder zu bedauern, die auf solche Weise »gebildet« werden, und seien sie auch älter als acht Jahre: In den sich drängenden Abstraktionen (»Wir sehen immer in die Vergangenheit!«) und weitgehend lebensfremden Beispielen gibt es nicht einmal den Anhaltspunkt von konkret gewählten Orten, so wird eine Reise von A-Heim über B-Burg nach C-Hausen beschrieben. Geradezu rührend wird es, wenn am Ende als Anwendungsbeispiel der Speziellen Relativitätstheorie »im realen Leben« das verschwindende Elementarteilchen Myon gewählt wird; zu sehen ist ein Mondgesicht von 3 cm Durchmesser mit zwei dunklen Augen, aber ohne Mund, – ganz so, als könne jedes Kind ein solches jederzeit aus der Bettschublade greifen …

Wer fragt, weshalb wir solch einer Erscheinung hier überhaupt Beachtung schenken, bedenke, dass ein Buch wie dieses gleich in mehrfacher Hinsicht symptomatisch ist, zeigt es doch einerseits, wie ungebremst sich ein durch und durch reduktionistisches Welt- und Menschenbild schließlich auch der Kinderseelen bemächtigt, und andererseits, wie inzwischen jede Urteilsfähigkeit auf dem weiten Feld der Kinderliteratur abhanden gekommen ist. Wer Kinder solchen, freilich gut gemeinten Werken aussetzt, wird im Ergebnis lauter kleine Professorinnen und Professoren vor sich haben, die über nichts staunen, die alles wissen, aber gleichwohl nicht wissen, was sie da wissen.

Ob wir uns mit einer Aussicht trösten dürfen, die in den wenigen Abschnitten zu finden ist, welche Rudolf Steiner in seinem Opus Magnum der Geistesgeschichte Albert Einsteins spezieller Relativitätstheorie gewidmet hat? Dort heißt es: »Insoferne der Mensch sich innerhalb der Naturdinge und Naturvorgänge betrachtet, wird er den Folgerungen dieser Relativitätstheorie nicht entgehen können. Will er aber, wie es das Erleben des eigenen Wesens notwendig macht, sich nicht in bloße Relativitäten wie in einer seelischen Ohnmacht verlieren, so wird er das ›In-sich-Wesenhafte‹ fortan nicht im Bereiche der Natur suchen dürfen, sondern in der Erhebung über die Natur im Reiche des Geistes.«

Sheddad Kaid-Salah Ferrón, Eduard Altarriba: Professor Albert und das Abenteuer der Relativitätstheorie, geb., 48 S., EUR 16,–, Knesebeck, München 2020